Deborah

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Shugun erzählt weiter...
„Papa! Was machst du denn da?!", hörte ich plötzlich eine Frauenstimme erschrocken fragen. Mein Angreifer ließ von mir ab und ich konnte mich wieder aufrappeln. Vor mir stand eine Frau; vielleicht zwei Jahre jünger als ich. Ihr lockiges Haar schimmerte wie Ebenholz und fiel ihr bis über die Schultern. Sie hatte regelmäßige Züge und wunderschöne haselnussbraune Augen mit goldbraunen Sprenkeln. Sie erinnerte mich in irgendeiner Weise an meine Mutter und ich wusste nicht warum. „Er hat sich hier einfach reingeschlichen!", rechtfertigte sich ihr Vater und starrte mich wütend an. „Das hier ist immer noch ein Gasthaus. Hier darf jeder hinein.", entgegnete sie ruhig. „Kennst du ihn etwa?", fragte ihr Vater mit provozierenden Lächeln. „Ja." Nicht nur er, sondern auch ich schauten sie erstaunt an. „Ähm, beim nächsten Mal klopfe ich an.", erklärte ich, um das Schweigen zu durchbrechen. „Wenn es ein nächstes Mal geben wird.", knurrte der Mann drohend. „Papa", sagte seine Tochter tadelnd „wolltest du nicht die Ochsen füttern?" Murrend drehte er sich um und verschwand. Ich atmete auf. So einem unverschämten, raufsüchtigen Menschen war ich noch nie begegnet. „Also...", fing ich unsicher an. Doch sie  unterbrach mich. „Wahrscheinlich willst du erstmal etwas trinken."„Ja, sehr gern, danke."„Ich bin übrigens Deborah. Setz dich doch! Ich hol dir dann mal ein Wasser. Du siehst aus als könntest du das gebrauchen." Ohne mich noch einmal zu Wort kommen zu lassen verschwand sie durch eine angrenzende Tür. Erschöpft und noch etwas geschockt von dem Überfall ließ ich mich auf eines der Sitzkissen fallen. Es waren eigentlich nicht mehr als Strohsäcke und nicht wirklich gemütlich, aber ich war müde genug um mich nicht darüber zu beklagen. Deborah kam mit einem Krug Wasser zurück und setzte sich zu mir. Sie hält mich wohl für Radun, dachte ich mir. Hatte er sie öfters besucht? „Wird man hier immer so freundlich empfangen?", fragte ich nicht gerade höflich. Ich sollte mich wirklich mehr zusammenreißen, sie war schließlich eine Dame, wenn auch keine feine. Sie trug ein einfaches, Beiges Leinenkleid, dass ihr jedoch sehr gut stand. Sie schaute mich interessiert an. Ihre Augen schienen mich quasi zu durchbohren. Ich wandte meinen Blick ab und trank einen Schluck aus dem Krug. Im Blickduell war ich noch nie gut gewesen. Da hatte Radun immer gewonnen. Das kühle Nass rann mir erfrischend die Kehle hinunter. Trotzdem versuchte ich nicht zu gierig zu erscheinen und trank in kleinen Schlucken, so wie es die Etikette vorschrieb. „Es ist sehr ungewöhnlich, dass jemand um diese Zeit hierher kommt. Eigentlich arbeitet hier jetzt jeder. Deswegen war Papa so misstrauisch. Wir öffnen deswegen abends.", gab Deborah verspätet zu Antwort. „Aber du bist bestimmt nicht von deinem hohen Ross gestiegen, um mich hier im Elendsviertel der Stadt aufzusuchen, weil du wissen wolltest, wann unser Gasthaus öffnet, oder? Wenn etwas dich von den Regierungsgeschäften wegholt, muss es dringend und wichtig sein." Deborah sah mich skeptisch an. Es ist unverschämt jemanden so anzuglotzen, dachte ich mir. Außerdem: Kennt sie Radun so schlecht, dass sie nicht weiß, dass er sich gar nicht mit den Regierungsaufgaben beschäftigt? Ihre Reaktion bewies aber auch, dass Radun sie anscheinend nie hier besucht hatte. Ich stand vor einem Problem: Sollte ich ihr sagen, wer ich wirklich war? Und was dann? Wusste sie, wo Radun steckte? Und würde sie es mir sagen, wenn sie etwas wüsste? Ach, worauf hatte ich mich da nur eingelassen? Ich hatte wohl laut aufgeseufzt, denn Deborah sah mich verwirrt an und nahm mir dann zumindest eine Entscheidung ab. „Ich werde aus dir nicht klug, Shugun. Radun hat mir erzählt du würdest sogar seinen Geburtstag vergessen. Wieso willst du dann ausgerechnet mich kennenlernen?" Meine Augen weiteten sich: „Du weißt wer ich bin? Aber nicht einmal Papa kann uns auseinander halten. Wir sehen genau gleich aus."
„Aber euere Charaktere sind grundverschieden. Schon als du gesagt hast, du würdest beim nächsten mal anklopfen, war es klar. Und dass du versuchst, obwohl du ganz erhitzt bist, das Wasser in kleinen Schlücken auszutrinken und dass du dabei", hier unterbrach sie sich und musste ein Kichern unterdrücken, was ihr aber nicht ganz gelang.„dass du dabei noch versuchst den Krug wie ein Weinglas zu halten." Mit ihrer Selbstbeherrschung war es zu Ende. Sie lachte laut heraus und konnte sich kaum noch einkriegen. „Und dann sitzt du auch so komisch da.  So", sie suchte nach dem passenden Wort„würdevoll! Aber das sieht in den Kleidern einfach nur lächerlich aus." Sie prustete.„Radun benimmt sich ganz anders. Ihm ist Etikette und hoheitliches Auftreten überhaupt nicht wichtig. Wenn nicht sogar verhasst." „Gut, ich glaube dieses Thema haben wir ausführlich genug besprochen.", sagte ich im Befehlston. Sie sah darauf mehr erstaunt als erschrocken aus. Ich gestand mir selbst kaum ein, dass mich ihr Gelächter verletzt hatte. Mich hatte noch nie jemand ausgelacht. Zumindest nicht in meiner Gegenwart. „Worüber wollen Sie denn mit mir sprechen, Hoheit." Ich meinte eine Spur Ironie in ihren Worten zu vernehmen. Aber sollte mich das bei einer so aufgeblasenen Henne wundern? Ihr hatte anscheinend nie einer gelehrt, was sie sich nicht herausnehmen konnte, dachte ich mir beleidigt. Taktlos fiel ich mit der Tür ins Haus:„Wo ist Radun?"„Wo er ist?", fragte sie erschrocken. Die Schnellste schien sie ja auch nicht zu sein. „Ist er etwa verschwunden?" „Nein!", entgegnete ich unwillig„das habe ich mir nur eingebildet. Ich bin hier, weil ich ein Schwätzchen mit dir halten wollte. Nicht etwa weil mein Bruder seit zwei Tagen weg ist. Nicht etwa..."„Okay, okay!", redete sie beruhigend auf mich ein. „Nichts ist okay.", ich sprang auf „was weißt du, was ihm alles passieren könnte! Alle Mitglieder der königlichen Familie müssen sich vor Erpressern in Acht nehmen. Und er ist allein! Wenn du irgendetwas weißt, dann wäre jetzt der richtige Zeitpunkt es mir zu sagen!" Ich bereute jetzt schon mich so wenig beherrscht zu haben. Das war eigentlich nicht meine Art. Aber diese Sache überforderte mich irgendwie. „Ich weiß nichts. Ich habe ihn zum letzten Mal gesehen als ich wieder einmal Cosimo Geschichten erzählt habe. Als Cosimo dann eingeschlafen war, haben wir noch über dies und das geplaudert." Sie klang besorgt; mein Wutausbruch schien sie aber nicht beeindruckt zu haben. Naja, bei dem Vater. „Du erzählst Cosimo Geschichten?", fragte ich etwas ruhiger und setzte mich wieder. „Ja, weißt du das nicht?" Die Verwunderung spiegelte sich in ihren Augen. „Dadurch habe ich Radun doch erst kennengelernt. Er hat alle Geschichtenerzähler des Landes zusammengetrommelt, weil sich Cosimo so oft langweilt. Ich bin bei deinem kleinen Bruder wohl gut angekommen, denn seitdem besuche ich ihn oft."Das erklärte tatsächlich vieles. Sie sah mich schon wieder mit ihrem durchdringenden Blick an. Mir wurde wie vorher unwohl dabei, aber diesmal gab es keinen Krug hinter dem ich mich verstecken konnte. Denn der war leer. „Dachtest du etwa, er würde mich in Verkleidung besuchen? So wie du?" „Wann war das?", antwortete ich mit einer Gegenfrage.„Wann es war, dass er mich nicht besucht hat?" Als sie meinen strengen Blick sah, schien ihr das Witzen zu vergehen „Vor zwei, drei Tagen, glaub ich...Ja! Vor genau zwei Tagen.", erinnerte sie sich. „Darum hat Cosimo wohl gemeint du wüsstest etwas.", bemerkte ich. Was soll ich denn jetzt machen? Ich habe doch keinen anderen Anhaltspunkt! „Vielleicht ist er ja entführt worden!",fiel Deborah erschrocken auf. „Nein.", gab ich mit erzwungener Ruhe von mir. Wie konnte man nur so blöd sein? „Dann hätte er sich ja nicht von Cosimo verabschiedet."„Davon hast du noch gar nicht geredet. Was hat er denn zum Abschied gesagt? Irgendwelche Andeutungen?" „Nein. Das ist es ja. Nur nichts sagendes, wie dass er bald wiederkommt."„Aber, was hat er denn vor? Wieso sollte er einfach so abhauen? Gab es Streitigkeiten zwischen euch? Oder sollte er zu irgendetwas gezwungen werden?" Sollte das eine Befragung werden? „Nein.", gab ich ein wenig genervt zu Antwort „ihn zu etwas zu zwingen ist unmöglich! Da sind sich Papa und ich einig. Ihm geht es gut. Er hat keine Verpflichtungen." Ich versuchte mir den Neid nicht anmerken zu lassen. Deborah schaute mich weiter so direkt an, wie sie das anscheinend immer tat. Ich wusste also nicht, ob sie etwas bemerkt hatte. „Weiter?" Ihre Frage zeigte Ungeduld aber auch Interesse. „Er will Cosimo heilen." „Er will Cosimo heilen!" Ihre Stimme klang vor Schreck eine Oktave höher. „Ich weiß nur nicht, wie er das anstellen will. Die hervorragendsten Ärzte des Landes haben das nicht geschafft.", gab ich zu. Als ich wieder zu Deborah blickte, schaute sie ausdruckslos zur Wand. Mit wurde das ein bisschen unheimlich. „Was ist?", fragte ich vorsichtig.
„Mir ist gerade eingefallen, worüber wir bei meinem letzten Besuch geredet haben." Gespannt sah ich sie an.

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