Kapitel 1

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Der Mathekurs am Donnerstagmittag war stets eine Folter, was allerdings nicht daran lag, dass Sam das Fach nicht verstand. Im Gegenteil. Er konnte ohne zu lügen behaupten, dass er zu den Kursbesten gehörte. Aber gerade das war das Problem. Abgesehen von ihm und einem Mitschüler verzweifelten alle anderen Kursteilnehmer bereits an den Grundlagen der Mathematik, sodass dem Lehrer nichts anderes übrig blieb, als jede einzelne Aufgabe und jede einzelne Formel bis ins kleinste Detail zu erklären und selbst dann gab es stets noch 2-3 Fragen, die fünf Minuten zuvor bereits erschöpfend beantwortet worden waren. Des Öfteren bereute er es nicht einfach einen Mathe-Leistungskurs gewählt zu haben und so dem Ganzen nicht ausgeliefert zu sein.

Frustriert schnaubte Sam auf, als eines der Mädchen erneut eine völlig überflüssige Frage stellte, die zu Beginn der Unterrichtsstunde bereits zweimal aufgetaucht war. Verzweifelt und dem Tod durch Langeweile nahe lies Sam den Kopf auf den Tisch hinabsinken. Der tadelnde Blick, den er sich dafür von seinem Sitznachbarn einhandelte, scherte ihn herzlich wenig. Er sehnte das Ende der Stunde und damit die Mittagspause herbei.

Ein Blick auf die Uhr verriet ihm allerdings, dass er noch 30 Minuten überleben musste. Es war niederschmetternd.

Fünf Minuten lang starrte er einfach vor sich hin, was im Endeffekt noch unbefriedigender war, als sich über seine Kurskameraden aufzuregen. Allerdings hatte der Lehrer offenbar endlich eingesehen, dass sein Kurs einfach komplett talentfrei zu sein schien und schrieb einige Aufgaben an die Tafel, welche zur nächsten Stunde bearbeitet werden mussten.

Sam schickte ein kleines Dankeschön an seinen Mathelehrer Herrn Braun und vertrieb sich also einige der verbleibenden 20 Minuten mit den Aufgaben. Irgendwann räusperte sich Wolf neben ihm, der ihn seit einigen Minuten bereits beinahe fasziniert beobachtete, allerdings noch nicht eine Zeile selbst zu Papier gebracht hatte.

"Sam? Alter, kannst du mir noch mal helfen?", fragte er. Sam lächelte in sich hinein. Wolf war ein echt guter Schüler, gerade in den Sprachen glänzte er und im Sportkurs war er quasi unschlagbar, aber Mathe stellte ihn immer wieder vor unlösbare Probleme. Fußballer eben ;)

"Was los Wolfi? Angst vor ein paar Zahlen?", fragte Sam in einem mitleidigen Tonfall.

"Ach fick dich doch", war Wolfs schlichte Antwort. Schließlich erbarmte Sam sich dann doch noch einen Erklärungsversuch zu starten. Im Grunde war es sinnlos und verschwendete Zeit, da Wolf, als es schließlich klingelte, noch verwirrter war als zuvor und nicht mal mehr wusste, was die einzelnen Variablen darstellen sollten, aber für seinen besten Kumpel spielte Sam gerne den Papagei.

Auf dem Weg in die Pause lenkte er geschickt das Gespräch zu der anstehenden Volleyballprüfung, einem eindeutig entspannterem Thema, als Matheformeln.

Im Pausenhof gesellten sie sich zu Johnny und Luc, die gerade in eine Diskussion über den neuen Star Wars Film vertieft waren. Sam war bereits nach zwei Minuten komplett überfordert und wandte sich wieder Wolf zu, welcher gerade beinahe selig lächelnd auf seinem Handy herumtippte.

"Sarah?", fragte er wissend.

"Jep", bestätigte Wolf. Er schien noch etwas anderes sagen zu wollen, wurde allerdings von Ray unterbrochen, der offenbar gerade erst in der Schule angekommen war.

"Hey ihr Hurensöhne! Was geht!", rief er gut gelaunt und begrüßte alle mit Handschlag.

"Bitte sag mir, dass du nicht erst vor ner Stunde aufgestanden bist, Ray", stöhnte Johnny und verweigerte Ray den Handschlag. Im Gegenzug zog Ray seinen Kumpel in eine feste Umarmung, aus der sich dieser nach wenigen Sekunden direkt wieder herauswandt.

"Nein Johnny, keine Angst. Ich bin tatsächlich schon zwei Stunden wach", antwortete Ray lachend und wich dem folgenden Knuff von Johnny geschickt aus. Dieser verschränkte die Arme vor der Brust.

"Ach komm, ich bitte dich. Wozu brauch ich bitte Kunst und Deutsch? Mich interessieren die 'Meisterwerke' irgendwelcher Toten nicht und des Deutschen bin ich durchaus mächtig. Also wozu früh aufstehen?", verteidigte sich Ray immer noch grinsend und erntete ein nachdenkliches Nicken von Sam und Luc, während Johnny ihn immer noch anblickte, als hätte er den Verstand verloren.

"Och, ich weis nicht, Mister 5 Punkte. Vielleicht brauchst du die Stunden um das Schuljahr zu überstehen, aber abgesehen davon, dass du so dein Abi nicht packst, fällt mir tatsächlich nichts ein", erwiderte Johnny sarkastisch und funkelte Ray vorwurfsvoll an. Die anderen drei, die dem Streitgespräch der beiden bis hierhin beigewohnt hatten, warfen sich einen kurzen Blick zu und verschwanden dann gleichzeitig in Richtung Kiosk. Das konnte jetzt über Stunden so weitergehen und wenn Johnny tatsächlich wütend wurde, wonach es ganz stark aussah, dann endete das Ganze entweder in einer Prügelei oder Ray war klug genug frühzeitig nachzugeben und Johnny redete nur ein paar Tage nicht mehr mit ihm und lief griesgrämig durch die Gegend.

"Mensch Johnny, komm mal runter! Es ist immer noch mein fucking Leben und nicht deins", knurrte Ray zurück und spätestens jetzt war eh alles zu spät und Luc, Wolf und Sam machten endgültig, dass sie wegkamen.

Den Rest der Mittagspause verbrachten sie in sicherem Abstand zu Johnny und Ray, die noch ewig weiterdiskutierten, bis Johnny irgendwann offensichtlich der Kragen platzte und er Ray nach Strich und Faden und sehr lautstark, sodass auch der letzte der anwesenden Schüler in der Mensa mitbekam um was es ging, zur Schnecke machte. Ray verschwand anschließend frühzeitig in Richtung Sporthalle und auch Sam und Wolf folgten ihm wenig später nach.

Die Nachmittagsstunden waren generell unbeliebt bei allen Schülern, die Sam kannte. Wer auf die Idee gekommen war hier nun auch noch Leistungskurse stattfinden zu lassen gehörte seiner Meinung nach wegen Grausamkeit gegenüber wehrlosen Schülern sofort inhaftiert. Das hier nun Sport auf seinem Stundenplan stand war Fluch und Segen gleichermaßen. Zumindest in den Theoriestunden stand Sport anderen Fächern in Komplexität in nichts nach.

Heute stand die abschließende praktische Spielprüfung für Volleyball auf dem Programm und bedeutete für die Sport-LK Schüler eine angenehme Alternative zur Kopfarbeit.

Ihr Lehrer, Herr Wolle, verlangte in der Prüfung zwar absolut nichts unmögliches von seinen Schülern und doch war Sam am Ende der Stunde mehr als erleichtert, als er endlich duschen gehen konnte. Er war im Grunde zufrieden. Gut, an dem Aufschlägen hätte er vermutlich mehr arbeiten sollen, aber alles in allem konnte er mit 11 Punkten (2) absolut leben. Nachdenklich blickte er beim Anziehen zu Ray hinüber. Johnnys Standpauke hatte ihn vermutlich mehr getroffen, als üblich, denn von seiner großen Klappe oder den dummen Sprüchen, die er sonst stehts parat hatte, war heute quasi nichts zu hören gewesen.

Zu dritt verließen sie die Umkleide. Sam verabschiedete sich am Parkplatz schnell von Wolf und machte sich schließlich mit Ray an seiner Seite auf in Richtung Bushaltestelle.

"Was liegt am Wochenende an?", versuchte Sam das Schweigen zu brechen.

"Samstag ist bei Maik Einweihungsparty", antwortete Ray etwas kurz angebunden. Sam horchte auf.

"Jetzt schon? Dann ist wohl jetzt offiziell Sommer. Muss nur noch das Wetter mitspielen", fügte er hinzu und blickte hoch zum wolkenverhangenen Himmel. Mitte Mai schien das Aprilwetter sich noch einmal austoben zu wollen. Ray blickte ebenfalls hoch und nickte.

"Wird schon werden. Wie kommst du Samstag hin? Soll ich dich mitnehmen?", bot er an und Sam ließ sich das natürlich nicht zweimal sagen und nahm das Angebot umgehen dankend an. Keine zwei Minuten später verabschiedete sich auch Ray zu seinem Bus und wenig später trat auch Sam selbst in einem Weiteren seinen Heimweg an.


Fate is a bitchWo Geschichten leben. Entdecke jetzt