Flucht

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Vielleicht sollte vorweg gesagt werden, dass Prinz Kaspian der Zehnte, der Neffe von Lord Miraz und der eigentliche Thronerbe ist. Da seine Tante, Lady Prunaprismia, einen Sohn geboren hat, trachtet Lord Miraz seinem Neffen nach dem Leben, um selbst und später sein Sohn König zu werden. Kaspian hat von seiner Kinderfrau und seinem Lehrer, Dr. Cornelius, einiges über die alten Sagen von Narnia und dessen ursprünglichen Bewohnern gehört. Sehr zum Missfallen von Lord Miraz. So musste der Doktor fliehen und hat in das Horn der Königin Susan geblasen, dem nachgesagt wird, die vier Könige und Königinnen der alten Zeit zu rufen. Die Narnianen haben sich daraufhin versammelt und machen sich für einen Krieg bereit, um ihre Freiheit und ihr Land von den Telmarern zurückzufordern oder gegebenenfalls zu erkämpfen. Die vier Gerufenen sind tatsächlich erschienen und bereiten sich ebenso auf den Kampf vor. Hochkönig Peter, der Prächtige, Königin Susan, die Sanfte, König Edmund, der Gerechte, und Königin Lucy, die Tapfere, schmieden Pläne, wie sie Prinz Kaspian befreien könnten. Noch wissen sie nicht, dass dies bereits geschieht.

~Luna~

Ich folge dem Wächter durch die Gänge. Ich brauche mich nicht umzudrehen, um zu wissen, dass mir der Prinz folgt. Bald treten wir in den Burghof hinaus. Prinz Kaspian kneift die Augen zusammen, er hat die Sonne wohl eine ganze Weile nicht mehr erblickt. General Glozelle steht neben dem schwarzen Pferd und tätschelt ihm den Hals. Als er mich, die vermeintliche Gesandte aus Tashbaan, bemerkt, wendet er sich mir zu.

« Seid Ihr sicher, dass dies der Gefangene ist, den Ihr braucht? », fragt er mit einem Blick auf den Prinzen, der ihm eigentlich wohlbekannt sein sollte.

« Nun, ich weiß nicht, wen der Tis'roc – möge er ewig leben – wünscht, aber ich denke, es ist der richtige, wenn Ihr es sagt », erwidere ich und nicke leicht. General Glozelle neigt den Kopf und zieht ein Seil hinter seinem Rücken hervor, das er um Prinz Kaspians Hände schlingt. Das andere Ende bindet er am Sattelknauf fest. Ich schaue zu, ohne ein Wort zu sagen, dann schwinge ich mich auf den Rücken des Pferdes, werfe noch einen Blick auf den Balkon, von dem aus Lord Miraz das Geschehen beobachtet, und treibe den Hengst an. Er trägt den Namen 'Donnerwind'. Ich hoffe, dass jetzt nichts mehr schief geht und wir schnell aus dieser Stadt herauskommen. Bis dahin muss der Prinz wohl oder übel hinter mir nachlaufen.

Gerade passieren wir das Burgtor, da drehe ich mich noch einmal um. Der General steht mit zusammengekniffenen Augen da und scheint jede meiner Bewegungen zu beobachten. Schon fast ein bisschen unheimlich.

« Was für eine Überraschung, seit wann tragen kalormenische Gesandte telmarische Schwerter? », brüllt er plötzlich. Oh nein, erwischt!

« Ihr liegt falsch, das ist kein telmarisches Schwert, sondern ein narnianisches! », rufe ich zurück und achte darauf, auch das kleinste bisschen Akzent aus meinen Worten zu verscheuchen. Während ich den zweiten Teil des Satzes ausspreche, ziehe ich die Klinge hervor, durchtrenne das Seil, das die Hände des Prinzen festhält und helfe ihm auf Donnerwinds Rücken. Dann treibe ich den Rappen zur Eile an. Immer schneller galoppieren wir über das Pflaster, die Hufschläge hinterlassen ein donnerndes Echo. Hinter uns höre ich Gegröle und Hufgeklapper. Die Wachen folgen uns!

« Haltet Euch fest », rufe ich dem Prinzen über die Schulter zu, ehe ich Donnerwind noch schneller werden lasse. Zunächst legen sich seine Hände zögerlich an meine Taille, doch als Donnerwind sein Tempo steigert, schlingen sich seine Arme um meinen Bauch.

Es dauert nicht lange, da erreichen wir den Waldrand und brechen durch die ersten Bäume. Ich beuge mich nach vorne, um nicht von einem Ast getroffen und vom Rücken meines Pferdes geschleudert zu werden.

« Wo reiten wir hin? », fragt Prinz Kaspian hinter mir.

« Zum steinernen Tisch, dort werdet Ihr erwartet », antworte ich knapp.

« Wer erwartet mich dort? », fragt er weiter.

« Die Narnianen », seufze ich. Mehr sage ich nicht, denn für Erklärungen ist später noch genügend Zeit. Jetzt muss ich mich darauf konzentrieren, Donnerwind unbeschadet durch den Wald zu manövrieren und diese Soldaten abzuhängen. Dem Gejohle hinter uns zu urteilen, sind sie nicht mehr weit entfernt. Für einen kurzen Moment blicke ich zurück. Das Bild, das sich mir bietet ist einfach sagenhaft: Fünf Soldaten preschen auf ihren Pferden hinter uns her. Ihre silbernen Rüstungen, Schwerter und Helme blitzen in den wenigen Sonnenstrahlen, die durch das Blätterdach des Waldes fallen. Plötzlich ertönt ein ohrenbetäubendes Brüllen und ein goldener Löwe springt hinter uns aus dem Gebüsch. Die Pferde der Soldaten scheuen und werfen ihre Reiter beinahe ab. Der Löwe brüllt erneut und die Soldaten machen schreiend kehrt. Nach wenigen Augenblicken zeugen nur noch die aufgewirbelten Blätter von ihrer Anwesenheit. Auch Kaspian hat sich umgedreht. Doch der Löwe ist nirgends mehr zu sehen, er ist spurlos verschwunden, hat sich in Luft aufgelöst. Mir ist sofort klar, was oder besser, wer das war, und es erfüllt mich mit Zuversicht. Aslan, der Sohn des Herrn der Herren, der große Löwe, der König von Narnia, der auch auf dem Wappen prangt. Ein goldener Leu auf rotem Grund.

Der Ruf des Löwen | Eine narnianische GeschichteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt