Ein empfindlicher Punkt

11.5K 360 21
                                    

Sie wusste genau, dass er die Antwort schon kannte und dass es nicht nur beim Essen bleiben würde, doch sie wollte es ihm nicht zu leicht machen. Seine grauen Augen hatten sich verdunkelt, hatten dieses wölfische Glitzern angenommen, das nur zu genau zeigte, dass er vor Lust und Verlangen glühte. Verlangen nach ihr. Leicht lächelnd lehnte sie sich zurück: ,,Das Essen wird kalt." Nach ein paar Sekunden, in denen sie den Augenkontakt aufrecht gehalten hatte, unterbrach er ihn und antwortete: ,,Du hast Recht. Ich hoffe, du magst Rotbarsch?" Er hob die vornehmen Glaskugeln von den Tellern und stellte sie beiseite. Gebratenes Rotbarsch-Filet mit Spinat und Kartoffeln in Champagner-Soße kam zum Vorschein und unwillkürlich lief ihr das Wasser im Mund zusammen. 

,,Natürlich, es ist eine Köstlichkeit. Früher gab es das jedes Weihnachten bei meinen Eltern." Draco nickte und fing an zu essen. Hermine tat es ihm nach und nahm nach ein paar Bissen einen Schluck des Weins, der ein prickelndes Gefühl in ihrem Hals zurückließ. ,,Warum sind deine Eltern eigentlich ausgezogen?", durchbrach ihre Stimme die Stille, die hin und wieder nur vom Klirren des Bestecks unterbrochen wurde. Er sah auf: ,,Sie meinten, ich solle selbständig werden. Nicht, dass ich damit ein Problem gehabt hätte", fügte er schleunigst hinzu, um den Verdacht zu zerstreuen, er sei ein Muttersöhnchen. Wobei ihr diese Vorstellung ziemlich abwegig vorkam. ,,Außerdem wollten sie vergessen. Den Krieg und alles und das Haus ist geprägt von ihm", fuhr er fort. ,,Und sie haben ihre Leidenschaft für einander neu entdeckt und wollten ihre restliche Zeit in Ruhe und Frieden verbringen. Als altes Ehepaar quasi." 

Hermine konnte sich nicht vorstellen, wie Lucius und Narzissa Malfoy in einem gemütlichen Haus inmitten wunderschöner Natur ihre restliche Zeit in Ruhe und Frieden miteinander verbrachten, waren sie doch kaltblütige Todesser gewesen. Bei dem Gedanken daran schlich sich ein Grinsen auf ihre Lippen. ,,Was ist so lustig?" Sie schüttelte den Kopf: ,,Nichts, nichts. Ich konnte mir nur nicht vorstellen, wie..." Sie brach ab. Würde er nicht empfindlich reagieren, wenn sie ihm sagte, dass sie ihre Eltern nur als brutale Anhänger Voldemorts kannte? Gewiss, er wusste, was sie von ihnen hielt, doch sie musste ihn ja nicht gleich darauf ansprechen. Nervös kaute sie auf ihrer Unterlippe. Sie hatte den Abend nicht kaputt machen wollen, doch die Atmosphäre im Raum war deutlich kühler geworden. 

,,Wie sie friedlich miteinander leben? Da du sie nur als Mörder und arrogante Reinblüter kennst?", beendete Draco ihren Satz. Zähneknirschend nickte sie und plötzlich war ihr nicht mehr zum Essen zumute. Er fing wieder an zu essen und sie tat es ihm nach, auch wenn ihr der Fisch nicht mehr schmeckte. Sie hatte alte Erinnerungen, schreckliche Erinnerungen aus Kriegszeiten hervorgerufen und dafür gesorgt, dass sie bei ihm unbeliebt war. Und plötzlich kam sie sich egoistisch vor. Sie hatte nur an sich gedacht und vor lauter Selbstmitleid nicht auf ihn geachtet, was er denken und fühlen könnte ob ihrer falschen Wortwahl. Hermine fühlte sich unwohl in ihrer Haut und beendete schnell ihr Mahl.

Als Draco ebenfalls fertig war stand er auf und verließ den Raum, ohne ihr auch nur die geringste Beachtung zu schenken. Unruhig rutschte sie auf ihrem Sessel herum und verdammte sich ans Ende der Welt. Sie wollte allein sein, wollte sich wegsperren und sich gleichzeitig dafür bestrafen, dass sie offenbar eine alte Wunde in ihm aufgerissen hatte. Die Beklemmung und die altbekannte Panik stiegen wieder in ihr auf und das Bild von ihr und Bellatrix Lestrange schob sich ihr mit aller Gewalt in den Kopf. Schwer schluckte sie, schloss die Augen und hielt mühsam die Tränen zurück. Ein paar falsche Worte hatten gereicht, um ihn zu vertreiben und sie aus der Fassung zu bringen. Dass es so schnell gehen konnte, hätte sie nicht gedacht. Verdammt! 

