Mondstrahl

277 14 12
                                    

Kapitel 26

Schwester Akali schaute besorgt auf Twitch, der jetzt in einem kuscheligen Bett auf der Krankenstation lag. Er wälzte sich hin und her und sein Gesicht zuckte während er zischte und wimmerte. Sie tupfte sein Gesicht mit feuchten Lappen ab und rieb ihm etwas Kräutertinktur unter die Nase. Er schien keinerlei körperliche Leiden zu haben, zumindest nichts, was für Ratten untypisch wäre. Vielleicht könnte ja jemand anderes mehr für Twitch tun, als sie es vermochte.

Twitch lief durch den dunklen Innenhof. Kein Mensch war zu sehen. Die große Statue wirkte wie ein finsterer Monolith, der den Innenhof wie ein stummer Wächter überragte. Es war totenstill.
Selbst die Krähen waren nicht auf den Dächern, nur ein leiser Wind strich ihm durch seine Barthaare.
Er hielt die Nase in die Luft und schnüffelte leise. Da war etwas im Wind. Stimmen und Kälte.

Er rannte los, denn er spürte wie sich eine eiskalte Hand aus den Tiefen des Grabes nach ihm ausstreckte. Er rannte fort, ziellos, panisch. Er verließ den Hof und rannte weiter. Dort sah er Büsche und Bäume aufragen. Der Park. Dort könnte er sich verstecken, vor der Finsternis, die ihn verfolgte.
Obwohl der Park bei Tageslicht einladend und sanft wirkte wie ein zauberhafter Wald, so bedrohlich und düster erschien er ihm jetzt. Hunderte von Augen beobachteten ihn durch die Äste, welche wie skelettartige Klauen im Wind schaukelten. Er stolperte durch die Büsche, nur weg von den Stimmen und der Kälte.
Die Sträucher zerkratzen seine Haut und er verfing sich oft in den dürren Ästen, als wollten sie ihm den Weg versperren. Die Wurzeln der Bäume selbst schienen nach ihm zu greifen.
„Lauf, kleine Ratte!", ächzte eine dumpfe Stimme hinter ihm.

Er kämpfte sich durch einen Dornenstrauch und hielt inne.
„Nur eine Sekunde verschnaufen", dachte er bei sich. Ein knacken hinter ihm ließ ihn herumwirbeln. War da etwas gewesen? Oder war das nur der Wind.
Nein, er war es, wer sonst. Ein weißer Nebelfetzen waberte durch die Äste. Twitch feuerte eine Salve in den Nebel. Ein gurgelndes Lachen war die einzige Wirkung, die er damit erzielte. Also rannte er weiter, immer weiter. Er hatte komplett die Orientierung verloren. Alles um ihn herum sah völlig gleich aus.
Da, was war das? Er hörte eine Stimme im Wind. Keine finstere, dunkle Stimme, sondern eine helle, singende Stimme. Er schaute zum Himmel hinauf und da sah er den Vollmond. „Soraka", zischte Twitch. Vielleicht könnte sie ihm helfen. Er folgte der Stimme so schnell er konnte. Nun schienen die Büsche ihm den Weg frei zu machen. Sie ließen ihn durch, öffnete ihre Zweige vor ihm. Die Wurzeln wurden zurück gezogen und ein dünner Strahl Mondlicht zeigte ihm den Weg.
Dann stand er auf der Lichtung. Sie war vollständig vom Mondlicht erhellt. Ein silbriger Glanz spiegelte sich auf dem Brunnen wieder, der leise vor sich hin plätscherte.
Auf einem Pilz saß Soraka. Die Tauperlen auf ihrem Blättergewand glitzerten wie kleine Sterne. Sie lächelte Twitch an und mit einer Geste bedeutete sie ihm, Platz zu nehmen.

„Ich werde verfolgt", piepste Twitch ängstlich. „Kannst du mir helfen?".
Soraka lächelte und nickte dorthin, wo gerade ein weicher Sitzpilz aus dem Boden gewachsen war.
Twitch setze sich zögernd aber er fingerte nervös an seiner Armbrust herum. Ob sie ihm wirklich helfen könnte? Soraka begann mit melodiöser Stimme zu singen.
Ein Lied von den Tränen einer Göttin. Als sie sah, was die Menschen durchleiden musste, weinte sie viele Tränen. Die Tränen, welche auf den Boden fielen, wurden zu Dryaden, Feen und Nymphen, je nachdem welches Element sie zuerst berührten. Twitch lauschte ihrer Stimme. Er fühlte sich plötzlich geborgen und sicher
So als wäre er von einer langen, anstrengen Reise nach Hause zurückgekehrt. Er lächelte und lies sich sanft auf den Pilzstuhl fallen. Er wollte gerade die Augen schließen, da sah er einen weißen Nebelfetzen, der durch die Büsche kroch. Er starrte mit aufgerissenen Augen dorthin.
Der Nebel waberte durch das Gestrüpp und langsam zum Rande der Lichtung. „Ich komme um dich zu holen", flüsterte die Stimme finster. Twitch starrte in ein Augenpaar, die wie ein Abgrund in die Finsternis waren. Soraka schien den Nebel nicht zu bemerken, oder sie beachtete ihn nicht.

Die Wolke streckte eine nebelhafte Klaue nach Twitch aus. Doch als ihn beinahe erreicht hatte, fiel ein Mondstrahl auf ihn und die nebelhafte Klaue verpuffte wie ein böser Traum. Die Stimme grollte vor Wut und Hass. „Gib mir die Ratte", gurgelte sie. Soraka hielt inne und wandte ihren Blick auf die Nebelgestalt am Rande der Lichtung. „Twitch ist mein Gast", sagte sie sanft. „Du wirst ihn nicht bekommen".

„Du kannst mich nicht aufhalten, Dryade", ächzte die Stimme rasselnd.
Soraka stand auf und ging langsam zur Mitte der Lichtung. Sie hob ihre Arme und der Mond ließ ihre Augen strahlen. „Du bist nur ein verirrter Wanderer in der Welt der Träume", sagte sie leise.
„Ich aber bin hier geboren". Die Lichtung war nun in helles, mildes Licht getaucht. Überall glühten kleine Glühwürmchen wie Sterne am Himmel. Sie waren in den Bäumen und Büschen, im Gras und selbst auf Twitch und Soraka. Sie tanzten durch die Luft und einige schwirrten sogar im inneren des Nebels herum. Die bösartige Wolke floh, ein ächzen, wie von Schmerz und Verzweiflung verblasste in der Ferne. Twitch starrte sprachlos auf Soraka. Er wollte sich bedanken, aber er konnte keinen laut herausbringen. „Schlaf jetzt", flüsterte sie. Während sich Twitch wie in Zeitlupe in seinen Pilzsessel fallen ließ, lief Soraka eine einzelne, glitzernde Träne die Wange hinunter.

League of Legends - Wie alles begannWo Geschichten leben. Entdecke jetzt