Kapitel 7

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Sonntag, 06.Oktober.1999

„Was?" Ich sah sie verwirrt an. „Nichts, gar nichts. Ich wollte dich nicht beleidigen, Care."
Ich verzog das Gesicht zu einer wütenden Grimasse und sie wurde immer kleiner. „Es tut mir leid, Care. Sei bitte nicht böse auf mich." Gemma wurde immer kleiner und sah mich mit entschuldigenden Augen an. „Ich wollte dich nicht verletzen. Es ist mir rausgerutscht. Bitte." Sie streckte ihre Hand nach mir aus, um mich an der Schulter zu berühren, aber ich zog sie stürmisch zurück. „Fass mich nicht an." Ich zischte die Worte zwischen meinen Zähnen hervor und schenkte ihr einen Blick, der töten könnte. „Care..." Langsam senkte sie ihre Hand wieder und sah traurig zu Boden. „Ich hab mich doch entschuldigt. Du weißt doch, dass ich oft nicht weiß, was ich sage." Ich spürte einen Stich in meiner Brust. Es tat so weh, wenn sie mich beleidigte. Wieso tat sie das so oft? „Ich weiß. Es tut trotzdem weh." Meine Stimme brach mitten im Satz ab und ich suchte ihren Blick, aber Gem starrte immer noch mit finsterer Miene auf den Boden. „Ich will das nicht mehr, Care." Ein Schluchzen entwich ihrer Kehle, doch ich versuchte stark zu bleiben. Es würde sich nie was ändern, wenn ich immer nachgeben würde. Sie müsste auch mal lernen ihre Stimmungsschwankungen unter Kontrolle zu bekommen. „Gemma. Wein nicht." Ich wollte sie in meine Arme ziehen, doch ich konnte nicht. Ich konnte sie nichtmal mehr ansehen. „Es tut mir so leid, dass ich dich immer verletze, Care. Meine Wut trifft immer nur dich." Sie sah mit Tränen in den Augen zu mir hoch und ich konnte den Schmerz in ihr sofort sehen. Sie bereute es tatsächlich. Doch Gem bereute es immer. Sie konnte es nur nie ändern. „Es ist okay, Gemma." Ich konnte nicht mehr hart zu ihr sein. Sie konnte nichts für ihre Stimmungsschwankungen. Es war die Krankheit, die sie auffraß, nicht sie selbst. Deshalb öffnete ich meine Arme und zog sie in eine feste, tröstende Umarmung. „Es ist okay, Gem", flüsterte ich gegen ihre Stirn und drückte ihr einen leichten Kuss darauf.

Meine Gedanken schweiften wiedermal, als ich auf dem Fensterbrett saß und die Bäume, die im Wind wippten, beobachtete.
Dazu drang Musik durch meine Kopfhörer in meine Ohren. Ich bereute jeden Streit, den ich mit Gem geführt hatte. Ich wünschte mir, dass ich jeden Streit vermieden hätte und nur gute Erinnerungen mit Gemma hatte. Doch auch die schlechten sind für mich zu guten Erinnerungen geworden. Ich musste mich an jedem Detail festkrallen, das mein Gehirn mir schenkte.

„Lauf du Kuh!" Lachend rannten wir über die Parkwiese. Weit weg von dem Typen, der uns erschrocken hatte. „Ich hab Angst, Care!" Sie lachte und ich musste auch lachen. Es war Halloween und Gemma und ich hatten uns dazu entschieden Süßes oder Saures zu spielen. Kindisch? Nein, überhaupt nicht. Wir waren zwei Studenten, die sich keine Süßigkeiten leisten konnten. Wir hatten uns dazu entschieden durch den dunklen Teil des Parks zu gehen, um danach etwas in der Bar  auf der anderen Seite zu trinken. Wir hatten nicht damit gerechnet, dass sich dort Leute versteckten, die uns erschrecken würden.

Gemma hatte einen riesigen Vorsprung und ich rief ihr hinterher, dass sie warten sollte. „Warte auf mich!" Ich versuchte schneller zu laufen, um sie einzuholen und bekam fast keine Luft mehr, da ich so viel lachen musste. „Na komm, du Schnecke!" Sie drehte sich um und stützte sich auf ihren Oberschenkeln ab, um nach Luft zu ringen, während sie auf mich wartete.
Als ich bei ihr ankam, sah sie zu mir hoch, ohne ihre Position zu verändern und lachte mich aus. „Wie zerstört du aussiehst." Ich grinste sie frech an und fuhr mir dann gelassen durch die Haare. „Danke", zwinkerte ich und hustete ein-zwei Mal.

„Ich hab meine Süßigkeiten verloren", sagte Gemma traurig und ich musste kichern. „Solche Ärsche!" Sie drehte sich in die Richtung aus der wir gekommen waren und schrie laut in die Dunkelheit: „Ihr schuldet mir Süßigkeiten, ihr Penner!"

Gott, umso länger ich an die Zeiten mit Gemma dachte, desto mehr wollte ich mich ins Bett legen und alles rausheulen. Blöderweise war Helena im Zimmer und machte ihre Hausübungen. Ich wollte nicht vor ihr weinen. Sie würde mich fragen, was los ist und daraufhin müsste ich nur noch mehr heulen. Deshalb blieb ich auf dem Fensterbrett sitzen und starrte gedankenverloren in den Himmel. Ich würde zu gerne wissen, ob Gemma nun bei ihren Eltern im Himmel war. Oder war sie nur in einer Zwischenstufe zum Himmel gelandet?

Zu spät (Harry Fanfic) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt