-3-

31 3 2
                                    

,,Skylar, bitte ! Was habe ich dir getan, dass du nur mich so nervst!" Sie drängte mich an die Schließfächer, sodass ich mit dem Gesicht zu ihr gedreht stand. Ich erstickte fast in ihrer Wolke aus Parfum, aber ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen. Irgendwie wollte ich an die frische Luft. ,,Ach komm. Ich weiß, dass du mich auch unwiderstehlich findest...", sagte sie mit arrogantem Ton. Ew. Nein. Plötzlich wurde die Schließfachtür neben uns geöffnet und ein blauhaariges Mädchen mit schwarzem Hoodie und schwarzer Skinny-Jeans meinte: ,,Skylar, du siehst doch, dass der Junge genervt von dir ist. Obwohl, nein. Streich das lieber. Unter der ganzen Schminke, die du im Gesicht hast, würde ich das auch nicht merken." Ich betrachtete sie etwas genauer. Sie hatte zarte Hände und lange Finger. Ihre Bewegungen sahen sehr schnell, aber gleichzeitig enorm elegant und kraftvoll aus. Insgesamt schien sie nicht wie andere Mädchen zu sein. etwas war anders, allerdings konnte ich mich auch irren. Skylar machte mit den misslungenen Flirtversuchen weiter, aber ich achtete nicht mehr drauf. Kurz zuckte das Mädchen vor mir (das übrigens roch, wie als ob sie in eine Parfumflasche gefallen wäre) zusammen, aber sie fing sich sofort wieder. Die Blauhaarige griff auf einmal nach meinem Handgelenk und zog mich durch die langen Schulflure.

Während ich durch die Gänge gezerrt wurde, überlegte ich mir Fragen. Wer ist sie? In welchen Kurs muss sie jetzt? Warum hatte sie mich gerettet? Ich würde ihr auf Ewig dankbar für diese Aktion sein, aber sie kannte mich doch gar nicht...? Und woher kam eigentlich diese ganze Kraft? Ich meine... Ich bin ja jetzt nicht unbedingt leicht. Und sie zog mich mühelos durch die Gänge.

Auf einem etwas leereren Gang blieb sie plötzlich stehen. Ich rannte fast in sie rein, konnte mich allerdings noch bremsen. Sie lehnte sich ganz entspannt an die Wand gegenüber, wie als ob sie auf etwas warten würde. Da kamen mir auch schon alle Fragen auf einmal über die Lippen: ,,Wer bist du? In welchen Kurs gehst du jetzt? Warum hast du mich von ihr weggezogen?" Mir wurde heiß und ich hoffte, dass ich mit dieser Fragerei keinen Fehler gemacht hatte. Das Mädchen allerdings antwortete mir seelenruhig. Sie hatte auf meine Fragen gewartet. ,,Ich heiße Hana, das ist Japanisch für Blume. Ich muss jetzt zu Deutsch und ich habe dich von Skylar weggezogen, weil auch ein blinder, gehörloser Mensch gemerkt hätte, dass du keinen Boch auf die Bitch hattest." Hana... Ein ziemlich passender Name. 'Sie ist wunderschön...' Ja. Meine Gedankengänge waren kurzzeitig etwas neben der Spur. ,,Ich hab jetzt auch Deutsch. Mit Frau Mertin." Hana nickte. ,,Dann haben wir wohl zusammen Unterricht."


Nach Deutsch hatte ich erstmal keine weitere Stunde mehr mit Hana. Ich saß gerade in der Cafeteria und aß meinen grünen Apfel, den ich mir heute Morgen in die Schultasche gesteckt hatte. Die vier Typen und das Mädchen neben mir schienen gerade über irgendwen zu lästern, als ein mir bekannter Name fiel: ,,...Stimmt. Hana ist wirklich komisch. Und immer diese schwarzen Klamotten..." Ungewollt stieg Wut in mir auf und ich packte mein Zeug, um schon mal zum Mathe-Raum zu laufen. In einer Minute würde es eh zum Reingehen klingeln.

Auf dem Weg zum Raum (ich hatte mich bestimmt viermal verlaufen, oder so), kam ich an der wandelnden Farbpalette vorbei, wie ich Skylar insgeheim getauft hatte. Sie klimperte fröhlich mit ihren künstlichen Wimpern, aber ihr glückliches Gesicht wich sofort der Eifersucht, da Hana neben mir auftauchte. ,,Hey!", rief sie mit einem breiten Lächeln. Mir wurde auf einmal angenehm warm. ,,Hi", grüßte ich. ,,Was hast du jetzt?", fragte ich, da mir nichts besseres einfiel. ,,Mathe mit Herrn Wiskow..." Sie deutete einen genervten Gesichtsausdruck an und verdrehte die Augen, aber sie begann sofort wieder zu lächeln. ,,Oh. Wir haben jetzt wieder eine Stunde gemeinsam Unterricht!", meinte sie freudig.

Als wir den Raum betraten, waren schon fast alle da. Es war ein recht neuer Raum, die Wände waren erst gestrichen worden. Alles roch nach Farbe. Hana setzte sich an den Platz, wo sie auch schon in Deutsch gesessen hatte und ich ging neben sie. ,,Sitzt hier eigntlich jemand?", fragte ich sie unsicher. Sie schüttelte den Kopf. Schnell setzte ich mich hin und packte alles, was ich brauchen könnte, aus. War ja nicht viel: ein karierter Block (der nebenbei schon fast auseinanderfiel) und meine Federtasche.

Während der Stunde fragte Hana mich auf einmal: ,,Glaubst du eigentlich an Gott?" Kurz schaute ich sie leicht verstört an, mit dieser Frage hatte ich überhaupt nicht gerechnet. ,,Wenn es Semi-Atheisten gibt, dann bin ich sowas. Ich gehe auf Wunsch meines Vaters an Feiertagen und manchmal auch Sonntags in die Kirche, aber ich glaube nicht an Gott. Und du?" Sie wendete sich dem Fenster zu, bevor sie leise antwortete: ,,Nein. Ich bin seit zehn Jahren überzeugte Atheistin." Ich überlegte, wie alt sie wohl war. 15, allerhöchstens 16. ,,Du bist, seitdem du sechs bist, Atheistin?" Sie schaute mich seltsam an. ,,Ich bin 17! Seit ich sieben bin, du!" Ups. ,,Aber das ist auch schon sehr früh! Wusstest du da überhaupt schon über Gott bescheid?" Okay. Ich sollte mich bei den Fragen eindeutig bremsen. ,,Tut mir leid, ich wollte nicht..." Doch Hana hielt michauf: ,,Nein, ist schon okay. Weißt du... Ich war nie wie andere Kinder. Ich habe Barbies immer gehasst und 'ne Pferdehaarallergie, weshalb ich auch nie reiten konnte. Wohl oder übel musste ich mir dann ein anderes Hobby suchen und das waren dann halt das Zeichnen und Philosophieren. Ich hing teilweise bis zu sechs Stunden am Tag vor dem Computer, nur um zu Themen zu recherchieren, die mich interessierten. Meine Mutter saß immer dabei und passte auf, dass ich nicht auf unangemessene Seiten ging. Wenn ich etwas nicht wusste oder lesen konnte, half sie mir, damit ich es leichter verstand. Und immer wieder stellte ich mir damals die Frage, wie denn unsere Spezies entstanden seien. Irgendwann habe ich dann eine Website gefunden, die meinte, dass Gott alles und jeden geschaffen hätte. Ich wollte mehr wissen und habe eine Woche lang jeden Nachmittag eine ausgiebige Recherche betrieben. Und ungefähr einen Monat nach dieser Recherche-Woche starb meine Mutter. Man vermutet, dass sie Tuberkulose hatte, aber irgendwie weiß das niemand richtig. Seitdem habe ich den Glauben an Gott verloren. Ich habe einen Monat vielleicht an ihn geglaubt. Und auch bei diesem einen Monat bin ich mir nicht mal richtig sicher." Diese Geschichte erschütterte mich. Seit sie sieben Jahre alt war, lebte sie ohne Mutter. ,,Oh.", das war das Einzige, was ich nach dieser Geschichte rausbrachte. Ein einfaches ,,Oh". Ich wollte mehr sagen und vor allem Fragen stellen, doch ich stoppte. Ich wollte Hana nicht unnötig traurig machen. Ich konnte mich sowieso glücklich schätzen, denn wir kannten uns jetzt eine Stunde und sie hatte mir schon ihre halbe Lebensgeschichte anvertraut. Aber irgendetwas fehlte an der Geschichte. Da war mehr. Das sagte mein Bauchgefühl und auch meine Instinkte schlugen Alarm. Sie hatte etwas ausgelassen und ich war breit, dieses winzige Detail herauszufinden.

----------------------------------------------------------

Hi nochmal!

Hier ist der erste Teil, den ich aus Nates Sichtweise geschrieben habe. Wie angedeutet, hab ich hier auch schon einen kleinen Teil von Hanas Vergangenheit offen gelegt. Wie findet ihr's?

Lasst doch ein Feedback da, ich würde mich freuen :)

Eure Franzie <3


Kill Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt