Grönecke #1

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Es war dunkel. Wir waren von purer, satter Schwärze umgeben. Der gesamte Raum wurde von stickiger Luft eingenommen, die sich mit dem Dunst von Alkohol vermischte, welcher von uns aus ging. Von draußen drangen keine Geräusche bis zu uns durch. Die Stille wurde lediglich durch unser Lachen unterbrochen. Wir saßen dort auf dem kleinen alten Ledersofa, auf dem wir schon so oft nebeneinander gesessen haben, an neuen Songs gefeilt, getrunken, über ernste Themen geredet haben. Auf dem wir schon so oft gelacht haben, gesungen und miteinander Musik gemacht haben. Auf dem ich ihn auch schon einige Male morgens schlafend aufgefunden habe, wenn er sich mal wieder mit seiner Freundin gestritten hatte und die Nacht lieber dort auf der ausgesessenen Couch im Proberaum verbracht hatte, als zu einem von seinen engsten Freunden zu kommen, da es ihm unangenehm war, zu erzählen, wie schlecht es wirklich in seiner Beziehung lief.
Auf genau diesem Sofa saßen wir jetzt also, nachdem wir uns die halbe Nacht mit alten Freunden in irgendwelchen Clubs und Bars um die Ohren geschlagen hatten, so viel Alkohol getrunken haben, wie schon lange nicht mehr und auf die glorreichen Idee kamen, stockbetrunken einen Song zu schreiben und am nächsten Tag zu schauen, ob der vielleicht gar nicht mal so übel ist. "Das wird ein soziales Experiment, mein Freund!", hatte er begeistert immer wieder auf dem Weg hier hin betont und dabei voller Enthusiasmus gegrinst. Dass wir nicht einmal mehr in der Lage waren, uns ohne die Hilfe des freundlichen und garantiert ziemlich amüsierten Taxifahrers an- und abzuschnallen, und damit eigentlich schon garantiert war, dass unser Plan zum Scheitern verurteilt war, blendete er dabei scheinbar vollkommen aus. Ich hatte meinen Kopf auf seine Schulter gelehnt, durch die Frontscheibe des Taxis den raren Straßenverkehr mitverfolgt und immer wieder über das sinnlose Geschwafel meines Nebenmanns gelacht, der sich Mühe gab, eine Konversation mit dem Fahrer aufzubauen.
Dieses soziale Experiment ist allerdings kläglich gescheitert. Als wir am Proberaum ankamen, schaffte weder er, noch ich es, den Lichtschalter zu finden, weshalb wir uns zum Sofa tasteten, dabei mehrmals irgendwo gegen stießen und schließlich doch lachend auf dem alten Lederding landeten. Ich spürte die Wärme, die er direkt neben mir ausstrahlte, und ich roch den vielen Alkohol, den er getrunken hatte. Wir lachten immer noch. Ich wusste nicht einmal mehr, wieso, und vermutlich ging es ihm genauso. Ich legte meinen Kopf nach hinten, sodass er auf der Lehne des Sofas lag. Er kippte zur Seite und nur wenige Sekunden später vernahm ich einen warmen Atem auf meinem Gesicht. Der Geruch von Whiskey, allen möglichen Schnapssorten und Wein schlug mir entgegen und mir war bewusst, dass es ihm andersrum ebenso gehen musste. Unser Lachen erfüllte den Raum, wurde jedoch immer schwächer, da uns die Luft ausging und zumindest mir schon der Bauch wehtat. Plötzlich streiften seine Lippen meine, was uns beide nun endgültig verstummen ließ.
"Ups", kicherte er nach kurzer Stille und auch ich musste bloß grinsen. Trotz der Dunkelheit sah ich ihn direkt vor mir und konnte mit nur zu gut vorstellen, wie er da saß. Meine Mundwinkel zogen sich bei diesem Bild vor meinem inneren Auge weiter nach oben. Unüberlegt lehnte ich mich ein Stück weit vor, traf zunächst nur sein Kinn, fand schließlich doch seine Lippen, auf die ich meine vorsichtig legte. Nur ganz kurz, aber lang genug, dass er hätte abwehren können, was er nicht tat.
"Ups", kicherte ich nun ebenfalls, als ich mich wieder von ihm entfernte. Stille trat ein, doch mein Gehirn war vor lauter Alkohol so vernebelt, dass es gar nicht auf die Idee kam, dass mir mein Handeln gerade im Normalfall ziemlich unangenehm wäre. Doch auf einmal spürte ich seine Hand auf meinem Oberschenkel. Ein aufregendes Gefühl breitete sich von dort aus in meinem ganzen Körper aus und ehe ich mich versah, küsste er mich. Er presste seine Lippen plötzlich nicht mehr so sanft auf meine und ich erwiderte mit gleicher Intensität. Ich schlang meine Arme um seinen Oberkörper; es war unbequem, doch ich wollte seine Nähe spüren. Seine Wärme. Seine Hand wanderte etwas an meinem Oberschenkel hinauf, ließ mich aufkeuchen, ehe sie unter mein Shirt glitt und dort Gänsehaut auslöste. Er drückte mich mit meinen Rücken aufs Sofa, lag nun auf mir. Aus dem Kuss war schon längst ein Zungenkuss geworden, der immer fordernder wurde.
"Niels", keuchte er zitternd. Er klang flehend. Als würde er wollen, dass ich aufhöre, doch wenn er das hier nicht wollen würde, hätte er einfach aufstehen können - immerhin war er es, der oben lag. "Lass es mich nicht bereuen." - "Wovon redest du?" Ich war nicht in der Lage, um zu denken und das wollte ich auch gar nicht. Ich wollte ihn wieder küssen; es fühlte sich ungewohnt an - der Bart, das Wissen, dass er mein bester Freund war, und das, was sich mittlerweile in seiner Hose bemerkbar machte -, doch gleichzeitig war es nichts, was sich falsch anfühlte. Ich wollte mehr von diesen Küssen, von diesem Kratzen seines Bartes und ich wollte diese dabei aufkommenden Gefühle zuordnen können. An mögliche Konsequenzen dachte ich gar nicht erst. Dazu war ich auch nicht mehr in der Lage.
Sein Atem kitzelte auf meiner Haut, während ich immer noch ungeduldig auf eine Antwort wartete. "Versprich es mir." - "Ich verspreche es dir", lallte ich und begann kurz darauf wieder laut zu lachen: "Warte; was soll ich dich nicht bereuen lassen?" Dieses Mal musste ich nur wenige Sekunden warten, bis er seine Stimme wiederfand. "Das hier", raunte er, küsste mich im Anschluss sofort leidenschaftlich, während er mir geschickt meine Hose öffnete. Ich ließ ihn. Ich ließ zu, dass er mich - aufgrund des Alkohols ziemlich tollpatschig - auszog, mich immer wieder fordernd küsste und er mich überall berührte. Dass er mich verwöhnte, mich unbeschreibliche Gefühle fühlen ließ. Ich ließ zu, dass ich endgültig die Tatsache vergaß, dass wir beide eine Freundin hatten. Ich ließ zu, dass mir stattdessen nur sein Name im Kopf herumschwirrte, während seine nackte Haut an meiner rieb, unser schwerer Atem den Raum erfüllte und ich seinen Namen stöhnte.

"Kris."

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