Stirnküsse

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Milo

November lag weinend in meinen Armen, ich Körper bebte und sie schien teilweise kaum atmen zu können.
Nichts war ihre Schule gewesen, doch ich verstand, weshalb sie sich die Schuld gab, hätte ich vermutlich auch.

Langsam begann ihr Atem sich zu beruhigen und sie hörte auf zu weinen.
Vermutlich war es wie eine Erlösung, die Schatten der Vergangenheit endlich auszusprechen.
Ich dachte an meine Vergangenheit, vielleicht musste ich es auch endlich raus lassen.

November lag nun leise atmend auf meinem Schoß, das Gesicht an meine Brust gepresst und hatte die Augen geschlossen.
Ich wusste nicht, was ich jetzt tun sollte. Vorsichtig streichelte ich ihren Rücken weiter und gab ihr zeit, zur Ruhe zu kommen.

"Danke." Kam es nach einer Weile von ihr.
"Danke für was?", ich hatte doch nichts getan.
"Danke für alles, dass du da bist, dass du mir zugehört hast, einfach Danke."
Ich schwieg kurz, für mich war es selbstverständlich gewesen, November bedeutete mir so viel, selbst nach der kurzen Zeit war sie mir schon so ans Herz gewachsen.
"Gern geschehen."
Sanft küsste ich ihr Haar, "ich bin da, wenn du mich brauchst."

Kurz verweilten wir noch auf dem Boden, dann rappelte November sich auf.
"Ich denke, ich würde jetzt gerne schlafen gehen." Sie sah müde und unglaublich fertig aus.
"Klar. Ich denke, ein wenig Schlaf würde uns beiden gut tun."

Ich stand auf und warf ihr noch einen kurzen Blick zu.
"Schlaf gut."
Ich küsste ihre Stirn.
"Stirnküsse sind ein Versprechen, Milo."
"Sind sie das?"
"Ja, sie sind ein Versprechen, man verspricht mit Ihnen, den anderen nie alleine zu lassen. Komme was wolle."
"Das Verspreche ich dir." Ich küsste ihre Stirn erneut.
"Ich bleibe bei dir, komme was wolle."
Sie legte ihre dünnen Arme um mich und umarmte mich noch einmal.
Als sie sich von mir löste, wandte ich mich dem Sofa zu und wollte mein Kissen und meine Decke zum schlafen hinlegen, als sie mich unterbrach.
"Ähm, Milo?"
"Ja?"
Fragend drehte ich mich zu ihr um.
"Würde es dir was ausmachen, wenn du bei mir schläfst?"
"Nein, natürlich nicht, ich schlafe gerne bei dir."
Sie griff nach meiner Hand und zusammen gingen wir in ihr Zimmer und setzten uns auf Ihr Bett.
Ich zog meine Jeans aus, wie sie auch.

Als ich mich nach hinten legte und zu ihr rüber blickte, sah ich, wie sich grade ihr Oberteil über den Kopf zog und nur noch in Höschen und Bh vor dem Bett stand.
Sie war so schön, ihre Haut schimmerte in dem diffusen Licht des Mondes, ihre Haare fielen sanft an ihr hinunter und ihr Körper war kurvig, andere hätten sie vielleicht schon als dick beschrieben, doch ich fand sie wunderschön.
Ihr Körper war ein Kunstwerk und alles so, wie es sein sollte.
Etwas unsicher blickte sie zu mir herab.
"Du bist so schön."
Meine Worte waren leise, doch ich wusste, sie hatte sie gehört, denn ein Lächeln glitt über ihre Lippen.
Sie fasste ihre Haare in einem Dutt zusammen und krabbelte zu mir ins Bett.
Ich wickelte die Decke um uns und spürte, wie sie sich an meine Brust kuschelte, ihre kühle Wange berührte meine warme Brust.
Ihr ansonsten warmer Körper war alles, was ich noch spürte bevor ich einschlief.

Etwas kitzelte mich an der Nase und weckte mich. Als ich die Augen öffnete sah ich, dass eine lose Haarsträhne von November war.
Sie lag halb auf mir, die Beine mit meinen verschränkt und ihr Kopf lag auf meiner Brust.
Ich strich ihr die Strähne hinter ihr Ohr und legte meine Arme um sie.
Meine November.
Sie begann sich langsam zu regen und blickte mich verschlafen an.
"Guten Morgen", nuschelte sie und ließ ihren Kopf erschöpft zurück auf meine Brust fallen.
"Guten Morgen."
"Ich habe selten so gut geschlafen."
"Das freut mich."
Eine Pause entstand.
"November?"
"Hm?"
"Ich, Ich sollte dir vielleicht auch was erzählen."
Sie setzte sich auf und blickte mich an, Verwunderung lag in ihrem Blick.
"Okay", sie raffte die Decke um sich, schieß los."
"Jetzt?"
"Jetzt!"
Ich schloss die Augen und überlegte, wo ich beginnen sollte.
"Ich bin eigentlich kein armer Student. Eigentlich könnte ich sehr viel Geld haben."
"Wie meinst du das?"
Sie rutschte ein Stück von mir weg und musterte mich.
"Meine Mutter hat einen reichen Mann geheiratet, wir sind eigentlich relativ wohlhabend. Aber ich habe kaum was von dem Geld, weil ich es ablehne, hin und wieder überweist sie mir dennoch was. Wir könnten davon ziemlich gut leben."

"Was ist der Preis für dieses Geld?"
"Wie meinst du das?"
"Sowas hat immer einen Haken."

So war das nicht geplant. Ich wollte doch nur etwas zur Haushaltskasse beitragen, nicht meine ganze verkorkste Kindheit erzählen.
"Ich."
Fragend sah sie mich an.
"Ich war der Preis."
Geschockt sah sie mich an.
"Er kam in mein Zimmer, wieder und wieder. Und sie hat es gewusst. Aber der Luxus war ihr lieber. 'Alle müssen Opfer bringen', hat sie immer gesagt. Ich war das verdammte Opfer."
"Milo, ich..."
"Es ist okay, November, es ist okay."

Ich blickte hoch an die Decke um sie nicht ansehen zu müssen. Ich fühlte mich dreckig und benutzt, verkauft von der eigenen Mutter.
"Hast du noch Kontakt zu deiner Mutter?"
"Nein, seit ich von zuhause weg bin, habe ich keinen Kontakt mehr zu ihr."
"Wirst du ihr verzeihen?"
"Nein, nein, das kann ich nicht, November."
Sie schwieg. Dann sagte sie " Manchmal ist Vergebung der einzige Weg, um seine Wunden heilen zu lassen."

"Und du?", fragend blickte ich sie an, "hast du dir selbst verziehen?"

"Das ist etwas anderes. "
"Nein, eigentlich nicht, aber lassen wir das."
Ich zog sie wieder an mich und vergrub mein Gesicht in ihren Haaren, "was passiert ist, ist passiert. Lassen wir die Vergangenheit ruhen."
"Ja." Sie küsste mich und knabberte an meiner Unterlippe, "lassen wir das hinter uns."

NovemberWo Geschichten leben. Entdecke jetzt