Krikob

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~ Jakobs Sicht ~

Da war er also. Er saß mit dem Rücken zu mir auf einer Bank, die Außenalster vor ihm, der Blick aufs Wasser gerichtet, trist gekleidet, die Hände im Schoß gefaltet.

Ich hatte ihn schon lange nicht mehr gesehen - es war Monate her.

Seufzend zögerte ich, wusste nicht, ob ich es wagen sollte, und setzte dann doch einen Fuß vor den anderen. Meine Beine fühlten sich elendig weich an, meine Knie schienen aus Pudding zu bestehen, doch ich ging weiter, ließ mich auf das morsche Holz der Bank neben Kris nieder. Ein Knarzen war zu hören, ohne das Kris mich wahrscheinlich gar nicht bemerkt hätte.

Im Augenwinkel bemerkte ich, wie er seinen Kopf vorsichtig zu mir drehte und überrascht seine Augenbrauen zusammen zog, während ich still die Bewegungen des Wassers vor uns beobachtete.
Nach einigen Sekunden, löste Kris seinen Blick wieder von mir, folgte dem meinen.

Minuten vergingen, in denen wir dort stumm saßen. Das Schweigen zwischen uns war weder angenehm, noch bedrückend. Es war wie das Schweigen zwischen zwei Fremden; es schien wie das normalste der Welt, warum sollte man auch mit jemanden, den man nicht kannte, eine Konversation aufbauen?
Doch Kris war mir nicht fremd - keineswegs. Ich kannte ihn wie meine Lieblingsplatte, die ich seit Jahren hören konnte und sie nie satt hatte. Genau deswegen war es eben nicht das normalste der Welt, dass wir schwiegen, und dennoch fühlte es sich nicht falsch an.

"Ich hab's gehört. Niels hat mich angerufen." Meine Stimme war leise, sanft. Ich hatte das Gefühl, ich würde Kris erschrecken, wenn ich im üblichen Stimmton sprach. Ich drehte meinen Kopf zu ihm und musterte sein müde aussehendes Gesicht. Die Farbe seiner Haut wirkte blass und fahl und stand im Kontrast zu den dunklen, tiefen Schatten unter seinen Augen. Seine Lippen waren spröde und seine dunkelblonden Haare waren frei von Gel, lagen matt und zaus wahrscheinlich noch genauso wie heute morgen nach dem Aufstehen.

"Bist du hier, um mit mir zu reden? Willst du mich umstimmen?" Er klang gebrochen und heiser, aber nicht so, als ob er krank gewesen wäre. Eher so, als ob er seit Tagen nicht gesprochen hätte.

"Nein", antwortete ich ehrlich, "Du bist ein Sturkopf; Worte haben dich noch nie von etwas abhalten können." Kris' Blick schweifte zu mir. Ich wusste nicht, ob ich darin eine Art Reue erkannte, aber irgendwas spiegelte sich dort in dem glanzlosen Braun seiner Augen, die sonst immer Lebensfreude ausstrahlten. "Ich wollte nur wissen, ob du dir sicher bist."

Er lachte verbittert auf und legte seinen Kopf in den Nacken: "Ja, bin ich! Und falls du das auch noch fragen willst; nein, es hat ganz bestimmt nichts mit dir zu tun!", zischte Kris wütend und laut. Der Ton von Hass unterlegte seine Stimme. Dabei war der Hass vielleicht sogar eher gegen sich selbst, anstatt gegen mich, gerichtet.

"Okay, gut", ging ich ganz beiläufig auf seine Spielchen ein und zuckte desinteressiert mit den Schultern. Ich bemühte mich, so kalt wie er zu klingen, doch vermutlich machte das auch keinen Unterschied mehr. Kris war momentan einfach nicht dazu in der Lage, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden, für ihn war alles schlecht, das ihm zu nahe kam. Niels hatte mich schon vorgewarnt. Er hatte mir am Telefon erzählt, dass Kris derzeit niemanden - nicht einmal seinen besten Freund - an sich 'ranließ. Dass er lieber alleine war, mit niemanden über seine Gefühle reden wollte und wenn einer versuchte, ihm zum Sprechen zu bringen, er denjenigen gepackt und unsanft aus seiner Wohnung geschoben hat.

"Wieso gehst du dann nicht? Wieso bist du dann noch hier? Wieso sitzt du dann jetzt hier mit mir auf dieser Bank?!" Kris wurde lauter, ungeduldiger. Ich wusste, dass es für ihn nicht leicht war, mich ausgerechnet jetzt zu sehen, doch ich wusste auch, dass er mich brauchte. Er musste es sich nur endlich eingestehen und zulassen, dass ich an seiner Seite blieb. Doch stattdessen wollte er sich selbst bestrafen; ich kannte ihn.

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