Nachtlager

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Es ist später Nachmittag als wir eine kleine Lichtung mit einem munter dahinplätschernden Bach erreichen. Ich weiß nicht, ob Prinz Kaspian wach ist. Ich glaube aber nicht, denn sein Kopf lehnt an meinem Rücken und er atmet gleichmäßig ein und aus. Vorsichtig drehe ich mich etwas um und lege ihm eine Hand auf die Schulter. Er schreckt hoch. Ich verkneife mir ein Lächeln und gleite aus dem Sattel.

« Wir bleiben über Nacht hier, dann müssten wir in wenigen Tagen das Lager erreichen », sage ich und halte geradewegs auf den Bach zu. Ich knie mich am kiesigen Ufer nieder, tauche meine Hände in das kühle Wasser und wasche mir gründlich Gesicht, Hals und Hände. Eben alle Stellen, die ich mit brauner Farbe eingerieben habe, um als Gesandte aus Tashbaan durchzugehen. Bald ist aller Schmutz entfernt und meine blasse Haut wieder sichtbar. Schließlich lege ich die seidenen Kleider ab und verstaue sie in den Satteltaschen. Als ich mich ein Stück von Prinz Kaspian entfernt in das weiche Gras setze, schaut er mich an als wäre ich ein völlig anderer Mensch. Unter den kalormenischen Gewändern trage ich meine normale Kleidung: Ein schwarzes Hemd und eine ebenso schwarze Hose, was für Frauen zwar nicht schicklich ist, aber ein Kleid eignet sich eben nicht zum Kämpfen. Meine schwarzen Stiefel reichen nicht ganz bis zu meinen Knien. Über alledem schützt mich ein lederner Brustpanzer und um meine Hüften schlingt sich ein Ledergürtel, an dem mein Schwert befestigt ist. Mein Bogen und mein Köcher sind sicher in den Satteltaschen verstaut.

Eine Weile schweigen wir vor uns hin.

« Haben Euch die Narnianen geschickt, um mich zu befreien? », fragt Prinz Kaspian plötzlich.

« Nicht direkt, es...ist meine Aufgabe », antworte ich langsam und lege den Kopf leicht schief.

« Aber dann könnt Ihr doch nicht wissen... », ich unterbreche ihn,

« Ich weiß, wo sich die Narnianen aufhalten. Der Berg, der über dem steinernen Tisch errichtet wurde, dient als Versteck und Rückzugsort. Die vier Könige und Königinnen der goldenen Zeit halten sich vermutlich auch dort auf ». Er runzelt die Stirn

« Die Könige und Königinnen des goldenen Zeitalters? Wie ist das möglich? ». Ich lächle

« Ich dachte, Dr. Cornelius hat Euch die alten Geschichten erzählt? Er war es, der mich zu Euch geschickt hat. Ein Zentaur namens Chiron meinte, ich solle Euren Professor suchen, denn er wäre auf der Flucht und habe das Horn der Königin Susan bei sich ».

« Das Horn, er hat mir davon erzählt », murmelt er.

« Es war ein langer Weg, Ihr seid sicher müde », sage ich und stehe auf, um Donnerwind das Zaumzeug und den Sattel abzunehmen.

« Wollt Ihr nicht schlafen? », fragt er.

« Jemand muss Wache halten », erwidere ich nur. Tatsächlich legt er sich neben dem kleinen Feuer auf seine Decke, die Arme unter dem Kopf verschränkt. Donnerwind lässt sich nur wenige Meter von dem Prinzen entfernt im Gras nieder und ich lehne mich an die warme Flanke des Hengstes. Obwohl die Dunkelheit bereits hereingebrochen ist, macht der Prinz keine Anstalten, seine Augen zu schließen.

« Erzählt mir etwas über Euch », bittet er stattdessen,

« Ich weiß nichts über meine Retterin, aber anscheinend wisst Ihr alles über mich ». Ein Lächeln huscht über mein Gesicht.

« Ich bin auch nicht weiter wichtig », sage ich matt. Er rollt sich auf die Seite und sieht mich über die Flammen hinweg an.

« Meine Eltern sind gestorben als ich noch sehr klein war. Seitdem lebe ich bei meinem Onkel Miraz und Tante Prunaprismia. Die beiden haben mich nie schlecht behandelt, doch sie hatten schon immer etwas Kaltes an sich. Meine Kinderfrau hat mir oft Geschichte von Narnia und der Zeit erzählt, in der wir Telmarer noch nicht in dieses Land eingefallen waren. Als mein Onkel davon Wind bekam, hat er sie fortgejagt. Dr. Cornelius ist einige Jahre später gekommen, um mich zu unterrichten. Glücklicherweise wusste mein Onkel nicht, dass er zur Hälfte ein Zwerg ist. Nun, als er es erfahren hat, musste der Professor fliehen », er seufzt leise und spricht nicht weiter.

« Erinnert Ihr Euch an sie? », frage ich,

« An Eure Eltern? ». Der Prinz sieht zu den Sternen hinauf, die am dunklen Nachthimmel glitzern.

« Nicht wirklich. Mir sind nur wenige Szenen mit ihnen im Gedächtnis geblieben... », antwortet er schließlich und sein Blick wandert zu mir.

« Bitte, erzählt doch etwas von Euch », widerholt er. Ehrlich gesagt, habe ich nicht vor, meine Lebensgeschichte vor ihm auszubreiten. Außerdem war ich noch nie sonderlich gesprächig, aber er sieht mich auf eine Art und Weise an, da muss ich seine Bitte doch erfüllen.

« Ich...kann mich nicht an meine Eltern erinnern. Sie haben mich dem Zentauren Chiron anvertraut. Er hat mich aufgezogen und mich vieles gelehrt. Vor einigen Tagen sagte er schließlich zu mir, es wäre Zeit, aufzubrechen... », bei der Erinnerung daran seufze ich leise. Wieder schweigen wir und als ich schon denke, er wäre eingeschlafen, sagt er beinahe flehend

« Bitte nennt mich nicht Prinz, denn das bin ich nicht. Ich war nie ein Prinz und werde es auch niemals sein ». Mit großen Augen sehe ich ihn an. Er mit seinen dunklen, leicht gelockten Haare, die ihm beinahe bis zu den Schultern reichen, den warmen, dunkelbraunen Augen und dem hübschen Gesicht. Er mit seiner hochgewachsenen Statur und den von Muskeln geprägten Armen. Er ist ein Prinz, bald ein König.

« Sagt so etwas nicht, Ihr seid ein Prinz und je unwürdiger Ihr euch dafür haltet, desto eher seid Ihr es. Ganz Narnia mit all seinen Geschöpfen zählt auf Euch. Ihr müsst den Thron besteigen, damit endlich Frieden zwischen den Telmarern und Narnianen herrschen kann ».

« Nennt mich trotzdem nicht so, Milady, denn hier in der Wildnis sind Titel sowieso gleichgültig », meint er.

« Ich bin ein einfaches, narnianisches Mädchen », sage ich und schüttle den Kopf,

« Wie könnte ich Euch nicht den Euch zustehenden Respekt zollen? ».

« Milady... », setzt er an, doch ich unterbreche ihn zum zweiten Mal an diesem Tag,

« Wenn ich Euch nicht 'Prinz' nennen soll, so sagt einfach nur Luna zu mir ». Daraufhin lächelt er, dreht sich wieder auf den Rücken und schließt die Augen.

Der Ruf des Löwen | Eine narnianische GeschichteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt