Euphorie

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"Papa?", rief ich entsetzt und ritt zu ihm rüber. Stormur protestierte, doch er beschleunigte doch seine Schritte.
"Ist etwas passiert?", fragte ich schnell und war kurz davor, abzusteigen.
"Nein, nein, Ellie! Bleib bloß oben. Ich bin nur hier, weil ich einen Termin mit der Direktorin habe. Etwas Geschäftliches.", sagte er und legte eine Hand auf meinen Oberschenkel.
"Kann es weitergehen?", fragte Frau Scheffer und schaute mich fragend an.
"Ja, klar. Wir sprechen uns dann später, Papa.", sagte ich und ritt wieder los. Nun fing die Reitstunde erst richtig an. Stormur war so anders als Skvetta! Als ich mich erstmal an ihn gewöhnt hatte, war es einfach nur toll. Wir lernten uns ersteinmal etwas kennen und ich probierte die "Knöpfe" aus. Er war total fein im Maul und seine Gänge waren weich und fließend. Ich fing immer mehr an mich zu fragen, was in ihn gefahren war als er Christina umgehauen hatte.

Am Ende ritten wir noch ein Viergangprüfung durch und auch Lotte hatte sich nun bei der Bahn eingefunden, anscheinend auch ein wenig neugierig wie ich mit ihm zurechtkam. Stormurs Tölt war nach der Reitstunde und nach ein bisschen lockern und biegen total taktklar und wie es sich anfühlte auch mit toller Bewegung. Auch sein Trab war der Hammer und auch wenn ich es nicht sah, schmiss er die Beine sicher ziemlich hoch. Sein Schritt hatte mich ja schon vorher umgehauen und auch jetzt, wo wir außen herun ritten präsentierte er sich wie ein richtiges Turnierpferd. Ich gallopierte aus dem Trab an und musste aufpassen, nicht runterzufliegen, als er mit riesigen Sprüngen anfing zu gallopieren. Dagegen war Skvettas Gallop rein garnichts. Nach einer halbe Runde konnte ich halbwegs sitzen und arbeitete auch an Haltung und Schwung, obwohl auch das kaum nötig war.

Als wir die "Prüfung" beendet hatten sah ich, wie viele Schaulustige sich am Rand eingefunden hatten und Stormur bewundernd beobachteten.
"Das hast du wirklich toll gemacht!", rief Frau Scheffer und kam zu uns rüber.
"So toll ist er bei Christina nie gelaufen.", flüsterte sie mir dann zu und lächelte. Schnell führte ich Stormur zu seiner Box zurück und machte ihn fertig. Ich gab ihm sein Futter auf der Wiese vor dem Stall um die Zeit, die er in dieser muffigen Abseite verbringen musste so weit wie möglich zu minimieren. Als ich seine Sachen zurück in den Sattelschrank brachte kam Lotte angerannt, gefolgt von einer gequält grinsenden Christina.
"Wow, das sah so toll aus. Vielleicht ist das Pferd ja doch nicht so gestört, wie ich dachte!", jauchzte sie und fiel mir um den Hals. Auch Christina war jetzt bei uns angekommen.

"Das war wirklich gut. Willst du ihn weiterhin reiten? Mein Vater hat mir schon ein neues Pferd gekauft, das kommt bald. Ich habe keine Lust mich um beide zu kümmern.", sagte sie und holte ihr Handy raus.
"Das kommt darauf an, ob ich was zahlen muss und wenn ja, wie viel.", sagte ich und stemmte die Hände in die Hüften.
"Nein, nein. Das ist umsonst. Du tust mir ja einen Gefallen damit. Sag mir einfach bescheid, wenn du ihn bewegst. Hier ist meine Nummer. Ciao!", sagte sie, warf ihre Haare zurück und ging davon.
"Mann, die scheint es ja echt eilig zu haben...", sagte Lotte und ich schnaubte abfällig.
"Man könnte ja denken, das sie wenigstens ein bisschen an ihrem Pferd hängen würde. Aber nein, es ist ihr einfach total egal!", regte ich mich auf dem Weg zu unserem Zimmer auf. Schnell zogen wir uns um und gingen zum Mittag. Der restliche Tag verlief sehr ruhig und ich dachte ein wenig über das Geschehene nach.

Am Abend klopfte es an der Tür und als ich öffnete, stand mein Vater davor.
"Papa! Ich wusste garnicht, dass du noch hier bist!", sagte ich und umarmte ihn kurz.
"Ich bleibe noch bis übermorgen, es ist zu spät um zurückzufahren. Außerdem habe ich noch etwas in der Gegend zu erledigen. Ich habe ein Zimmer im Nachbarort.", sagte er lächelnd und schaute sich in unserem Zimmer um.
"Schön habt ihr es hier! Was macht die Schule?", fragte er mit einem Blick auf meinen Schreibtisch. Ich hatte gerade an einem Aufsatz für Geschichte gesessen und war von ihm unterbrochen worden.
"Alles ok, ich komme gut mit. Meine Klasse ist auch nett. Ach, und das ist Lotte, meine beste Freundin und Zimmergenossin.", sagte ich und Lotte nickte meinem Vater kurz zu. Auch sie arbeitete gerade an ihrem Erdkundeprojekt.
"Ich dachte wir könnten vielleicht in den Ort gehen und zusammen zu Abend essen?", fragte mein Vater und ich nickte.

"Ich muss mich nur noch im Sekretariat abmelden.", sagte ich, doch mein Vater schüttelte den Kopf.
"Das habe ich schon erledigt. Wir können gleich los.", erwiderte er lächelnd.
"Warte doch draußen, ich bin in fünf Minuten da.", sagte ich und schob ihn hinaus. Schnell zog ich mir eine schwarze Hose und eine schöne Bluse an, kämmte meine Haare und legte etwas Make-Up auf, zog meine braunen Sandalen an und nahm meine kleine Lederhandtasche.
"Bis später!", rief ich und verließ unser Zimmer. Der Abend mit meinem Vater, den wir in einem schicken kleinen italienischen Restaurant verbrachten, wurde sehr schön. Einzig auf meine Frage nach den "Angelegenheiten", die er angeblich hier zu erledigen hatte, gab er mir keine Antwort. Ich kam doch erst sehr spät zurück und schlüpfte so leise wie möglich ins Zimmer, unter die Dusche und dann ins Bett. Einschlafen konnte ich noch nicht gleich, dazu war heute einfach zu viel passiert. Ich durfte kostenlos ein absolutes Kracherpferd reiten, mein Vater war einfach so aufgetaucht und auch Christinas Verhalten beschäftigte mich sehr.

Schließlich schlief ich doch ein...

***

"Aufrecht sitzen, Beine lang!", rief Herr Goldmann über den Platz und ich korrigierte meine Fehler sofort. Ich strengte mich zwar an, aber nichts wollte so richtig klappen. Wir übten aus dem Schritt angallopieren, was für uns eine ziemlich anspruchsvolle Übung war. Mir lief der Schweiß in die Augen und die kleine Stute schnaufte vor Anstrengung.
"Ok, das reicht für heute!", rief er und ich parrierte erschöpft und entmutigt durch.
"Du musst mehr auf dich und deinen Sitz achten, Elaine. Wenn die Hilfen beim Pferd nicht richtig ankommen, kann es auch garnicht klappen.", schimpfte er mich nach der Stunde aus.
"Ich weiß, es ist eben alles noch so neu...", sagte ich bedrückt und machte mich mit Lotte auf den Weg auf unser Zimmer.

Auf dem Besucherparkplatz sah ich das Auto meines Vaters stehen und daneben... stand er mit unserer Schulleiterin!

4 Hufe, 2 Beine und 1 TeamWo Geschichten leben. Entdecke jetzt