Kapitel 2

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"Hope?"; wiederholte Ed. Nach dem ersten Mal, als er meinen Namen nannte, hatte ich mich keinen Zentimeter bewegt, nicht einmal mit der Wimper gezuckt. Denn eigentlich hatte ich Ed schon abgeschrieben. Nun da er anscheinend doch mit mir reden wollte und nicht den größten Bogen um mich machte, hatte ich keinen Plan, was ich antworten sollte. Naja, vielleicht reichte es schon, wenn ich irgendeine Reaktion zeigen würde. 

"Ja“, es war eher ein leises Hauchen. Kaum hatte ich Reaktion gezeigt und mich umgedreht, schreckte ich auch schon zurück, da er näher stand, als ich es erwartet hätte. Gerade mal eine Handbreit trennten unsere beiden Gesichter. Bewusst blieb Ed stehen, schaute mir direkt in die Augen. Von der schüchternen, zurückhaltenden Person von gerade eben, war fast nichts mehr übrig. Seine aufrechte Haltung symbolisierte nur Sicherheit, obwohl er nach den richtigen Worten zu suchen schien. Die Sekunden verstrichen und wir standen uns immer noch schweigend gegenüber. Mit der Zeit wurde die Situation leicht unangenehm. 

"Also.." fing ich an zu sprechen, ohne dass mein Gehirn irgendeinen Befehl dazu gegeben hatte, "ich muss dann auch mal los, Katze gießen und Blumen füttern." Zum Abschluss schenkte ich ihm noch ein entschuldigendes Lächeln für meine glaubhafte Lüge und stolperte die Treppe hinunter. In der Lobby ignorierte ich Rita, die gelangweilt mit ihrem Kaugummi spielte und stürmte hinaus auf die Straße. 

 Der kommende Herbst kündigte sich bereits durch leichtem Wind an und die gewohnte sommerliche Sonne ging in einem immer kleineren Kreis über den Himmel. Die kühle Luft erfrischte meinen hochroten Kopf. Meinen Kopf in die Luft gestreckt, atmete ich tief ein und begann meinen Weg nach Hause. Mit jeder Minute, die ich unterwegs war, spürte ich die kommende Kälte, die heutige Nacht würden die Temperaturen bestimmt unter den Nullpunkt fallen. Manchmal verfluchte ich London und meinen Lebensstandard. Wenigstens hatte ich aber trotzdem ein Dach über dem Kopf und ein mehr oder weniger gemütliches Bett.

Als die ersten Straßenlaternen aufleuchteten, obwohl es wegen der trotzdem noch währenden Helligkeit sinnlos war, kam der Wohnblock in Sicht, in dem ich eine Wohnung gemietet hatte. Auf der Straße vor dem Haus, erblickte ich aber etwas, was ich schon lange gefürchtet hatte. Reihenweise stapelten sich Kartons auf, und auch das Klappbett, auf das ich seit Jahren die Nächte verbrachte hatte. Fassungslos starrte ich auf den Haufen, der sich angesammelt hatte. Mein Kopf hatte zwar realisiert, dass ich rausgeworfen wurde, ich wollte es aber einfach nicht wahrhaben. Ich war doch nur zwei Monatsmieten im Rückstand, wollte diese Woche  noch eine bezahlen. Aber trotzdem können sie mich nicht einfach rauswerfen.

Gestresst fuhr ich mir über die Hosentaschen und griff hinein. In der Eile hatte ich völlig vergessen, dass ich ja noch einen Schlüssel hatte, wenn sie das Schloss noch nicht ausgetauscht hatten. Voller Hoffnung drehte ich ihn im Haustürschloss - und hatte Glück. Die Tür schwang auf und ich trat ein. Die Kälte des Stiegenhauses fröstelte mich, dennoch setzte ich einen Weg nach oben fort. Als ich die Stufen in den ersten Stock erklomm, stellte sich mir jemand in den Weg. 

"Oh, hallo Hope, „ begrüßte mich eine feste, tiefe Stimme, begleitet von einem leicht fiesem Unterton. „Du hast aber schon bemerkt, dass deine Möbel einen bereits einen neuen Standort gefunden haben?" 

Mit genervtem Lächeln sah ich vom Boden auf um den dicklichen Vermieter, oder besser gesagt Ex-Vermieter ins Gesicht sehen zu können. Normalerweise würde ich jemanden, der so mit mir umspringt anschreien, aber in so einer Situation wäre das nicht besonders hilfreich. Mit einer netten, freundlichen Art könne ich vielleicht etwas mehr bewegen und unter glücklichen Umständen noch ein oder zwei Monate länger hier wohnen. 

"Ja, hab ich, nur hatte ich gehofft alles würde nur ein Irrtum sein“, lächelte ich ihn an. Aber an seiner schadenfrohen Miene änderte sich nichts. Im Gegenteil, er grinste nur noch bösartiger.  "Nö, kein Irrtum. Also könnte ich bitte den Schlüssel haben?" 

Ich umklammerte den Schlüssel nur noch fester, klammerte mich an ihn, wie die letzte Hoffnung, die ich noch hatte. "Bitte, wo soll ich sonst hin?" Statt einer mitfühlenden Geste, zuckte er nur die Schulter, was symbolisierte, dass er sich nicht einen Dreck um  mich scherte. "Mir egal. Entweder du gibst mir Geld oder den Schlüssel, das hier ist kein Obdachlosenheim." Mein Schweigen deutete er wohl als Zeichen, dass ich kein Geld hatte, und naja, er hatte Recht.

Mit einer flinken Handbewegung riss er mir den Schlüssel aus der Hand, ein Versuch ihn wiederzugewinnen schlug fehl. "Bitte..." flehte ich, aber der Herr des Hauses machte am Absatz kehrt, schritt wieder in seine Wohnung und schlug die Tür mit einem lauten Knall vor meiner Nase zu. Mein Instinkt sagte mir, dass ich gegen die Tür hämmern soll, bis er mir aufmacht und mir noch eine Chance gibt, aber auch ich hatte meinen Stolz. So eklig wie er war, würde er vermutlich ein bestimmtes Angebot machen würde, aber allein der Gedanke daran ließ mich aufstoßen. 

Schwer schluckte ich die Magensäure wieder hinunter. Meinen Hochmut repräsentierend richtete ich mich auf und stieg langsam und bedächtig die bereits bröckelnden Stufen hinunter. Erst als die Haustüre nach mir zufiel realisierte ich erst richtig, dass ich obdachlos war, kein Dach mehr über dem Kopf, kein warmes Bett. Ein Déjà-vu Erlebnis überkam mich, erinnerte mich daran, als mich meine Eltern mit den Worten "Du bist nicht mehr unsere Tochter" rausschmissen. Scheint hart und unfair, auf jeden Fall, aber sie hatten immer das Bild von der perfekten Familie vor Augen. Der gute Ruf war ihnen wichtiger, als eine gute Beziehung zur eigenen Tochter. 

Aber wenigstens hatte ich damals einen Plan, wo ich hinkonnte. Bei dem Gedanken an Alfred, meinen damaligen Freund, von meinen Eltern zutiefst gehasst, verzogen sich meine Mundwinkel zu einem sanften Lächeln. Dieses verschwand aber sogleich wieder, weil er mich am Ende auch im Stich gelassen hatte. Genau wie alle anderen meiner damaligen Freunde, welche auf rar gewesen waren. 

Schnell schüttelte ich den Kopf, um den Gedanken zu verdrängen, so wie ich es schon die letzten Jahre gemacht hatte. Mir blieb wohl nichts anderes übrig, als die nützlichsten Sachen von meinem Zeug zusammen zu sammeln und eine halbwegs warme Unterkunft für die Nacht zu finden. Während ich den Stapel durchkämmte ging mein Kopf alle Möglichkeiten durch, fand aber keinen passenden Platz, obwohl ich eigentlich nicht sehr anspruchsvoll war. Selbst als ich fertig war mit Durchsuchen, nützlich vorgekommen war mir mein Sparschwein mit etwa 20 Pfund und einem Block mit ein paar halb fertigen Songs, fiel mir nur das Hotel ein. Und eigentlich wollte ich genau diesen Ort vermeiden. Mir blieb aber anscheinend nichts anderes übrig, denn auf der Straße konnte ich nicht schlafen. Nicht, dass ich es noch nie gemacht hatte, aber ich fing schon jetzt an zu frieren und die Nacht war gerade erst angebrochen. 

So schlimm war diese Bleibe doch auch nicht. Wenn ich Rita und Ed aus dem Weg gehen konnte, würde ich ein gemütliches Bett finden und am nächsten Tag mal pünktlich zur Arbeit erscheinen. Tatsächlich ließ ich mein anderes Zeug liegen und machte mich flink auf den Weg zu meinen ach-so-tollen Arbeitsplatz.

Zum Glück gab es einen Lieferanteneingang, der vielleicht zwei Mal im Jahr benutzt wurde, aber dennoch war er vorhanden. Geheimagentenmäßig schlich ich an der Wand entlang, darauf bedacht, dass ich keine Geräusche machte. Im zweiten Stock öffnete ich eine Türe, von dessen Zimmer ich wusste, dass es nicht allzu schäbig ist. Um die Situation auszunutzen beschloss ich mal ausgiebig zu duschen und mich mit den Hotelprodukten so gut es ging zu verwöhnen. Meine wenigen Sachen legte ich auf das Bett und marschierte ins Bad. Dort entledigte ich mich meiner Kleidung und stieg unter die Dusche. Eine Weile lang ließ ich das Wasser auf mich herabprasseln. 

Plötzlich dachte ich ein Klopfen zu hören, aber vermutlich litt ich einfach nur an Verfolgungswahn. Leise begann ich zu summen, eine Melodie, die mir eigentlich nicht bekannt vorkam, aber als ich schließlich Worte zur Melodie hörte wurde mir klar woher ich sie kannte.

And I will fall for you

and if i fall for you

would you fall too

Erst als die Worte verklangen, bemerkte ich, dass nicht meine Stimme sie sang, sondern eine männliche, die mir bekannt vorkam. Die Stimme von Ed.

Rechts ein Bild von Hope

Give me love (Ed Sheeran FF)Where stories live. Discover now