Aslan

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Beruhigt erkenne ich auch Dr. Cornelius hinter den vier Königen. Kaspian neben mir zieht scharf die Luft ein. Augenblicklich lassen die Bogenschützen ihre Bögen sinken. Die vier sind jung. Jünger als erwartet, aber was erwartet man schon von Leuten aus einer anderen Welt? Der ehemalige Hochkönig tritt vor. Seine blonden Haare sind kurz und seine blauen Augen mustern uns genau.

« Prinz Kaspian? », fragt er misstrauisch. Der Angesprochene nickt und bevor er etwas erwidern kann, taucht Dr. Cornelius neben dem blonden Jungen auf.

« Mein Prinz, ihr seid unversehrt, welch ein Glück! », ruft er aus,

« Das ist Hochkönig Peter, der Prächtige ».

« Gut, dass Du hier bist, der Doktor wurde schon unruhig », meint König Peter und Kaspian deutet eine Verbeugung an. Neben ihm erscheinen jetzt König Edmund und die beiden Königinnen. Die ältere ist Königin Susan, die jüngere Königin Lucy. Die Beinamen, die sie einst trugen und die ihnen von Aslan selbst verliehen wurden, scheinen jetzt nicht mehr sonderlich passend. König Edmund hat dunkelbraune Haare und ebenso braune Augen. Königin Susans Haar ist dunkelblond, ihre Augen blaugrün und ihre Lippen voll. Königin Lucy besitzt ebenfalls dunkelblonde Haare, die im Sonnenlicht braunrötlich glänzen. Ihre Augen sind braun und wirken freundlich und ehrlich.

Während ich in meinen Gedanken versunken bin, begrüßen sich Königinnen, Könige und der Prinz gebührend. Reepicheep hat sich wieder zu seiner Mausarmee gesellt und ich stehe nach wie vor an der Seite von Prinz Kaspian, halte Donnerwinds Zügel mit der linken Hand und lasse meine rechte auf meinem Schwertknauf ruhen. Plötzlich tritt König Peter auf mich zu, seine blauen Augen sehen mich abschätzend an.

« Ihr habt Prinz Kaspian also ganz allein aus dem Kerker befreit? », fragt er. So wie er es sagt, klingt es nach einer schieren Unmöglichkeit.

« Ja », antworte ich schlicht und halte seinem Blick möglichst Stand. Er zieht eine Augenbraue in die Höhe, sagt aber weiter nichts. Ich kralle mich etwas fester an Donnerwinds Zügel und ich überlege ernsthaft, einfach wieder zu gehen. Die kleine Gefolgschaft macht sich auf den Weg zurück in den Hügel.

« Kommt », meint Prinz Kaspian und seine Hand streift meinen Arm. Es scheint fast als wüsste er, was ich gedacht habe. Ich starre ihn einen Moment lang an, dann folge ich ihm.

Wenig später befinden wir uns in einem großen Raum, in dessen Mitte der steinerne Tisch steht. Ein breiter Spalt trennt die beiden Hälften voneinander und zeugt so von dem einstigen Opfer, das Aslan gebracht hat, um König Edmund vor der weißen Hexe zu retten. Jedes Kind kennt diese Geschichte und es ist eigentlich unglaublich, dass diese vier großen Könige und Königinnen des goldenen Zeitalters jetzt nicht weit von mir entfernt stehen und Kriegsrat mit uns halten. Königin Lucy sitzt auf dem steinernen Tisch und betrachtet ein kleines Fläschchen in ihrer Hand. Wahrscheinlich das berühmte Heilelixier, das aus dem Saft der Feuerblume hergestellt wurde. Ich schätze sie auf vielleicht zwölf Jahre, obwohl mir das sehr seltsam vorkommt, wo ihre Regentschaft doch bereits hundert Jahre vergangen ist. Die Sache mit den Weltentoren ist eben nicht so einfach zu verstehen. Als ich noch kleiner war, wäre ich beinahe in eines dieser Portale gefallen. Chiron hat mich gerade noch rechtzeitig zurückgezogen und mir alles darüber erklärt. Man erkennt die Weltentore als solche, wenn man auf bestimmte Merkmale achtet. Zum Beispiel flimmert die Luft immer ein wenig als würde ein Feuer brennen. Außerdem befinden sie sich an besonderen Orten, wie zum Beispiel bei dieser Laterne, die im Laternendickicht zwischen den Bäumen steht. Manchmal auch in dunklen, abgelegenen Höhlen, die noch nie eine Menschenseele betreten hat.

