Werwolf

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Nach der Durchquerung etlicher Korridore und weiterer Räume, erreiche ich den Eingangsbereich. Hier war ich heute schon einmal. Geradeaus geht es in den Raum mit dem steinernen Tisch. Aus dieser Richtung kommt eine Gestalt auf mich zu. Etwas kleiner als ich, ziemlich stämmig, mit einem langen Mantel und einem weißen Bart.

« Dr. Cornelius », rufe ich aus. Der alte Mann kommt auf mich zu.

« Luna », sagt er,

« Prinz Kaspian sucht Euch ».

« Er hat mich bereits gefunden », murmle ich.

« Ich verstehe », meint der Doktor und sieht mich über seine Brille hinweg an. Er lächelt freundlich und wir setzten uns auf eine steinerne Bank.

« Ich bin wirklich froh, dass Ihr ihn befreit habt. Nicht, dass ich an Euch gezweifelt hätte, aber es ist doch sehr schwer, ins Schloss einzudringen, in den Kerker zu gelangen und heil wieder herauszukommen », erklärt er. Ich nicke abwesend. Bei dem Gedanken an Lord Miraz und General Glozelle läuft mir ein Schauer den Rücken hinab. Nicht vor Angst, sondern vor Abscheu gegenüber solch hinterhältigen Leuten. Dr. Cornelius beobachtet mich so genau, dass ich mich fast nicht bewegen möchte, um seinen strengen Augen zu entgehen. Manchmal erinnert er mich an Chiron. Nun, die beiden sind auch sehr gute Freunde.

« Was war das Letzte, das Chiron zu Euch gesagt hat? », fragt der Halbzwerg plötzlich.

« Bleibe immer auf dem richtigen Weg, auch wenn dafür Umwege nötig sind », zitiere ich, ohne lange zu überlegen.

« Hm, und kennt Ihr den richtigen Weg? », fragt der Doktor. Ich kneife die Augen zusammen, was will er damit sagen? Langsam schüttle ich den Kopf und sage voll Überzeugung

« Aslan wird mich führen ». Ein herzliches Lächeln breitet sich auf seinem alten Gesicht aus und er murmelt etwas Unverständliches.

« Ihr solltet jetzt schlafen. Königin Lucy bat mich, Euch auszurichten, dass Ihr dort ein bereitetes Lager habt », sagt er und deutet nach oben. Eine Treppe führt zu einem weiteren Gang und dahinter liegt vermutlich der Schlafraum der Mädchen. Ich bedanke mich mit einer kleinen Verbeugung und steige die Treppen hinauf. In Windeseile erreiche ich die Tür, hinter der ich den Schlafsaal vermute. Leise betrete ich den Raum. Königin Susan und Königin Lucy schlafen bereits. Ich begebe mich zu der Stelle, die mein Lager darstellt. Ich lege mich hin, strecke mich und bin bald darauf ebenfalls eingeschlafen.

Am nächsten Morgen werde ich früh wach. Zumindest glaube ich, dass es früh am Morgen ist. Die beiden Königinnen schlafen noch. Also stehe ich leise auf, wasche mein Gesicht und kämme meine Haare. Während ich die Treppen nach unten eile, flechte ich mir einen Zopf. Noch sind die Gänge leer und ich komme ungehindert nach draußen. Auch dort finde ich niemanden vor, abgesehen von den Wachposten natürlich. Gut so, ich bin lieber allein und genieße den Sonnenaufgang. Ich verlasse den Schutz des Hügels und trete auf die Wiese hinaus. Meine schwarzen Stiefel werden vom Tau benetzt. Ich schaue mich um. Am Waldrand fließt ein Bach vorbei. Langsam schlendere ich darauf zu, ohne den Wald auch nur einen Moment aus den Augen zu lassen. Wer weiß, wann die Späher der Telmarer hier aufkreuzen. Sobald ich mein Ziel erreiche, tauche ich die Hände in das kühle, klare Wasser. Dann trinke ich ein wenig. Plötzlich nehme ich eine Bewegung auf der anderen Seite des Baches wahr. Ich fahre hoch und stehe mit gezogenem Schwert vor einem Werwolf. Das Vieh legt den Kopf zurück und heult ohrenbetäubend laut. Ein Heulen, das wohl bedeuten soll, er hätte Beute gefunden. Ich ziehe ihm mit der Breitseite meines Schwertes eines über und laufe auf den Berg zu. Hinter mir höre ich den Atem des Werwolfs. Abrupt bleibe ich stehen und ducke mich. Der Werwolf springt und landet direkt über mir. Er knurrt, fletscht die Zähne und heult noch einmal. Ich höre Geschrei aus der Richtung des Hügels. Aus dem Augenwinkel bemerke ich einige Gestalten, die herausströmen. Jetzt starrt mich das Vieh mit seinen rotunterlaufenen Augen an. Ich bleibe ruhig. Irgendjemand ruft meinen Namen, aber das kümmert mich nicht. Momentan gibt es nur mich und diese abscheuliche Bestie. Ich hätte sie längst töten können, wenn ich gewollt hätte. Der Werwolf knurrt und seine gelben Zähne kommen meinem Gesicht immer näher. Dann schnappt er zu und genau in diesem Augenblick rolle ich mich zur Seite und unter ihm hinweg. Dann hebe ich das Schwert und schlage ihm den Kopf ab. Er jault ein letztes Mal und sein Leben ist vorbei.

Eine Weile ist es ganz still. Ich drehe mich langsam um und sehe einige Narnianen auf den Terrassen des Hügels und auf der Wiese hier draußen stehen. Es ist, als wäre ich in einer Arena und sie die Zuschauer um mich herum. Die Ruhe vor dem Sturm. Genauso ist es hier, auf einmal bricht ein Jubel los, der beinahe in den Ohren schmerzt. Königin Lucy läuft auch mich zu. Schnell wische ich das Schwert im Gras ab und verstaue es an meinem Gürtel. Die kleine Königin erreicht mich und fällt mir erleichtert in die Arme. Sie hat Tränen in den Augen. Hinter ihr erscheinen Königin Susan, König Edmund und Hochkönig Peter. Alle drei sehen mich anerkennend an. Als ob ich eine Art Aufnahmeprüfung absolvieren musste. Dr. Cornelius nickt mir zu und Kaspian sieht aus als wollte er mir um den Hals fallen. Reepicheep springt auf mich zu, klettert an Lucy hoch und setzt sich auf meine Schulter. Von dort aus blickt er über die Menge hinweg wie ein kleiner König. Vermutlich denken sie alle, damit wäre es vorbei. Doch ich weiß es besser. Wo ein Werwolf ist, sind meist noch weitere...

Der Ruf des Löwen | Eine narnianische GeschichteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt