Unwichtiger Brief?

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Shugun erzählt ...
Ich war extra früh aufgestanden, um das Viertel Cosabran zur Mittagszeit zu erreichen. Dann würde ich auf weniger Menschen treffen, was mir mehr als recht war. Als ich das Südtor wie gestern passierte und durch den Vorhof galoppierte, rief ein Wächter mir etwas zu. Verwirrt gab ich Luna ein Zeichen anzuhalten. Mein Stute gehorchte wie immer sofort und blieb im vollen Galopp so abrupt stehen, dass ich fast über ihren schönen Kopf hinuntergerutscht wäre. Der Wächter kam schnellen Schrittes auf mich zu, verbeugte sich mit einem dümmlichen Grinsen und überreichte mir immer noch gebückt den Brief. Luna schnaubte und ich musste fast lachen. Dieser Mann versuchte mir in gebückter Stellung einen Brief zu überreichen, während ich auf einem Pferd saß. Luna war schließlich kein Pony. Das fiel ihm schließlich auch auf. Es war ein Wunder, dass dieser Mann es auf so einen hohen Posten geschafft hatte, aber seine violette Schärpe bewies, dass er zu den höhergestellten Torwächtern gehörte, denen nur noch die Leibgarde des Sultans überstand. „Was ist das für ein Brief?"„Ich habe ihn nicht gelesen, Hoheit," antwortete er voller Pflichtgefühl, während er ihn mir überreichte. „Ich bin Jumgando Bodelfus," redete er weiter ohne dazu aufgefordert worden zu sein „Ich bin beauftragt das Südtor, während der Siesta zu bewachen. Es gibt keinen, der an mir vorbeikommt." Er lächelte stolz. Er gehört zu den Menschen, die ununterbrochen lächeln ohne einen Grund dazu zu brauchen. Ich blickte von ihm zum Brief und wieder zurück. Irgendetwas stimmte hier nicht. „Wer hat dir diesen Brief gegeben?"„Er ist mir vom Kämmerer des Obersten Ministers Trigidas heute morgen überreicht worden, als die Glocke gerade acht schlug. Seine Ehren wissen, dass Sie hier vorbei kommen würden, wenn sie aus der Sommerresidenz kommen." Der  Wächter, dessen Namen ich schon wieder vergessen hatte, blickte mich mit großen, neugierigen Augen an. Seine präzise Antwort bestätigte mich darin, dass da irgendetwas faul war. Er hatte sie bestimmt auswendig gelernt, so hatte es zumindest geklungen. Außerdem hatte er mehr gesagt als nötig und das ist immer verdächtig. „Aber im Palast hätte man mir den Brief doch auch noch übergeben können."Sein ratloser Blick reichte mir als Antwort.„Geh wieder auf deinen Posten." Doch er reagierte nicht.„Wissen Sie, es war doch schon eine sehr vertrauensvolle Aufgabe und ..."Er sah mich verlegen an. „Oh, hat dir Trigidas zu wenig bezahlt?"schmunzelte ich, gab ihm aber einen Silbertaler, worauf er fröhlich lächelnd abzog. Man wusste schließlich nie wofür man die Loyalität eines solchen Mannes noch brauchen könnte. Ich wusste damals noch nicht, wie recht ich mit diesem Gedanken hatte. Ich betrachtete den Umschlag in meiner Hand. Es war teueres Papier, keine Frage. Aber Paderon war eine reiche Stadt, das lag an der Regelung, dass nur Leute mit genügend Geld oder einer Ausbildung, hier leben durften. Von der Echtheit des Briefes überzeugte mich also nur das Siegel. Es war aus Wachs, mit einem Löwenkopf. Er war von einer Flammenbrunst umgeben, die ihn zu verzehren schien. Aber er schaute nur würdevoll zur Seite, als würde er sie nicht spüren. Es war eindeutig Trigidas Siegel. Das sah ich auf dem ersten Blick. Ich schaute mich um.Der Hof war leer. Oben auf der Mauer redeten zwei Wächter. Sonst war alles ruhig. Vorsichtig löste ich das Siegel. Der Brief war erstaunlich lang. Schon nach dem ersten Absatz musste ich lächeln. Trigidas wollte nur seine Tochter verheiraten. Doch mein Lächeln gefror. Nicht irgendeine Tochter: Diane. Ich schluckte und brach ab. Ich wollte gar nicht wissen, wer der Auserwählte war. Mir kam die Sache immer noch komisch vor. Nur Diane hatte gewusst, dass ich nicht vor hatte zum Palast zu reiten. Hatte sie etwas damit zu tun? Aber das konnte jetzt warten. Ich verstaute den Brief, in einer von Lunas Satteltaschen und ritt weiter. Ich hatte wichtigeres zu tun, sagte ich mir. Doch ein Gefühl der Beklemmung und der Trauer als hätte ich etwas Wertvolles verloren blieb.

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