Schließlich erhob sie sich und verließ den Saal. Es brachte nichts, sich in Selbstmitleid und Schuldgefühlen zu baden, sie musste die Sache wieder gerade biegen, nur so würde ihr Arrangement mit Draco Malfoy, das sieor kurzem getroffen hatte, weiterhin bestehen. Sie wanderte durch den ersten Stock des Anwesens, konnte ihn jedoch nicht finden und entschied sich dazu, in der Eingangshalle nach ihm zu suchen. Hermine schritt die Treppe zur Halle hinunter und ignorierte eine ganze bestimmte Stelle auf dem Marmorboden. Schließlich blieb sie vor der Treppe zu den Kerkern stehen, von denen ihr eisige Kälte entgegen schlug und sich ihr eine Gänsehaut bildete. Ein Bild von Harry und Ron, die gespannt auf den Stufen lauerten und schließlich hervorstürmten, um sie zu retten, tauchte in ihren Gedanken auf und sie musste sich in die Lippen beißen, um nicht die Fassung zu verlieren. Sie schmeckte Blut, ignorierte es jedoch. Vielleicht war er dort unten?

Hermine wollte nicht in den privaten Gemächern der Malfoys rumschnüffeln und der Kerker war schließlich für jeden zugänglich. Ironischer weise. Auch wenn sie sich nicht vorstellen konnte, was er in den Kerkern tun sollte. Sie atmete tief ein und aus und ging langsam, Schritt für Schritt, die Treppe hinunter, darauf bedacht, so leise wie möglich zu sein. In der Stille konnte sie ihren eigenen Atem hören, der vom Stein wieder geworfen wurde. Sie versuchte, sich selbst zu beruhigen und strich sich mit zitternder Hand eine Strähne aus dem Gesicht. Es war kalt, sie konnte ihren Atem sehen und zitterte am ganzen Körper. Hermine überwand sich dazu, ein paar Schritte in die Dunkelheit, die nur spärlich von Fackeln beleuchtet wurde, zu gehen. Selbst das Feuer der Fackeln spendete keine Wärme und die Atmosphäre war düster und bedrohlich. 

Sie tastete sich an der kalten Wand ab und bog um eine Ecke. Hermine konnte nichts sehen, zu spärlich war das Licht der Flammen. Dennoch schritt sie in die ungewisse Schwärze hinein und wurde fast vollständig von ihr verschluckt. Ihr Atem ging noch immer hastig und stoßweise, ihr Herz hämmerte rasend schnell, ihr Bauchgefühl verriet ihr nichts gutes und alle Alarmglocken in ihrem Körper schrillten. Ihr Instinkt sagte ihr, sich mit den Rücken an die Wand zu stellen, damit sie niemand von hinten angreifen konnte, doch sie war wie gelähmt und stand bewegungsunfähig ein paar Meter von der Wand entfernt im Gang.

Hermine konnte sich selbst nicht erklären, woher ihre Panik kam und gleichzeitig konnte sie es doch. Erinnerungen vom Krieg, an ihre Folter, an Voldemort, an die ständige Todesangst, die Horkruxjagd waren für dieses Empfinden verantwortlich, gewiss. Doch andererseits war der Krieg schon seit Jahren vorbei, sie hatte nichts zu befürchten, auch wenn ihr Trauma nicht geheilt war und es sie wohl für immer begleiten würde. Es war eine schlechte Idee gewesen, ausgerechnet das Malfoy Manor als Treffpunkt auszuwählen, war es doch von Erinnerungen an die Vergangenheit geprägt. Und sie konnte die Vergangenheit nicht loslassen, sie konnte es einfach nicht, sie hatte nicht den Mut und die nötige Kraft dazu. 

,,Wolltest du den Kerkern einen Besuch abstatten?", erklang eine Stimme hinter ihr. Sie zuckte zusammen und spürte, wie die nötige Kraft wieder in ihre Muskeln floss, um sich umzudrehen. Draco stand ein paar Meter von ihr entfernt und musterte sie kalt, in seinen Augen flammte der eiskalte Zorn. ,,Ich dachte, du wärst hier", gab sie zurück, ihre Stimme und ihr Körper zitterten noch immer ununterbrochen, während er keine Kälte zu verspüren schien. ,,Jetzt bin ich hier." 

,,Und jetzt?", kam es provokant von Hermine. Ihr gefiel die herablassende Art, mit der er sie behandelte nicht und konnte sich nicht zurückhalten. Zu ihrem Nachteil, wie sie feststellte. Draco kam auf sie zu, griff mit einer Hand in ihr Haar, während die andere auf ihrem Rücken sie gegen ihn presste und keinen Wiederstand zuließ. ,,Jetzt werden wir zu dem kommen, wofür du eigentlich hergekommen bist", hauchte er ihr mit rauer Stimme ins Ohr und küsste sie stürmisch. 

Zufall mit FolgenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt