⑭ Karim

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Es war spät geworden. Die Sonne ging unter, färbte den Himmel lila und das Meer schimmerte dunkel. Yves hatte Kaffee gekocht, mit dem wir jetzt in meinem Bett saßen. Erst schlürfte ich nur leise und verdrängte den Gedanken, dass ich ihm versprochen hatte ihm alles zu erzählen.

"Alles ok?", fragte er.
"Das ist relativ. In Afrika sterben Menschen..."

Er stellte seine Tasse weg und ich tat es ihm gleich.

"Wer war er?"

"Er war einfach immer da."

"Wo?"

"Dort wo ich war.", ich holte Luft. "Mit 15 Jahren traf ich die Liebe meines Lebens. Er war 19. Zugegeben, damals war es noch keine Liebe, denn die sollte auf Gegenseitigkeit beruhen. Sein- sein Name war Karim Malik.", ich fing an nervös an einem Faden in meiner Hose zu ziehen. "Das bedeutet 'der Größzügige'. Und das war er. Unglaublich großzügig. Mit seinem Geld, seinen Drogen, seinen Geschenken. Aber unglaublich geizig mit Gefühlen... Die Anziehung zu ihm war von Anfang an zu stark für mich als, dass ich sie hätte ignorieren können. Seine Grünen Augen haben mich vom ersten Moment an in ihren Bann gezogen." Bei diesem Gedanken bekam ich Gänsehaut. Ich spürte fast schon wie Tränen in mir hoch stiegen. Und dann ... legte sich eine Hand auf meine, die immer noch den Faden malträtierte. Ich atmete ruhig aus. 

"Alles an ihm. Seine fast schwarzen locken, seine gebräunte Haut. Diese Stimme. Sein komplettes Auftreten."

"Moment mal.", Yves Stimme zerstörte das perfekte Bild, welches ich vor Augen gehabt hatte. "Woher kanntest du ihn?"

Ich musste lächeln. 

"Das erste mal habe ich ihn in einem Hotel getroffen.", die Erinnerung an unsere erste Begegnung war noch so klar wie immer. "Ich war von meiner Pflegefamilie ausgerissen und habe in diesem teuren Hotel übernachtet. Am nächsten Morgen stand ich an der Rezeption und konnte die Rechnung nicht zahlen. Ich war kurz davor die Polizei auf den Hals gehetzt zu bekommen - da war plötzlich Karim da, er war ebenfalls Gast in diesem Hotel. Er zahlte die Rechnung für mich und auch noch eine Taxifahrt nach Hause."

"Und danach?"

"Danach habe ich ihn nicht mehr aus meinem Kopf bekommen. Zwei Tage später kam ich in das Hotel zurück und habe nach der Nummer von Karim Malik gefragt. Ich sagte ich wolle meine Schulden zahlen. Das war natürlich nicht der Grund. Die Nummer bekam ich. So führte eines zum anderen. Wir haben uns wieder gesehen."

"Und die Drogen? Der Absturz. Die - die Narbe."

Yves hing an meinen Lippen.

"Nicht in dieser Reihenfolgen.", ich schüttelte den Kopf. "Lass mir erst noch von ihm erzählen... Er war der einzige Sohn eines Reichen Ehepaares, welches in Ägypten lebt. Karim ist nach Berlin gekommen um zu studieren. Er war Künstler. Er konnte Malen wie Van Gogh, Picasso und Monet.", jetzt rollten mir Tränen über die Wangen ohne, dass ich etwas dafür konnte. "Er war Künstler."

Yves strich mir beruhigend über den Rücken. "Pause?"

Ich schüttelte den Kopf und redete weiter ohne mir etwas anmerken zu lassen.

 "Unsere zerküssten Hirne waren auch schon so high, von einander.  Aber das war ihm nicht genug. Und manchmal nahm er Drogen. Zur Inspiration. Extasy, LSD, PCP und verschiedene Pilze... Manchmal brauchte er einfach einen Rausch. Es - war meine eigene Entscheidung diese Erfahrung auch zu machen. Ich war 15 und auf einmal nahm ich Drogen, war verliebt und mit dem wunderbarsten Mann zusammen den es für mich auf dem Planeten gab. Er beschützte mich vor allem - außer vor sich selbst."

"Was ist dann passiert?"

"Dann hat er mir gesagt, dass er mich liebt. Das erste mal. Wir waren nicht einmal auf Drogen. Und...", der Klos in meinem Hals versperrte den Worten den Weg. "Und dann."
Tränen kullerten mir schon wieder die Wange hinunter. "Schsch. Ist schon gut. Lass dir Zeit.", Yves nahm meine Hände in seine, was mich noch mehr verwirrte.

"Er - hat mich an dem Abend bemalt.", schluchzte ich. "Eine Mondsichel hat er gezeichnet."
Ich deutete auf meinen Handrücken, auf dem eine Mondsichelförmige Narbe zu erkennen war

Yves schien nicht zu verstehen.

"Und ich wollte ihn nicht vergessen... also... also habe ich...", die Tränen überfluteten sich. Die Farben in mir schwappten über. Die Gefühle vermischten sich zu einem einzigen traurigen Ton. Ich weinte. Konnte nicht aufhören. Mein Atem kam stoßweise. 

Yves versuchte schon gar nicht mehr die Tränen weg zu wischen. Er hielt nur meine Hand, strich mir über den Rücken, sagte ein paar beruhigende Worte die ich nicht verstehen konnte.

Irgendwann kamen keine Tränen mehr, trotzdem saßen wir noch ruhig da. So ging das einige Minuten. Ich konzentrierte mich auf meine Atmung, er malte mit seinem Daumen muster auf meinen Handrücken. 

"Zwei Tage später war ich wieder bei Karim zuhause. Wir nahmen Drogen, mischten sie mit Alkohol und Sex. Als ich am nächsten Morgen aufwachte... lag ein lebloser Körper neben mir. Karim ist an einer Überdosis Heroin gestorben... Er wollte es nur mal testen....", ich zitterte bei jedem Wort, Tränen waren anscheinend keine mehr übrig. 

Bei der Erinnerung an den schlimmsten Tag meines Lebens wollte ich mich übergeben. Mir war schlecht, ich zitterte und schreie blieben mir im Hals stecken. 

Karim war tot.
Die Liebe meines Lebens war einfach gestorben.

"Er war alles für mich... War. Er wurde einfach so in die Vergangenheitsform geschickt."

"Und der Gletscher?"

"Bin ich. Ich sterbe im Tod der Nacht. Der Tod der Nacht ist der Tag. Und jeden Tag werde ich weniger, weil es ein Tag mehr ohne ihn ist. Er war ein Teil von mir." Der Beste Teil.

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