Rettung

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Wir rennen durch die dunklen Gänge. Jetzt ist alles belebt und immer wieder läuft uns eine Gruppe Soldaten über den Weg. Miraz war also tatsächlich auf einen Angriff vorbereitet. Die einzige plausible Erklärung, die mir dazu einfällt: Wir haben einen Spion in unseren Reihen. Doch darum müssen wir uns später kümmern. Jetzt sollten wir zusehen, dass wir die anderen finden und uns in Sicherheit bringen. Der Gang weitet sich und dann stehen wir draußen auf dem Burghof. Ein fürchterliches Bild bietet sich mir: Narnianen kämpfen erbittert gegen die terlmarische Übermacht. Woher kommen plötzlich alle diese Soldaten? Unsere Leute, die am Waldrand gewartet haben, sind mittlerweile eingetroffen. Ich sehe nach oben. Auf einem Balkon steht Miraz, neben ihm General Glozelle. Miraz gestikuliert wild und deutet auf die Zugbrücke. Ich achte nicht weiter auf den Lord und stürze mich mit gezogenem Schwert ins Gefecht. Vorsichtshalber behalte ich Kaspian immer im Auge und suche nach König Peter, Königin Susan und König Edmund. Gerade als ich einem Telmarer das Schwert aus der Hand und ihn mit dem Knauf meines Schwertes bewusstlos schlage, höre ich jemanden schreien. In der Burg ist es ohnehin ziemlich laut. Die Luft ist gefüllt mit Schreien, Waffengeklirr und herumgegrölten Befehlen. Doch dieser Schrei zerreißt die Luft und ich wirble herum. Das erste, was ich sehe, ist König Peter, der mit Kaspian zu streiten scheint. Die beiden haben die Schwerter gezogen und stehen sich zornig gegenüber. Der Hochkönig schubst Kaspian zurück. Immer wieder bis der Prinz mit dem Rücken an der der Wand steht. Königin Susan steht hinter ihrem Bruder und versucht, ihn zurückzuhalten, aber vergebens. Flink schlängele ich mich zwischen den Kämpfenden durch. Währenddessen hebt Kaspian das Schwert, König Peter pariert den Schlag und weicht ein Stück zurück. Beide können behände mit der Klinge umgehen und sie wären ebenbürtige Gegner, wenn Kaspian nicht über irgendetwas gestolpert und gestürzt wäre. Sein Gegenüber nützt den Moment und schlägt ihm das Schwert aus der Hand. Kaspian versucht, aufzustehen, aber König Peter versetzt ihm einen Tritt und er geht wieder zu Boden. In den Augen des blonden Junngen liegt Zorn, der zum Töten gewillt ist. Ich muss die beiden für einen Augenblick aus den Augen lassen, denn zwei Soldaten gehen auf einen Leoparden los. Zwei gegen einen ist wirklich nicht fair. Ich schlage dem einen die Beine unter dem Körper weg und durchbohre den zweiten an der Stelle, an der der Brustpanzer endet. Ohne mich weiter darum zu kümmern, setze ich meinen Weg fort. Mein Blick sucht die Streithähne und als ich sie entdeckt habe, stockt mir beinahe der Atem. Kaspian liegt auf dem steinernen Boden, unfähig, sich zu bewegen, denn König Peter hat ihm den Fuß auf die Kehle gesetzt. Sein Schwert schwebt über Kaspians Herz in der Luft. Ich beschleunige meine Schritte, renne auf König Peter zu und reiße - zum zweiten Mal in dieser Nacht - jemanden zu Boden. Er keucht als sein Kopf auf dem Pflaster aufschlägt, kümmert sich aber nicht länger darum und rappelt sich auf. Auch Kaspian kommt langsam auf die Beine und reibt sich den Hals.

« Geh zur Seite! », zischt der König und funkelt mich an. Ich lege den Kopf leicht schief, kneife die Augen zusammen und sage

« Nein! ». Seine Augen werden groß und ungläubig starrt er mich an

« Ich sagte, geh aus dem Weg! ».

« Nein! », wiederhole ich und schüttle den Kopf. König Peter macht sich etwas größer

« Du hast mir zu gehorchen, ich bin der König! ». Ich mache einen Schritt auf ihn zu

« Nein, das seid Ihr nicht! Streiten könnt Ihr später auch noch, jetzt müssen wir hier weg! », ich deute auf das Tor,

« Sie werden die Zugbrücke hochziehen und uns hier einsperren, wenn wir uns nicht beeilen! ». Einige Sekunden starrt König Peter mich an, dann ruft er

« Narnianen, Rückzug! ». Sofort strömen Leoparden, Faune, Minotauren und alle anderen auf das Tor zu. Einige Zentauren kommen in unsere Richtung, um uns auf ihre Rücken zu nehmen. Ich schaue mich um. Die Soldaten laufen zu den Stallungen. Sie wollen uns verfolgen. Da entdecke ich einen jungen Faun. Er liegt neben dem Brunnen in der Mitte des Platzes und kriecht Richtung Tor. Einige Soldaten lachen und schlagen auf ihn ein. Ich lehne die Hilfe eines Zentauren ab und laufe zum Brunnen. Nur noch wenige Narnianen tummeln sich auf dem Hof. Ich ziehe einem Soldaten das Schwert über das Bein, einem andere über den Arm. Jaulend machen sie sich davon. Schnell ziehe ich den Faun hoch. Er stöhnt vor Schmerz. Sein Körper ist mit Wunden übersäht. Ich stütze ihn und wir laufen auf das Tor zu. Jemand brüllt einen Befehl und das eiserne Tor beginnt sich zu senken. Gerade noch rechtzeitig ducken wir uns darunter hindurch. Kein lebender Narniane ist mehr auf dem Hof. Erleichtert atme ich aus. Der Faun stöhnt erneut und meint

« Lasst mich einfach hier und bringt Euch selbst in Sicherheit ».

« Kommt gar nicht in Frage », erwidere ich.

Zunächst denke ich, die Soldaten folgen uns doch nicht, aber zu früh gefreut. Einige machen sich daran, die Verfolgung aufzunehmen. Ein Zentaur, der ein Stück vor uns galoppiert, dreht sich um und nimmt den Faun und mich auf seinen Rücken. Wir fliegen beinahe über die Straße, dennoch kommen die Soldaten immer näher. Es sind vielleicht sechs an der Zahl. Ich frage mich, warum nicht mehr hinter uns hersetzen. Entweder Miraz möchte nicht so viele Männer verlieren oder die anderen haben einfach Angst vor dem Wald und vor uns. Als wir den Wald erreichen, zischen Pfeile über uns hinweg. Die Schützen sind nicht unbedingt schlecht, aber sie treffen erst nach einigen Versuchen. Einige Minuten später befinden wir uns auf einem schmalen Weg, der etwas weiter vorne eine Biegung nach rechts macht. An beiden Seiten säumen Bäume und Sträucher den Pfad und bieten somit Schutz vor Pfeilen. Ich werfe einen Blick über die Schulter. Die Soldaten haben schon weit aufgeschlossen. Sie preschen mit gezogenen Schwertern hinter uns her, aber es sind nur noch drei. Ich prüfe, ob der sich der Faun halten kann und rutsche vom Rücken des Zentauren herunter. Der wirft den Kopf zurück, aber ich bedeute ihm, einfach weiter zu rennen. Breitbeinig stelle ich mich auf die Straße und lege einen Pfeil an die Sehne meines Bogens. Je näher die Soldaten kommen, desto weniger treiben sie ihre Pferde an. Ich atme ruhig ein und aus. Sie kommen näher. Ein und aus. Zwanzig Fuß. Ein. Zehn Fuß. Aus. Ein. Ich lasse den Pfeil los und meine Hand schnellt auf meine Schulter. Aus. Der Pfeil trifft den Soldaten ganz links in die Hüfte und er stürzt vom Pferd. Die beiden übrigen halten weiter auf mich zu. Bevor ich einen weiteren Pfeil anlegen kann, erreicht mich der mittlere Soldat und seine Klinge streift meinen linken Arm. Schmerz durchzuckt mich und etwas Warmes läuft über meine Haut. Ich ziehe mein Schwert, ducke mich unter dem nächsten Hieb weg und lasse die zweischneidige Klinge über den Hals des Soldaten gleiten. Er krallt sich in die Mähne seines weißen Pferdes. Dieses scheut, bäumt sich auf, der Soldat stürzt und das Pferd galoppiert davon. Jetzt ist nur noch einer übrig. Ich habe ihn nicht im Auge behalten. Ich drehe mich um mich selbst und suche die nähere Umgebung nach irgendwelchen Anzeichen von dem letzten Soldaten ab. Nirgends entdecke ich eine Spur von ihm. Ist er am Ende geflohen? Es raschelt und ich wirble herum. Doch zu spät, ein Pfeil bohrt sich in mein rechtes Bein, etwas oberhalb des Knies. Ich presse die Lippen zusammen, um vor Schmerz nicht aufzuschreien. Da kommt der Soldat endlich zum Vorschein. Mit wildem Gebrüll und gehobenem Schwert stürzt er auf mich zu. Ich ducke mich auf den Boden und schlage ihm die Beine weg. Ein letzter Klingenstreich und auch er ist erledigt. Blut rinnt über meinen Arm und mein Bein. Ich wische mir über die Stirn. Meine Hand ist blutig. Da ist eine Platzwunde auf meiner Stirn, die ich zuvor gar nicht bemerkt habe. Mit letzter Kraft schwinge ich mich auf das letzte verbleibende Pferd und treibe es an. Richtung Aslans Mal.

Der Ruf des Löwen | Eine narnianische GeschichteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt