Kapitel 12

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„So, so, wie ich sehe, hattest du Spaß", höhnte Satan, als seine klobigen Finger über die Knutschflecken und Spuren der Liebesbisse an seiner Schulter wanderten. Lucifer senkte den Blick und hoffte, er würde zumindest heute unbeschadet davonkommen. Schuld und ein merkwürdiges Gefühl von neuem Selbstbewusstsein rangen miteinander, ohne dass er bisher zu einer Lösung gekommen war.

Er spürte Amons Blick auf seinem Rücken, während der Dämon in der Ecke kauerte und darauf wartete, dass Satan ihn entweder fortschickte oder zu sich rief.

„Wen hast du an dich herangelassen, kleiner Engel?", fragte Satan erbarmungslos weiter und tastete über die Kratzspuren auf Lucifers Bauch. „Eines der Dienstmädchen? Oder eine hübsche Dämonin von außerhalb? Obwohl ich kaum glaube, dass du mit diesem verkrüppelten Bein irgendwo hingehen könntest."

Er versetzte Lucifer einen etwas zu groben Stoß, sodass dieser das Gleichgewicht verlor und stolperte. Ihm war bewusst, wie sehr Satan es liebte, von unten herauf angesehen zu werden, weshalb er seine Opfer zuerst zu Boden schlug, um sie dann weiter zu verhöhnen. Lucifer hatte nichts als Hass für diesen Mann übrig, der ihn nun mit großen Schritten umrundete.

„Oder einen Mann? Man sagte mir, du wärst denn hübschen jungen Engeln sehr zugetan." Seine roten Augen wanderten über Lucifers Körper, der das Zittern seiner Hände nur schwer unterdrücken konnte. Aus seinem Mund hörte es sich so abfällig und demütigend an, was seit Wochen sein erster Lichtblick gewesen war.

Lucifer senkte den Blick und bemühte sich, seinen Körper wieder unter Kontrolle zu bringen. Satan mochte ihn noch so sehr demütigen, niemals würde er sich ihm unterwerfen!

Die Schritte waren verklungen und als mehrere Sekunden lang Stille herrschte, wagte Lucifer es, zu dem Höllenkönig aufzublicken, der ihn abschätzig musterte.

„Es interessiert mich, kleiner Engel: Wer ist es gewesen? Wen hast du verführt? Wem hast du dich hingegeben?"

Mit einer kurzen Geste erlaubte Satan, dass Lucifer sich wieder aufrichtete, was aber nicht dazu beitrug, dass die beiden einander auf Augenhöhe begegneten, denn der Dämonenkönig überragte den Engel um fast einen halben Meter.

„Antworte mir!", verlangte Satan in einem nun schon weniger künstlich-freundlichem Tonfall. Kühl blickte Lucifer ihn an, spürte die Gleichgültigkeit der drohenden Schläge und Misshandlungen, mit der auch Amon vor Satan trat. Innerlich war er wie tot, seitdem er aus dem Dunkel der Zelle entstiegen war. Nichts konnte so schlimm sein wie die Abgründe in ihm selbst.

„Ihr mögt mich foltern und demütigen, aber an manche Dinge könnt Ihr niemals gelangen", entgegnete Lucifer so ruhig wie es ihm möglich war. Er bückte sich, hob sein Oberteil auf, das Satan ihn hatte ausziehen lassen, und kleidete sich wieder an. Es verlieh ihm ein Gefühl von Macht, die er an Satan verloren hatte, und der ungläubige Blick des Höllenkönigs verschaffte ihm eine tiefe Befriedigung.

„Wird der kleine Engel frech?", lachte Satan und zog Lucifer am Hemd zu sich. „Du hast es wohl noch immer nicht verstanden: Du bist niemand mehr. Der einzige Grund, warum du noch am Leben bist, ist der, dass ich es gestatte."

Ein Gedanke regte sich in Lucifer, ganz kurz nur trat er in sein Bewusstsein, im nächsten Moment verwarf er ihn wieder, so abstoßend und verwerflich fand er ihn.

„Und wenn ich sterbe?", fragte er frei heraus.

„Wirst du nicht." Das diabolische Grinsen war auf Satans Gesicht zurückgekehrt. „Du bist mein Eigentum, mit dem ich machen kann, was ich will. Und auf mein Eigentum gebe ich Acht."

Seine große Hand lag auf Lucifers Bauch, der nun durch die Kleidung verdeckt wurde, ansonsten jedoch keinen Schutz gegen die langen Klauen bot. Im Gegensatz zu den anderen Dämonen, die beliebig zwischen einer alltäglichen Erscheinung und ihrer animalischen Dämonenform wechseln konnten, schien Satan sich dauerhaft in letzterer zu befinden.

LUCIFER - HöllensturzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt