⑯ Woanders Zusammen

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Yves strich Louna eine Haarsträhne aus dem Gesicht. "Ich werde immer da sein. Bei dir. Ich werde dich zusammenhalten. Dir zuhören.", flüsterte er ehrfürchtig und blickte sie an. Sein ganzer Körper tat weh. Ein Ziehen in seiner Brust brachte seinen Herzschlag aus dem richtigen Rhythmus.  

Louna, die auf ihm lag und mit ihren kalten Händen sein Gesicht hielt blinzelte ihn an. Ihre grauen Augen blickten ihn an. So schön. So ehrlich. "Und was ist mit Liebe?", fragte sie endlich leise.

"Ich werde dich lieben wenn du mich lässt."

Louna wand ihren Blick ab, sie setzte sich auf ihm auf und legte ihre Hände auf seine Brust. Als sie sprach klang sie fast belustigt aber ebenso traurig. "Wenn es eine Garantie gibt, dann die, dass ich du mir das Herz brechen wirst." 

"Nein!", Yves setzte sich so schnell auf, dass Louna zurück weichen musste. "Louna Noa Fey. Hör mir zu. Ich liebe dich. Und ich würde mir eher mein eigenes Herz brechen als deines. Das schwöre ich dir." Die Bitte und die Verzweiflung die in seiner Stimme mitschwangen weckten etwas wie Mitleid in Louna. Doch dieses Gefühl hasste sie. "Bitte hör auf.", sagte sie schwach und schaute überall hin, nur nicht zu ihm. Sie machte sich von Yves los, der ihre Handgelenke festhielt und stand auf. Ihr Kreislauf drohte fast zu versagen, doch mit einiger Mühe schaffte sie es bis zum Fester, wo sie sich am Sims abstützte. 

Yves sprang auf und wollte zu ihr. Er wollte sie festhalten. Doch Louna wich zurück. "Nein. Yves das geht nicht. Mach das nicht mit mir. Ich bin nicht in der Lage einen Menschen zu lieben. Tu mir das nicht an." Tränen sammelten sich in ihren Augen. "Ich werde dich genug für uns beide lieben.", versuchte Yves es und schaute sie eindringlich an. 

"Hör auf mich an zu starren!" 

Yves zuckte zusammen. Ebenso wie Louna als sie sich selbst schreien hörte. Es war wie Folter zu sehen wie sie leidete. Seid dem ersten Tag, seid er sie behandelte konnte er ihr nicht helfen. Aber trotzdem ging es ihr jetzt besser als damals. Und jetzt wollte er sie. Er hatte sich in ein trauriges, kaputtes Mädchen verliebt. Und sie war alles was er wollte. Für ihn war Louna wunderschön. Mit all ihren Narben, Drogen und ihrer Geschichte. Ihre Augen könnte er nicht vergessen.

"Ich habe nie gesagt du musst perfekt sein!", schrie er verzweifelt zurück und ging auf sie zu. "Bei mir kannst du deine ganze Verrücktheit offenbaren. Du weißt, dass du mit mir reden kannst." "Yves bitte. Ich kann das nicht! Die Realität ist zu schrecklich um in ihr zu leben."

"Dann gehen wir nach Woanders! Zusammen."

Louna erstarrte. Woanders. Der Ort von dem sie ihm in einer ihrer Unterhaltungen erzählt hatte. 'Ist es nicht wunderschön einfach nicht da zu sein wo alle anderen sind?'  hatte sie ihm damals geschrieben. 

Und Yves sah es in ihren grauen Augen. Etwas hatte sich geändert.

"Zusammen?", fragte sie mit brüchiger Stimme. "An einen Ort an dem - nur wir sind?"
"Um einfach nicht da zu sein wo alle anderen sind.", stimmte Yves zu. Er war nah an sie heran getreten und wischte ihr eine Träne von der Wange. 

Manchmal musste man sich erst verlieren bevor man sich wieder findet. Louna Noa Fey hatte sich selbst verloren. Und Yves Delune hatte sie wieder gefunden. 

"Ich liebe dich."
"Ich liebe dich." Ihre grauen Augen leuchteten. Und trotzdem lächelte sie traurig.

"Woanders ist kein realer Ort Yves..."
"Das weiß ich."
"Und weißt du auch wie man dort hin kommt?"
"Nicht durch ein Kaninchenloch..."

Sie lachte und umarmte ihn. Sog seinen Duft ein. Spielte mit den Haaren in seinem Nacken. Dann löste sie sich von ihm, ging zu ihrem Schreibtisch und machte eine Schublade auf. Yves schaute ihr über die Schulter und sah was sie heraus holte. Eine durchsichtige Plastiktüte. Darin einige Spritzen, ein Säckchen voll mit weißem Pulver, ein Löffel, ein Feuerzeug und irgendwelche Pillen. 

~

Und dann verstand er es. Yves wusste was Louna all die Jahre meinte. Er kannte ihren Schmerz. Es gab kein Rätsel mehr. Alles ergab Sinn. Alles was sie jeh gesagt hatte. Es tat weh. Tötete ihn. Sein Herz war nicht nur zerbrochen - es wurde zerrissen. Wieso passierte das? War das pure Ironie des Schicksals? Wie konnte Yves so dumm sein? Dachte er wirklich das würde funktionieren? Eine normale, glückliche Beziehung zwischen einem Psychologen und einer verrückten? 

Er weinte. Die Tränen rannen heiß seine Wange hinab. "Nein! Tun sie was! Tun sie irgendetwas!", schrie er verzweifelt und strich über Lounas Wange. Lounas Augen standen offen, starrten die Decke an. Sie blinzelte nicht. Regte sich nicht. Atmete nicht. 

Die Schwestern und Ärzte um das Bett herum - alle waren still. Nur eine Frau in weißem Kittel sprach. "Bitte. Mr. Delune. Beruhigen sie sich." Vielleicht war sie die einzige die Englisch sprach. Oder die einzige die den Mut hatte mit Yves zu sprechen? Er weinte, schluchzte, heilt Lounas Hand und strich über ihre Wange. 

"Louna. Bitte. Bitte nicht. Komm zurück. Wir gehen wonaders hin. Ich verspreche es dir. Aber lass mich nicht hier zurück.", er kniete vor dem Krankenbett nieder, hielt ihre kleine, kalte Hand weiterhin fest. Er konnte sie nicht loslassen. Wo er sie doch gerade erst bekommen hatte. Er war verliebt in dieses Mädchen. Louna durfte nicht tot sein. Was war das für eine Welt in dem einen die Menschen genommen werden für die man atmet?

"Mr. Delune.", erklang die Stimme der Ärztin hinter ihm. "Sie müssen uns sagen wer sie ist. Wir brauchen einen Namen, eine Telefonnummer. Hat sie Angehörige?" 

Wer sie war.

Louna Noa Fey. Ein verrücktes, trauriges Mädchen. Der Mond, der die Meere in Yves bewegt hat. Das bewundernswerteste Wesen, dass er kennengelernt hatte. In all den Jahren ein Geheimnis. Eine Besessene, besessen von Karim, von grünen Augen. Louna war immer mehr als man ahnen konnte. Klug, undurchschaubar, wunderschön. Poetisch. Eine tote Batterie. Und trotzdem voller Leben. Poesie, Liebe, Schmerz, das sind die Dinge die uns in unserem Leben bewegen. Sie war jedes davon. Alle ihre Worte bedeuteten etwas. Und das was sie nicht sagte bedeutete noch mehr. Sie war ein Mädchen, dass ihre kühle Seite zeigte und im nächsten Moment bitterlich weinte. Ein Chaos. Louna war Künstlerin. Malte grüne Augen. Liebte Karim. Immer. Egal wie sehr sie Yves lieben würde. Und er wusste, dass es jetzt vielleicht gut war. Sie war vielleicht bei ihm. Woanders. Auf der anderen Seite. Und sie konnten zusammen sein. Woanders. Louna Noa Fey hatte niemanden mehr als Karim starb. Ihre große Liebe. Ihr Seelenverwandter. Ohne Ihn konnte sie nicht mehr sie selbst sein. Sie hatte immer etwas vermisst. Einen Teil von ihr selbst war mit ihm gestorben. 

Und so war es jetzt. Ein Teil von Yves starb mit Louna. Er hatte dieses Mädchen genug geliebt um mit ihr zu weinen. Drogen zu nehmen. Er hatte seinen Verstand ausgeschaltet. Wieso hatte er das getan? Jetzt war Louna tot. Hatte aufgehört zu atmen! Nach allem! Nach einem Selbstmordversuch, drei Jahren Therapie.

Es war ein Kreis der sich schloss. 

Karim war an einer Überdosis Heroin gestorben. Neben Louna hatte sein Herz aufgehört zu schlagen. Und nun war das gleiche wieder passiert. Louna starb neben Yves. Sie waren woanders zusammen. Und er war alleine in der Realität. Alles was er tun konnte war in ihre leeren grauen Augen zu schauen. Die grauen Augen, die er nie wieder vergessen würde. 

Ihre grauen Augen. 

Als Yves sprach war seine Stimme klar, nicht von Schmerzen verzerrt. Nur traurig. Nur verbittert. 

"Sie war nicht das Mädchen meiner Träume, aber das Mädchen jedes wachen Moments an jedem einzelnen Tag."


Ende

Ihre Grauen Augen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt