17. Stimmen und Erinnerungen

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Lydia befand sich noch immer in ihrem Krankenzimmer. Alles um sie herum war weiß und trostlos. Es fehlte jede Farbe und auch die wohnliche Ausstrahlung ihres Zimmers daheim, vermisste sie sehr. Dies war ein bedrückender Ort, den Lydia möglichst schnell wieder verlassen wollte. Vermutlich wollte jeder, der hier war, auch schnell wieder verschwinden, doch ihr ging es nicht wie den meisten um den Geruch von Desinfektionsmittel, die ständigen Visiten oder das Gefühl todkrank zu sein. Sie fühlte sich auf eine viel tiefere Ebene von diesem Ort abgestoßen, auf eine ähnliche Wiese, wie sie sich seid dem Angriff im Inneren verändert fühlte. Als würde sie hier nicht her gehören. Nicht in dieses Krankenhaus und genauso wenig in ihren eigenen Körper.

Ihr Krankenzimmer schrie ihr hasserfüllt entgegen, das sie nicht hier sein sollte und sie wollte auch nicht länger hier sein. Es machte sie total verrückt, dass sie noch länger hier bleiben musste, denn der Raum wirkte auch nicht gerade einladend. Er hatte nur eine sehr sparsame Einrichtung. Bis auf einen Schrank und einer Kommode auf Rädern neben ihrem Bett, welche wahrscheinlich als Nachttisch dienen sollte, befanden sich keine Möbel in ihm. An den Wänden waren gelegentlich orangene Streifen gemalt, die wohl modern wirken sollten, doch Lydia erschienen sie nur überflüssig. Alles in einem hatte das Zimmer nichts spannendes, nicht einmal der Fernseher in der linken, oberen Ecke funktionierte.

Ihre Mutter und Stiles waren im Laufe des Abends wieder nach Hause gefahren, nachdem sie auch an diesem Tag mehr dösend als wirklich wach gewesen war. Nun war sie allein und obwohl sie noch immer müde war, hinderte sie irgendein fremdes Gefühl am einschlafen. Ihr blieb schließlich nichts anders übrig, als vor sich hin zu grübeln und so wanderten ihre Gedanken überraschend schnell zurück zum Ball. Diese schwachen Erinnerungen zogen sie magisch an. Obwohl sie eigentlich lieber an etwas anderes denken wollte, lotste ihr Verstand sie immer wieder zur Erinnerungen an diesen grauenvollen Abend zurück, also gab sie sich dem schließlich hin. Sie versuchte zögernd den Abend in ihrem Kopf noch einmal nach zu rekonstruieren und ging alles Schritt für Schritt durch.

Lydia erinnerte sich noch, dass sie mit Stiles getanzt hatte, anschließend führten sie ein Gespräch mit Danny, dann war sie zu den Toiletten gegangen. In ihrem Kopf tauchte wieder das Bild von Isaac und Allison auf, doch sie war bemüht, es direkt wieder zu verdrängen und so verschwand es wieder vor ihrem inneren Auge in der Dunkelheit. Als nächstes war sie nach Draußen gerannt, auch daran konnte Lydia sich noch ganz detailliert erinnern. Sie war dem Rand des Spielfelds gefolgt und obwohl es nur eine Erinnerung war, erkannte sie das ungute Gefühl wieder, dass ihren Körper auf die gleiche Weise wie in der Ballnacht überrollte. Genauso hatte sie sich zwischen dem Neben, dem Wald und den Flutlichtern gefühlt, als sie allein über den feuchten Rasen des Feldes lief. Jetzt ergriff es erneut Besitz von ihr, und lies ihr Herz hektisch gegen ihren Brustkorb schlagen. Es war mehr als nur Angst oder Panik, dieses Gefühl erschütterte sie mit einer viel intensiveren Kraft, als alles, was sie bisher gefühlt hatte.

Ihr Unbehagen wurde intensiver, aber sie lies sich nicht davon abbringen den Verlauf des Abends weiter durch zu gehen. Allmählich erinnerte sie sich sogar an den Berglöwen, der zwischen den Büschen hervor kam. Er war auf Lydia zu gerannt, hatte sie zu Boden gerissen und sie dann tödlich zerfleischt. Vor ihrem inneren Auge sah sie ganz genau wie es passiert war.

Doch irgendwas an diesem Teil der Erinnerung war anders. Sie wirkte wie ein vier Dimensionaler Kino Film; sehr realistisch, aber trotzdem nicht echt. Wie konnte ihre eigene Erinnerung nicht echt sein? Das ergab für sie einfach keinen Sinn mehr.

Egal wie sehr Lydia sich bemühte, sie konnte nicht aufhören, an die Begegnung mit dem Löwen zurück zu denken. Es musste einfach eine Stelle geben, an der sie erkennen konnte, dass das nicht echt war. Ein Loch in dem Schleier, hinter dem sich die Wahrheit versteckte. Doch es gab keine Löcher und scheinbar auch keine wahre Erinnerung. Das alles war viel zu verwirrend, unmöglich zu verstehen und warf gleichzeitig so viele Fragen auf, die ihr so oder so niemand beantworten konnte.

Creatures #Wattys2016Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt