Auch der Reiter hörte diese Glocke, die mit ihrem vollen, dumpfen Klang, in der ganzen Stadt zu hören war. Er ritt nun durch das prächtigste Tor der Stadt. Es gehörte zum Sultanspalast, der mit seinen hohen Zwiebeltürmen weit über die anderen Gebäuden hinausragte. Er sprang schnell vom Pferd und nahm den Diener, der ihm den Zügel abnahm, kaum wahr. In den hohen Gängen die er jetzt durchquerte begegnete ihm niemand. Nur seine Schritte, die von den Wänden zurückgeworfen wurden, waren zu hören. Schließlich hielt er vor einer großen Flügeltür. Ein Soldat, an seiner roten Schärpe als ein der Leibwächter des Sultans zu erkennen, trat auf ihn zu. „Seine Majestät, der ehrwürdige Sultan Sumuris, ist gerade nicht zu sprechen. Er hält seinen ..."weiter kam der Wache nicht. Der Prinz hatte die Flügeltür aufgestoßen und, ohne wie der Leibwächter zu flüstern, befahl er dem Hofstaat, der am Ende des Saales um ein Liege versammelt war, ihn mit seinem Vater allein zu lassen. Die Berater, Dienstboten und Wachen verließen den Saal, während sie sich lautstark ermahnten leise zu sein. Der Sultan und sein Sohn blieben allein in der großen Halle zurück. Da sie unter der Erde lag, war es hier auch jetzt zur Mittagszeit angenehm kühl. Weil es keine Fenster gab, beleuchteten nur die Fackeln an den Wänden den Raum. Doch ihr spärliches Licht konnte die prächtigen Mosaike, die den Boden und die Wände schmückten, kaum ausleuchten. Die Figuren, die aus Halbedelsteinen zusammengesetzt waren, schienen sich im flackerndem Feuer zu bewegen. Am imposantesten stach aus all dieser Pracht jedoch die Herrschernische heraus, in der eine protzige Liege stand. Hier lag der Sultan und schlief.
Knallend fiel das Tor hinter dem Hofstaat zu. Was die lärmenden Diener hatten verhindern wollen, trat nun ein. Verschlafen gähnend, reckte sich der Sultan und setzte sich auf. „Shugun?Was machst du denn hier? Ich dachte du wolltest unsere Sommerresidenz erst zum Fest der Sonnwende verlassen?" Shugun hatte seinem Vater ruhig zugehört (Seine Majestät unterbricht man schließlich nicht) und sich auf einem Sitzkissen neben der Herrscherliege niedergelassen, auf dem vor ein paar Minuten ein Minister stundenlang auf seine Audienz gewartet hatte. „Das stimmt. Ist Radun hier?" Die Unruhe war in Shuguns Stimme nicht zu überhören. „Nein, du musst doch wissen, dass er nicht von Cosimos' Seite weicht," antwortete Sumuris tadelnd, während er jedoch gleichzeitig nach etwas anderem Ausschau hielt: „Kannst du mir mal die Schüssel mit den Weintrauben von dem kleinen Tischchen da hinten reichen?"„Papa!"
Sumuris zuckte zusammen, so wütend hatte Shugun geklungen. „Ich meine es wirklich ernst, kannst du dich erinnern in letzter Zeit irgendetwas von Radun gehört zu haben!?" Shugun war aufgesprungen und war auf seinen Vater zugetreten. „Nein, wie ich schon sagte ... ," antwortete der Sultan nachdenklich, während er sich am Schnurrbart rieb.„Nein!", sagte er zum Abschluss seiner Überlegungen „da war nichts. Ich habe alles so gemacht, wie du es gesagt hast Shugun. Ich habe keine Entscheidungen getroffen ohne dich vorher zu fragen; ich habe dir alles mitgeteilt, was die Minister von mir wollten!",trotzig richtete sich Sumuris zu seiner vollen Größe von 1,65 m auf. Die Aktion erreichte ihr Ziel, wenn auch nicht auf dem gewünschten Weg. „Schon gut, Papa,"lächelte Shugun gütig„du hast alles richtig gemacht." Seufzend drehte Shugun sich um. „Schlaf ruhig weiter. Ich werde Radun schon finden." Das ließ sich der Papa nicht zweimal sagen und schien dabei anscheinend selbst die Weintrauben vergessen zu haben. Als er an der Flügeltür angekommen war, schaute Shugun sich noch einmal um. Sein Vater schlief schon. Wie ein Kind.
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Das Lebenselixier
FantasyCadumerun: Ein Land wie aus 1001 Nacht. Oder doch nicht? Um ihren totkranken Bruder zu retten, ziehen Shugun und Radun in das Mystas Gebirge, um das sagenumwobene Lebenselixier zu finden. Was sie nicht wissen: Sie gelangen damit in das Nest der Rebe...