Es ist eine klare Sommernacht. Die Sterne funkeln, spenden etwas Licht in dieser Dunkelheit und vermögen es doch nicht, sie gänzlich zu erhellen. Der Mond zeigt sein Angesicht nicht, versteckt die silberne Sichel hinter grauen Wolken am Firmament. Nichts rührt sich in den Tiefen der Wälder, all seine Bewohner ruhen in ihren Behausungen. Nun, nicht ganz. Auf einer kleinen Lichtung mitten im Wald tritt ein Zentaur aus seiner Höhle. Er ist nicht mehr jung, weißes Haar und ein langer Bart umrahmen das von der Zeit des Lebens gezeichnete Gesicht. Die ehrwürdige Erscheinung hebt den Blick zum Himmel empor und verharrt völlig ruhig an Ort und Stelle – wie ein Baum, dessen Krone unbewegt scheint und doch stets in die Höhe strebt. Der Bach, der sein Bett durch das weiche Gras der Lichtung gegraben hat, plätschert unaufhörlich vor sich hin. Sein fröhliches Gurgeln klingt beinahe so, als wolle er jedem von seiner ewigwährenden Reise erzählen. Ansonsten ist es still, kein Windhauch wiegt die Äste der Bäume und raschelt durch deren Blätter, kein Vogel zwitschert sein Liedchen und keine Brise trägt Musik und Stimmen über die Lande. Plötzlich ertönt der Ruf eines Käuzchens in der Ferne, ein zweites antwortet nach einer Weile. Eine aufgeschreckte Maus huscht mit leisem Piepsen durch das taubenetze Gras und zwischen den Hufen des Zentauren hindurch, ihre winzigen Pfoten trippeln lautlos über den Boden. Der Zentaur senkt den Kopf und lächelt auf das kleine Wesen hinab, das hastig zwischen den Wurzeln eines Baumes verschwindet. In diesem Moment ziehen die Wolken weiter und der Mond tritt hervor. Sein silbriges Licht ergießt sich über die schlafende Welt und lässt den Tau auf Blättern und Gräsern schimmern. Erneut hebt der Zentaur die Augen hinauf, um die Sterne zu beobachten.
An den Rändern des Himmels zeichnet sich bereits das zarte Rosarot des nahenden Morgens ab. Die Sonne streckt ihre ersten Strahlen über den Horizont und tastet sich langsam höher, verdrängt das kühle Mondlicht mit ihrem goldenen. Es dauert nicht lange, da ziehen die ersten Vögel ihre Köpfchen unter den Flügeln hervor, begrüßen den anbrechenden Tag mit einem ganzen Orchester an Liedern und wecken damit die anderen Wald- und Wiesenbewohner. Nicht nur Rehe, Füchse, Dachse, Mäuse und Eichhörnchen werden aus ihren Bauen gelockt, auch Faune, Minotauren, Zwerge und alle anderen Geschöpfe Narnias sehen dem jungen Tag entgegen. Schließlich erreichen die Sonnenstrahlen auch den Zentauren auf der kleinen Lichtung und dieser murmelt mit tiefer Stimme
» Es ist Zeit «.
Wenig später tritt eine junge Frau an den Rand der Lichtung. Bogen und Köcher geschultert, ein Schwert am Gürtel. Geübte Blicke werden sofort erkennen, dass dieses Schwert nicht von der plumpen Hand eines telmarischen Schmiedes gefertigt wurde, sondern von den geschickten Händen der Zwerge, den Meistern der Schmiedekunst. Die Klinge ist so scharf, es könnte nicht einmal eine Fliege darauf wandeln, ohne sich die Füße aufzuschlitzen. Auf der Breitseite der Klinge wurden allerlei Gravuren angebracht, in deren Mitte ein Löwenkopf mit wilder Mähne prangt. Auch der Bogen ist fein gearbeitet und Schnitzereien verzieren das dunkle Holz. Die Erscheinung der jungen Frau selbst wird ihren Waffen mehr als gerecht. Sie ist groß, schlank und sehnig. Ihre dunkelblonden Haare sind zu einem langen Zopf geflochten, der ihr über die rechte Schulter fällt. Ihre braunen Augen durchwandern aufmerksam die Lichtung bis sie an dem Zentauren hängen bleiben. Nun erst tritt sie aus dem Schutz der Bäume hervor und schreitet rasche auf den in der Mitte der Lichtung Wartenden zu.
Der Zentaur begrüßt die Ankommende mit einem Kopfnicken, was diese mit einem anmutigen Knicks beantwortet. Schließlich beginnt der Zentaur, zu sprechen und scharrt mit seinen Hufen über das Gras.
» Was hast du zu berichten? «, fragt er sogleich. Die junge Frau tritt von plötzlicher Unruhe gepackt von einem Fuß auf den anderen.
» Sie breiten sich immer weiter aus, die kleineren Wälder scheuen sie nicht mehr «, der Griff ihrer Hand um den Schwertknauf verstärkt sich,
» Kaum einer von ihnen kennt die alten Geschichten, wie es sich wirklich zugetragen hat «. Er nickt leicht, behält seine Gedanken dazu jedoch für sich.
» Die Gemahlin des Lord Regenten erwartet ein Kind – wie mir die Marktfrauen und Händler berichteten – und der Prinz hat einen neuen Lehrer «. Bei der letzten Neuigkeit huscht ein Lächeln über beide Gesichter. Der Zentaur verschränkt die Hände hinter dem Rücken, mustert sein Gegenüber einen Moment lang und lässt den Blick erneut gen Himmel wandern.
» Kennt man dich dort bereits? «, verlangt er schließlich zu erfahren.
» Nur im Dorf «, entgegnet die junge Frau und fügt etwas leiser hinzu,
» Alienna ist wieder krank, Chiron «. Besorgnis spiegelt sich in ihren Augen wider und auch der Zentaur senkt den Kopf ein wenig.
» Es ist Zeit «, sagt er mit fester Stimme, als er sich wieder zu voller Größe aufrichtet,
» Mein Gefühl täuscht mich nicht, denn die Sterne bestätigen es «. Er legt ihr eine Hand auf die Schulter und lächelt sanft.
» Ich sehe dich nicht gerne fortziehen, mein Kind «, gibt er zu, als sie zu ihm aufsieht,
» Doch deine Zeit ist gekommen, geh und folge deiner Bestimmung «. Sie schließt einen Moment die Augen und atmet tief ein und aus. Chiron streicht ihr sachte über die Wange, um eine einzelne Träne aufzufangen.
» Kein Abschied ist für immer, Luna «, meint er,
» Du wirst eines Tages zurückkehren können, aber nun braucht der Doktor deine Hilfe. Du weißt um unser aller Hoffnung «. Luna schlägt die Augen auf und schenkt dem Zentauren ein entschlossenes Lächeln
» Hast du einen letzten Rat? «. Chiron neigt das Haupt und antwortet erst nach einigen Augenblicken – fast so, als würde es ihm sehr schwerfallen, seinen Schützling ziehen zu lassen, in eine ungewisse und gefährliche Zukunft.
» Bleibe immer auf dem richtigen Weg, selbst wenn dafür Umwege nötig sind «, raunt er schließlich und sieht zu wie nach einem kurzen Pfiff Lunas ein schwarzer Hengst aus dem Schatten der Bäume herbeistürmt – gesattelt, aufgezäumt und erwartungsvoll auf der Stelle tänzelnd.
» Ich danke dir für alles «, meint die junge Frau,
» Donnerwind hier wird mir ein treuer Begleiter sein «. Damit schwingt sie sich auf den Rücken des Pferdes, neigt noch einmal lächelnd den Kopf vor dem alten Zentauren und gibt Donnerwind die Sporen.
Hallöchen,
schön, dass du reinliest :) Wer noch ein bisschen Zeit hat, kann gerne ein Review und/oder einen Vote für dieses Kapitel hinterlassen. Würde mich sehr freuen.
Ein paar Informationen zu dieser Geschichte:
- Es handelt sich um eine alternative Fassung des vierten Bandes der Chroniken von Narnia bzw. des zweiten Films.
- Dies ist der erste Teil bzw. die Vorgeschichte zu 'Die Reise des Löwen'.
- Anfangs wird aus der Sicht des Erzählers, dann aus der Sicht eines OC geschrieben.
- Das bisher beste Ranking: #2 in narnia, #7 in kaspian
Gute Unterhaltung beim (Weiter)Lesen und liebe Grüße,
Lola
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Der Ruf des Löwen | Eine narnianische Geschichte
FanfictionDie Telmarer herrschen schon lange über ein Land, das nicht ihr eigenes ist, und die einst glanzvollen Zeiten Narnias sind nur noch Geschichten. Lord Miraz tut alles, damit das auch so bleibt. Doch auf Prinz Kaspian ruht die Hoffnung auf eine besser...