4. Lichter der Stadt

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Lydia neigte ihren Kopf ein wenig nach Links, damit das Licht besser auf ihr Auge fiel. Ihre langen, roten Haare fielen dabei nicht wie sonst sanft über ihre Schultern, sondern waren bereits hochgesteckt und ihr Blick fiel konzentriert auf ihr eines Spiegelbild. Dann zog sie ganz behutsam einen dunklen Lidstrich hinter ihre Wimper, bevor sie ihr Kunstwerk beäugte. Der Strich war nicht hundert prozentig Identisch mit dem ihres anderen Auges, aber alles in einem war sie doch zufrieden mit dem Ergebnis.

Um ihrem Make-up den letzten Schliff zu verleihen, benutzte sie nur noch etwas Puder und ging dann ein Paar Schritte von dem Spiegel zurück. Nun war sie von Kopf bis Fuß darin zu sehen und sie musterte begeistert ihr eigenes Antlitz.

Es schien, als wäre das dunkelblaue, trägerlose Kleid extra für sie gemacht worden, denn es lag wie eine zweite Haut über ihrem Körper und folgte ihren leichten Kurven. Als sie sich langsam vor dem Spiegel hin und her drehte, funkelten die vielen wirklich winzige Pailletten im Licht und sie merkte wie das Kleid sie noch mehr in seinen Bann zog. Der weiche Stoff, der eng um ihre üppigen Brust lag und der etwas rauere, untere Teil, der locker ihre Hüften betonte, waren eine wortwörtlich atemberaubende Kombination.

Ihr rot-orangenes Haar trug sie als sanfte Hochsteckfrisur, aus der vereinzelte Strähnen in ihr Gesicht fielen. Alles war für sie auf eine unbeschreibliche Art und Weise perfekt.

»Es sieht aus wie ein Leuchtender Sternenhimmel«, sagte eine ruhige Stimme hinter ihr. Lydia drehte sich um und sah, dass ihre Mutter lächelnd im Türrahmen stand. In ihren Augen spiegelte sich das Funkeln von Lydias Kleid wieder und ihr Lächeln erweckte eine vertrautes Gefühl von Wärme und Sicherheit in ihrem Inneren. Ihre Mutter sah so glücklich aus und Lydia strahlte ebenso vor Freude. Zufrieden lächelte sie ihre Mutter entgegen, bis sie den Blick von ihr löste und sich anschließend wieder zum Spiegel drehte.

Ihre Mom hatte Recht. Lydias Kleid erinnerte plötzlich auch sie an die Sterne auf dem tief blauen Himmel, in einer klaren Winternacht und während es sie wieder in seinen Bann zurückzog, hatte sich ihre Mutter hinter sie gestellt. Mrs. Martin legte ihre warmen Hände behutsam auf die Schultern ihrer Tochter und lehnte den Kopf an ihren.

»Heute Abend wirst du das schönste Mädchen der gesamten High School sein und diese Nacht wird unvergesslich für dich werden«, flüsterte sie ihr sanft ins Ohr. Lydia drehte sich zu ihr um und nahm ihre Mutter so fest es nur irgendwie ging in den Arm. Wegen der weißen High Heels war sie zum ersten Mal in 17 Jahren größer als ihre Mom, was diese Umarmung ungewohnt wirken ließ. Und dennoch war es ein einzigartiger Moment, den sie für immer fest halten würde. Sie fürchtete fast das ihr Herz jeden Moment vor Freude platzte, so glücklich fühlte sie sich in den Armen ihrer Mutter.

Als ihre Mom sich nach einer Weile sanft von ihr löste, sah Lydia, dass ihre Augen ganz feucht waren und wieder schlich sich ein lächeln in ihr Gesicht.

»Wag es ja nicht jetzt zu weinen Mom, denn sonst fange ich auch noch an und das würde mein Make-up ruinieren«, sagte Lydia mit einem warmen Lachen in der Stimme und ihre Mutter stimmte mit ein. Der Anblick ihrer Tochter, die mit jedem Tag erwachsener wurde, bereitete ihr mehr Freude und vor allem Stolz, als alles andere auf der Welt. Da gab es schließlich auch nichts vergleichbares. Nichts war so stark, wie die Liebe einer Mutter zu ihrem Kind. Nichts konnte mit dem warmen, fast schon erdrückenden Gefühl in ihrer Brust konkurrieren.

»Wann ist mein kleines Mädchen nur so erwachsen Geworden?«, hauchte Mrs. Martin mit glänzenden Augen in den Raum und strich Lydia über das perfekt gestillte Haar. »In einem halben Jahr hast du schon deinen Abschluss und gehst irgendwo auf ein herausragendes College, während ich immer noch in dieser langweiligen Stadt fest sitze.« Wie immer verdrehte sie die Augen, wenn sie ihre heißgeliebte Heimat als öde verkaufen wollte, »Ich bin einfach nur so stolz auf dich Lydia.«

Creatures #Wattys2016Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt