Berechtigte Vorwürfe

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Als Shugun das kleine Turmzimmer betrat, stand er am Fenster. Seine kleine Gestalt in dem nachtblauen, samtenen Pyjama hob sich stark von dem von der untergehenden Sonne geröteten Abendhimmel ab.
„Du willst wissen, wo er ist," stellte der kleine Junge fest ohne sich umzudrehen. Doch bevor Shugun antworten konnte sprach er auch schon weiter: „Er war zum letzten Mal vor zwei Tagen hier. Er hat mir nur gesagt, dass er bald wiederkommt."Hier machte er eine Pause. „Was!? Du hast gewusst, dass er weggeht, Cosimo? Wohin? Was hat er dir noch gesagt!?" Cosimo wandte den Kopf, sodass Shugun, der nähergetreten war, ihm in die Augen sehen konnte. Diese Augen waren eine kleines Wunder. Denn sie waren nicht braun, wie die aller anderen Cadumeraner. Sie waren wasserblau, sie hatten das Blau einer klaren Bergquelle und sie schienen alles Leid, dass der kleine Prinz durch seine unheilbare Krankheit erdulden musste einzufangen. Er ließ sich nie etwas anmerken. Man konnte seine Schmerzen nur erahnen. Shugun war auf einmal befangen. Ihn rührte das kleine, blasse Gesicht, das von schwarzen, etwas verfilzten Locken umrahmt wurde. Und nicht zuletzt bewegten ihn die Augen, die ihn ernsthaft und erfahren ansahen, wie die eines alten Mannes. „Es tut mir leid, ich hätte dich nicht so anfahren sollen," räusperte sich Shugun schließlich, verlegen den Kopf senkend.
„Schon gut,"beruhigte ihn Cosimo „du bist nur genauso besorgt wie ich." Dabei breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus, dass seine Augen wie blaue Diamanten erstrahlen ließ. „Es ist wegen mir,"fügte Cosimo traurig hinzu, das Lächeln war verschwunden, „er will irgendein Mittel finden, dass mich heilt."
„Weißt du wohin er ungefähr geritten ist? Oder welche Spur er
verfolgt?"„Nein. Aber ich wüsste jemanden der dir weiterhelfen könnte," antwortete Cosimo mit einem verschlagenem Grinsen. „Dann sprich."Shugun musste unwillkürlich auch lächeln. „Nein, jetzt bin ich mit Fragen an der Reihe." Er streckte seine kleine Hand aus und führte Shugun zum Bett. „Setz dich," bot Cosimo ihm an und nahm selbst im Schneidersitz neben ihm Platz. Verdutzt leistete Shugun dem Angebot folge, ließ die Hand jedoch gleich wieder los. Den kleinen Prinzen schien das nicht zu stören. Nachdenklich blickte er Shugun von der Seite an. „Wieso hast du mich all die Jahre kaum besucht?"Cosimos Stimme klang enttäuscht.„Ich habe dich besuchen wollen, aber ich hatte keine Z..."„Du weißt selbst, dass das nicht stimmt, was du gerade sagen wolltest. Du bist mein Bruder, aber ich kenne dich kaum."„Weißt du, eigentlich..." Allmählich wurde Shugun dieses Gespräch unangenehm, ach was das war es schon die ganze Zeit gewesen. „ Ich weiß was du sagen willst,"fuhr der Junge ihn an „eigentlich bist du nur hier, um Informationen über deinen Zwillingsbruder zu bekommen. Einen Bruder der dich so wenig interessiert, dass du sein Verschwinden erst nach zwei Tagen bemerkst. Dass du einen kleinen Bruder hast, fällt dir nun auch mal ein, nachdem du das die acht Jahre meines Lebens ignoriert hattest.Und jetzt? Jetzt willst du irgendeine zweitrangige Ausrede gebrauchen und dann weitermachen wie bisher." Cosimo war bei seiner langen Rede aufgesprungen und blickte Shugun nun vorwurfsvoll an. Stille trat ein. Man konnte draußen in den Ställen ein Pferd wiehern hören. Langsam ließ Cosimo den Kopf sinken und kletterte auf das Bett. „ Ich muss jetzt schlafen. Ich bin müde." Alle Wut war aus seiner Stimme verschwunden. Shugun stand betreten auf und breitete die Decke über seinen Bruder aus. „Brauchst du die wirklich bei der Hitze?"Shugun wollte einfach irgendetwas sagen. Alles war besser als Schweigen. „Ja," kam die Antwort „mir ist immer kalt, außer wenn das Fieber kommt. Das passiert alle paar Wochen."Seine Stimme klang schon ganz verschlafen.„Kommst du morgen um dich zu verabschieden?"„Was?Wieso?"Einen kurzen Moment dachte Shugun er hätte damit seinen Tod angekündigt. Noch einmal schenkte Cosimo ihm sein bezauberndes Lächeln, das seine Augen strahlen ließ. „Nun du wirst doch morgen aufbrechen um Radun zu suchen." „Achso?" Cosimo lachte. „Oh ja!" „Na wenn du das sagst." Shugun drehte sich um und wollte das Zimmer schon verlassen, da richtete sich Cosimo noch einmal auf. „Ach ja und sie heißt Deborah. Sie lebt im Stadtteil Cosabran, von ihr wirst du weiteres erfahren über ..." Den Rest verstand Shugun nicht mehr, denn der kleine Prinz war eingeschlafen. Sein Kopf, vom schwarzen Meer seiner Haare halb verdeckt, sah selbst gegen das weiße Kissen bleich aus.

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