Ein Mittwoch zum Verlieben

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"Mach dieses verdammte Ding aus!", murrte Lotte und meine Hand tastete nach dem Funkwecker auf dem Nachttisch. Ich war sofort hellwach, denn heute hatten wir wieder Reitstunde. Der Ausritt gestern hatte mich neuen Mut schöpfen lassen und ich war nun gewillt, mein Bestes zu geben und mit Skvetta eine Einheit zu bilden.
"Mpf...", grunzte Lotte und ich lachte.
"Ich habe noch nie jemanden getroffen, der so ein großer Morgenmuffel ist!", grinste ich und auch Lotte ließ sich zu einem halbherzigen Lächeln hinreißen, dass eher wie eine Grimasse aussah.

In der Mensa türmten wir unsere Teller wie immer mit frischen Brötchen, Obst, Müsli und Joghurt voll und verschlangen alles.
"Dasch ischt escht eine gute Scheite des Internatsch", nuschelte Lotte und die Mädchen vom Nachbartisch warfen uns böse Blicke zu. Sie konnten es wohl nicht ertragen, dass jemand wie Lotte, der perfekt aussah, sich dermaßen mit Essen vollstopften konnte. Das schien für sie vollkommen unmöglich.
"Also dann, auf zu Französisch!", sagte ich enthusiastisch und reckte eine Faust in die Höhe.
"Ja, auf geht's!", stieg Lotte mit ein und wir hüpften förmlich in den Klassenraum.

Unsere gute Laune verflog auch während des Schultages nicht, da wir nur sechs Stunden hatte, davon zwei Stunden Sport, und uns außerdem auf die Reitstunde freuen konnten. Doch als wir nach Schulschluss schnell unsere Taschen ins Zimmer brachten und uns in die Reitklamotten warfen, war ich mir nicht mehr so sicher und der Mut war fast vollständig verflogen.
"Du machst dir Gedanken, oder? Ich sage dir, denken hilft da gar nichts. Du musst einfach machen!", sagte Lotte und eine Wärme breitete sich in mir aus. Ich kannte sie seit ein paar Tagen und sie kannte mich jetzt schon besser als Gina, mit der ich immerhin 9 Jahre zusammen zur Schule gegangen war. Also steckte ich mir meine Leckerlis in die Jackentasche und wir machten uns auf den Weg in den Stall.

Auf der Liste erfuhren wir, dass wir heute im Dressurviereck 1 mit einem Trainer namens Herr Goldmann Unterricht hatten.
"Auf dem Dressurviereck? Was der wohl mit uns macht?", wunderte sich Lotte und auch ich machte mir Gedanken. Was, wenn er schwere Dressurübungen von uns verlangte, die ich mit einem braven Schulpferd aus meinem alten Stall vielleicht schaffen würde, aber hundertprozentig nicht mit Skvetta? Eigentlich hatte ich eine weitere Stunde auf der Ovalbahn erwartet. Nervös machte ich Skvetta fertig und auch sie wurde etwas zappelig. Ich zwang mich, ruhig zu bleiben, sei es auch nur um sie zu beruhigen. Diesmal kamen wir pünktlich, worüber ich echt erleichtert war. Ich hasste es zu spät zu kommen, wobei das am ersten Tag so gut wie normal gewesen war.

"Hallo, ich bin Herr Goldmann. Ihr seid Elaine und Charlotte?", empfing uns ein großer, schlanker Mann. Er musste früher sehr attraktiv gewesen sein, doch nun verschwand sein Gesicht unter tausenden Lachfalten. Er sprach mit französischem Akzent, wobei Charlotte sich eher wie 'Charlott' anhörte.
"Natürlich ist es nicht nur wichtig, dass ihr auf der Ovalbahn und Gangprüfungen reiten könnt, sondern auch, dass eure Pferde eine gute dressurmäßige Ausbildung haben. Daran werden wir zusammen arbeiten.", erklärte er, während wir unsere Pferde im Schritt aufwärmten.

Die Stunde wurde ein voller Erfolg! Herr Goldmann hatte genau die richtige Art, um uns die Dressur näherzubringen. Am Ende schafften wir Sachen wie Vorhandwendungen, Schenkelweichen oder Rückwärtsrichten, die ich noch nie mit Skvetta gemacht hatte. Außerdem übten wir Bahnfiguren ordentlich zu reiten und arbeiteten an unserem Sitz. Es war zwar anstrengender als alles, was wir bisher gemacht hatte, doch es machte total Spaß!
"Wow, das war mal eine Reitstunde!", rief Lotte mir zu.
"Ja, stimmt. Hat total gut geklappt!", erwiderte ich.
"Na siehst du, kein Grund zur Sorge.", sagte sie zwinkernd und wir sattelten unsere Pferde ab.

Als wir wieder in den Stall kamen hörten wir nur einen spitzen Schrei.
"Was war das?", fragte ich alamiert und schaute mich um.
"Ich habe keine Ahnung.", sagte Lotte kopfschüttelnd. Schnell brachten wir die Pferde in den Paddock und machten uns im Stall auf die Suche.
"Ok, du gehst links lang, ich rechts.", flüsterte ich und sie nickte. So leise wie es mit Reitstiefeln eben möglich war schlichen wir den Gang entlang.
"Ellie, hier rüber!", rief da Lotte und ich rannte los, während meine Schritte durch den ganzen Stall hallten. Ich fand Lotte bei einem der großen Stalltore, neben einem Mädchen hockend. Das Mädchen blutete am Kopf und konnte nur schwer ihre Augen offen halten. Ich schätzte sie auf ungefähr 17 Jahre.

"Hast du dein Handy dabei?", fragte ich und tastete meine Taschen ab.
"Nee, liegt oben auf dem Zimmer.", sagte Lotte und ich überlegte kurz.
"Ich geh Hilfe holen, bleib du hier!", sagte ich, nachdem ich tief durchgeatmet hatte. Ich konnte kein Blut sehen. Dann rannte ich auch schon los. Das Gelände war wie ausgestorben und nirgendwo liefen Schüler herum. Schnell warf ich einen Blick auf die Reitplätze und die Ovalbahn, doch auch dort war niemand mehr. Also musste ich zum Wohnhaus. Ich rannte noch etwas schneller und kam schließlich völlig außer Atem bei der Schmuckbaumfrau an.
"Schnell, wi-wir brauchen einen Krankenwagen!", japste ich und hielt mir die Seiten.
"Ganz ruhig, Liebes. Was ist denn passiert?", fragte die Frau und ich warf ihr einen bösen Blick zu.
"Eine Schülerin ist verletzt! Jetzt machen sie schon, bitte!", flehte ich und sah erleichtert, wie die Frau widerwillig zum Telefon griff.

"Hier, du darfst telefonieren. Ich weiß ja nicht, was los ist.", sagte sie. Schnell wählte ich die richtige Nummer und schilderte dem Zuständigen die Situation.
"Okay, wir sind in fünf Minuten da. Bleiben sie an der Einfahrt und leiten sie uns zur Verletzten.", wies er an und legte dann auf.
"Und?", fragte die Frau sehr geistreich.
"Ist gleich da.", sagte ich kurz angebunden und ging dann gleich in Richtung Einfahrt davon. Der Abend war ziemlich frisch und ich zog meine Jacke enger um mich. Erst da machte ich mir Gedanken über das, was passiert war. Was war mit dem Mädchen? Woher hatte es diese Kopfverletztung? War ein Pferd im Spiel? Wenn ja, wo war es jetzt? Ich stellte mich an die Einfahrt und hielt Ausschau. Nach etwa sechs Minuten kam er endlich um die Ecke und ich winkte ihn zum großen Stallgebäude.

"Haben sie uns angerufen?", fragte der Fahrer und ich nickte.
"Die Verletzte ist dort drüben am Stall. Meine Freundin Charlotte ist bei ihr.", erklärte ich ihm und wenig später hockte er neben den beiden auf dem Boden.
"Sie ist ohnmächtig geworden, kurz nachdem du weg warst.", sagte Lotte und kam zu mir rüber. Sie war total aufgelöst und ich umarmte sie.
"Alles gut, Lotti.", sagte ich und tätschelte ihr den Rücken.
"Wir nehmen sie mit ins Krankenhaus, das ist eine schwere Platzwunde. Sagt ihr der Schulleitung bescheid?", fragte der Notarzt. Wir nickten und sahen dem Wagen hinterher.
"Sie hat mir noch erzählen können, dass ihr Pferd sie getreten hat. Er heißt Stormur. Scheint in den Wald gerannt zu sein.", sagte Lotte leise.
"Das ist gut Lotte, so wissen die bestimmt, wer das Mädchen war.", sagte ich tröstend und klopfte ihr nochmals auf die Schulter.

Plötzlich ertönte Hufgetrappel hinter uns und ein wunderschöner Windfarbener lief auf den Hof. Man sah das weiße in seinen Augen und er schien sehr panisch. Er lief direkt auf uns zu.
"Was ist denn mit dem los? Meinst du, das ist er?", flüsterte ich bedächtig, während Lotte sich hinter mich stellte.
"Ich weiß es nicht.", fiepste sie und ich ging langsam auf das Pferd zu und redete auf ihn ein. Er beäugte mich argwöhnisch und wich ein paar Schritte zurück.
"Hey, du Hübscher. Es ist alles gut, kein Grund zur Panik.", sagte ich mit ruhiger Stimme. Er blieb nun stehen und ich kriegte seinen herunterhängenden Strick zu fassen.

"Lotte, könntest du jemanden suchen, der uns sagen kann, wo er hingehört?", fragte ich meine Freundin, die nickte und sich sofort auf den Weg machte.
"Was ist bloß mit dir?", fragte ich und strich ihm über den verschwitzten Hals.

4 Hufe, 2 Beine und 1 TeamWo Geschichten leben. Entdecke jetzt