2. Tiefer Schmerz

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»Und du bist dir ganz sicher?«, fragte er Isaac erneut. Dereks Stimme war regungslos und absolut ernst, nur war er sich nicht mehr so sicher, ob sein Beta es auch ernst meinte.

Für gewöhnlich waren Werwölfe eher faschistisch und betrachteten Kreaturen einer anderen Gattung abwertend und im Gegenzug selbst Fremde Wölfe als ihre Freunde und Verbündeten. Sie waren unter einander nicht auf Kämpfe aus und falls – wirklich nur falls – sie doch aneinander gerieten, dann gab es immer einen triftigen Grund.

Werwölfe waren ihrem eigenen Blut gegenüber stets Loyal. Rein theoretisch konnte man alle als ein großes Rudel bezeichnen, in denen es gelegentlich mal kleine Streitereien gab, aber sie waren eine eher friedliche Gattung. Zumindest, wenn es um ihres gleichen ging.

Genau aus diesem Grund hatte Derek auch nie verstanden, dass sich die Menschen andauernd bekriegten. Von den kleinen Gangs in den verhunzten Stadtvierteln bis zu Länder übergreifenden Allianzen, hatten sie nichts besseres zu tun, als sich gegenseitig abzuschlachten.

Die Wendigos waren nicht besser. Sie fraßen sogar ihre Geschwister oder Eltern, wenn sie der Hunger überkam und auch Chimären waren bekannt für ihren Drang, grundlose Kämpfe auf Leben und Tod aus zu tragen. Die einzigen Kreaturen des Mondes, die sich nicht wie wilde Tiere aufführten, waren die Kitsunes, denn sie waren viel zu edel und gerissen, um sich unnötig mit Blut zu besudeln.

Werwölfe waren ihnen in dieser Hinsicht ähnlich, denn als herrschende, loyale Macht, überlegten sie sich gut, wann sie ihre gewalttätige Seite zeigten und noch besser wann es einen Grund dazu gab, einen Ihresgleichen zu attackieren.

Derek und Isaac hatten sich jedoch nie etwas zu Schulden kommen lassen, womit sie einen anderen Wolf oder ein anderes Rudel provozierten. Sie waren nur zu zweit, beanspruchten ausschließlich Beacon Hills als ihr Territorium und begegneten nur selten anderen Wölfen. Ein solch kleines Gebiet, mit einer so unbedeutenden Stadt war es nicht wert darum zu kämpfen, für keinen Alpha gab es eine Rechtfertigung für einen Angriff, es musste also mehr dahinter stecken, viel mehr! Dessen war Derek sich absolut sicher. Nur was war der Grund?, fragte er sich ohne eine plausible Antwort zu erhalten.

»Irgendetwas stimmte nicht mit diesem Kerl«, stieß Isaac zwischen zwei schweren Atemzügen hervor und holte seinen Alpha damit wieder aus seiner Gedankenwelt zurück in die Realität. Derek drehte sich aufmerksam zu ihm um und lies seinen Blick anschließend wieder an dem Jungen herab wandern.

Isaac hatte seinen Kopf in den Nacken gelegt, um einerseits besser Atmen zu können und sich gleichzeitig von dem Schmerz abzulenken, der seinen gesamten Oberkörper, wie giftige Würmer durchzog. Seine linke Hand hatte sich in seine Jacke gekrallt, als Derek das T-Shirt aus der Wunde gezogen hatte, doch jetzt lag sie wieder locker neben seinem geschwächten Körper, während er seine andere Hand gerade zu seinem Gesicht herauf bewegte. In einer eher stockenden Bewegung wischte sich der Junge den Schweiß von der Stirn und lies seine Finger dann längst über sein Gesicht hinab wandern.

»Ich verstehe nicht«, äußerte Derek verwirrt und legte dabei seine Stirn in schwache Falten wie er es schon früher getan hatte. »Was meinst du mit ›Irgendetwas stimmte nicht‹?«

Dereks Frage blieb in der nach Blut und Schweiß stinkenden Luft zwischen den Beiden angespannten Werwölfen hängen, da Isaac ihr keine Aufmerksamkeit schenkte. Statt dessen schaute er zu den Kratzern herab, die langsam zu heilen begannen. Im inneren der Wunden war das Fleisch dabei wieder aneinander zu wachsen - wie Ranken die sich miteinander verschlungen, verschlossen sich die tiefen Schnitte in einem gleißend langsamen Tempo. Isaac wandte den Blick wieder von seinem aufgerissen Bauch ab und schaute sich um, bis er etwas hilfreiches erspäht hatte. Etwas, was ihm das aufstehen erleichtern sollte. Direkt neben ihm stand eine kleine Kommode, an der er sich hoch zu ziehen versuchte. Allerdings hatten seine Arme nicht mehr genug Kraft, um seinen Körper hoch zu stemmen und er konnte nicht aus eigener Kraft wieder aufstehen. Noch nicht jedenfalls.

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