Ungehaltene Versprechen

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Shugun erzählt...
Verwirrt schloss ich die Tür hinter mir und ging weiter zum großen Treppenhaus. Was sollte ich machen? Es kam für mich als Prinz und Regent meines Vaters gar nicht in Frage Radun persönlich zu suchen. Ich würde natürlich eine Kohorte Soldaten losschicken, um ihn zu finden. Der Junge hatte Vorstellungen! Ich hatte für ein ganzes Land die Verantwortung. Nicht nur für meinen „älteren" Bruder. Nun gut es waren nur sechs Minuten Unterschied. Wir waren ja Zwillinge. Doch irgendwie hatte er es immer geschafft seine Pflichten zu umgehen. Meistens, indem er vorgab nichts von Regierungsangelegenheiten zu verstehen oder wie jetzt auch, sich einfach wegzuschleichen! Cosimo hatte recht, in den letzten Jahren war er mir fremd geworden. Ich hatte zu viel zu tun gehabt, um mich um ihn zu kümmern. Außerdem tat er sowieso immer nur das, was er wollte. Während dieser Gedanken hatte ich die Treppe erreicht. Langsam schritt ich sie hinunter. Die Sommerresidenz hatte noch Mutter in Auftrag gegeben. Hier war alles nicht so protzig wie im Palast, sondern eher schlicht und elegant. Nur wenige Ornamente schmückten die Wände. Statt Mosaiken hingen Gemälde an der Wand. Die zeigten Landschaften aus allen Teilen des Reiches. Von Gebirgen bis zu Wäldern und Wiesen war alles vertreten. Doch auch Wüsten und Klippen an einem Meer waren abgebildet. Das Geländer der Treppe war golden und so feingliedrig gestaltet, das man Angst hatte es zu zerbrechen, wenn man sich auf ihm abstützte. Statt Treppenpfosten gab es kleine Palmen, die den Flair eines Wintergartens erzeugten. Zu dem torgroßen Fenstern flutete das abendliche, orangerote Sonnenlicht hinein. Ich befand mich im Zentrum des Palastes. Es war der einzige „Raum", dessen Fertigstellung meine Mutter noch erlebt hatte. Deswegen hat er für mich eine ganz besondere Bedeutung. Kurz vor Cosimos Geburt, bei der sie gestorben war, hatte sie mir diesen Saal gezeigt. Obwohl es ihr damals schon so schlecht ging, waren wir die Treppe auf und ab gegangen, um uns jedes Bild aus nächster Nähe anzusehen. Sie hatte sogar noch gelacht...
Ich war unten in der Eingangshalle angekommen. Wasserblaue, gütige Augen erwarteten mich dort. Es waren ihre Augen. Sie hatte sie nur ihrem jüngsten Sohn vererbt. Das Bild war noch vor meiner Geburt gemalt worden. Sie war darauf noch sehr jung. Sie lächelte zwar nur ganz leicht, aber es wirkte lebendig und natürlich. Ich erinnerte mich wie sie genau so gelächelt hatte, als sie sagte: „Ich werde nicht mehr lange hier sein, Schatz."„Was, Mama? Was redest du da?", hatte mein 14-jähriges-Ich erstaunt gefragt.„Du musst jetzt ganz stark sein, Liebling. Ich werde dir nämlich eine Aufgabe übertragen. Bevor ich gehe, wirst du noch einen kleinen Bruder bekommen. Versprichst du mir, dich um ihn zu kümmern?"„Natürlich, Mama. Ich werde auf ihn aufpassen."„Und versprichst du mir auch, dass du auf Radun achtest? Er tut oft Unüberlegtes."„Ja, Mama. Ich verspreche es."„Ach, mein lieber Sohn, wie viel Verantwortung auf dir lasten wird!"„Das schaff ich schon Mama. Ich bin ja kein Kind mehr. Und dir geht es bestimmt bald wieder besser."
Erst jetzt merkte ich, dass meine Hände den Bilderrahmen fest umklammerten. Meine Herz hämmerte mir gegen die Brust. Wie hatte ich ihre Worte so lange vergessen können? Ich hatte mein Versprechen doppelt gebrochen. Wie konnte sie mich da noch anlächeln? Wütend, unzufrieden und verzweifelt warf ich das Bild auf den Boden und gab ihm einen Tritt, sodass es über den Marmorboden schlitterte. Der Rahmen zerbarst am nächsten Pflanzentrog. Der Knall hallte von den Wänden wider. Dann war es wieder still. Vollkommen still.„Ich muss ihn selbst suchen gehen!" Entschlossen biss ich mir auf die Unterlippe. „Was musst du?" Ich drehte mich verwirrt  um. Vor mir stand eine wunderschöne Frau. Diane. Die Tochter von Papas obersten Minister Trigidas.

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