« Luna? », fragt eine Stimme neben mir. Ich schrecke aus meinen Gedanken hoch und blicke zur Seite und ein Stück nach unten. Da steht Königin Lucy und zupft mich am Ärmel. Mit ihren großen, braunen Augen sieht sie mich an und streicht ihr rotes Kleid glatt.

« Verzeiht, eure Majestät, ich war gerade in Gedanken », entschuldige ich mich und lächle unwillkürlich. Ich verbeuge mich leicht und gehe in die Knie, damit sie nicht so zu mir aufsehen muss.

« Macht doch nichts, aber bitte sagt einfach Lucy zu mir...ich bin es einfach nicht mehr gewohnt, 'eure Majestät' genannt zu werden », meint die kleine Königin und lächelt ebenfalls.

« Dann nennt mich einfach Lou, ja? », bitte ich. Mein Gegenüber nickt, legt den Kopf leicht schief und betrachtet mich genauer.

« Warum trägst du eigentlich kein Kleid? Dann würdest du noch viel schöner aussehen als du es jetzt schon tust », fragt das Mädchen.

« Weil ein Kleid in einem Kampf nur stören würde », erwidere ich.

« Du musst eine tolle Kämpferin sein. Schließlich trägst du ein narnianisches Schwert », sie kichert,

« Gibt es etwas, das du nicht kannst? ».

« Oh ja, mehr als genug, aber was den Kampf betrifft eher weniger », lache ich.

« Kannst du denn auch Bogenschießen? Schwimmst du gerne? Wie heißt dein Pferd? », sprudeln die Fragen aus ihr heraus. Ich hebe die Hand und bejahe die ersten beiden Fragen

« Der schwarze Hengst heißt Donnerwind ». Ihre Augen beginnen, zu glänzen und sie fragt weiter

« Wie alt bist du denn? Wie hast du Prinz Kaspian aus dem Kerker befreit? Woher kennst du Reepicheep und die Wölfe? ».

« Ich bin achtzehn Jahre alt und das ist eine lange Geschichte. Was Reepicheep und Lophos angeht, fragst du sie am besten selbst. Sie werden es dir sicher gerne erzählen », erkläre ich. Kurz werfe ich einen Blick zu den anderen hinüber. In diesem Raum befinden sich nur einige ausgewählte Narnianen, der ganze Hügel hier wimmelt nur so von ihnen. Überall laufen Faune, Zentauren, Minotauren und noch viele andere Wesen herum, schmieden Waffen und Rüstungen und schaffen einen Vorrat an Speisen und Trinkwasser herbei. Mein Blick gleitet über Prinz Kaspian und Dr. Cornelius hinweg, die etwas abseits zusammensitzen und sich unterhalten. An König Peter, König Edmund und Königin Susan bleibt er schließlich hängen.

« Auf Aslan warten? », meint König Peter gerade und dreht sich zum steinernen Tisch um, hinter dem in die Wand ein Bildnis des großen Löwen eingemeißelt ist,

« Nein, ich glaube, es ist an uns, zu handeln! ». Der Dachs namens Trüffeljäger, ein Rotzwerg namens Trumpkin, ein Zentaur namens Talsturm, einer der beleibten Bären und ein Schwarzzwerg namens Nikabrik stehen rundum und reden jetzt wirr durcheinander. Nur Nikabrik ist gleicher Meinung wie Peter. Dieser Zwerg ist mir ganz und gar nicht geheuer, warum auch immer, aber es hat sicher seinen Grund.

« Mir ist es egal, was wir tun, Hauptsache wir tun etwas. Aslan hin oder her », sagt Trumpkin.

« Der LKF glaubt nicht an Aslan, weißt du », sagt plötzlich Königin Lucy neben mir. Ich sehe etwas verwirrt zu ihr.

« Der LKF ist mein lieber, kleiner Freund », erklärt sie daraufhin. Dann wird die kleine Königin ganz ernst, schaut mir in die Augen und fragt

« Tust du es denn? Glaubst du an Aslan? ». Ich wiege den Kopf hin und her und sage eine Weile gar nichts.

« Ja, das tue ich », antworte ich schließlich. Erleichtert atmet Königin Lucy aus, stupst mich noch einmal freundschaftlich an und läuft dann zu ihrem lieben, kleinen Freund hinüber, zu dem sich mittlerweile auch Reepicheep und ein Eichhörnchen namens Flitzeflink gesellt haben.

Der Ruf des Löwen | Eine narnianische GeschichteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt