Krannes

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Teil 1

Unmengen an Alkohol flossen durch meinen Körper, mein Verstand war schon lange in ihnen ertrunken, meine Selbstbeherrschung ging mit jenem unter. Es war nur noch meine Hülle, die da an der Wand gelehnt stand, die Finger in den Haaren des Mannes vergraben, der seine Lippen fordernd auf meine presste und dessen Hände meine Seiten auf und ab fuhren.

„Dann hau halt wieder ab und betrink dich!", hatte Steffi, meine Freundin, mir wütend entgegen geschmettert, als ich während einer unserer Streitereien die Flucht ergreifen wollte.

„Ach, sei ruhig", hatte ich bloß erwidert und die Wohnungstür mit einem lauten Knall hinter mir zugezogen.

Steffi nervte mich. Ihr Perfektionismus nervte. Ihre Anhänglichkeit nervte. Unsere Streits nervten. Unsere Beziehung nervte.

In den letzten Wochen bin ich oft zu Niels geflüchtet, habe es mir für die Nacht auf seinem Sofa bequem gemacht und bin am nächsten Vormittag resignierend zu meiner Freundin zurück, die immer der festen Überzeugung gewesen ist, ich wäre am Abend zuvor in einer Bar gewesen - irgendwann habe ich aufgehört, ihr zu widersprechen.

Und dieses Mal hatte es mich dann tatsächlich in eine Kneipe gezogen. Ein Mann, der neben mir an der Theke saß und irgendwelche Texte vor sich herschrieb, hatte meinen unbändigen Alkoholkonsum ungefähr eine Stunde lang mitverfolgen können, bis er mich dann letztendlich ansprach und fragte, ob alles okay sei. Als Antwort schüttete ich den Shot vor mir hinunter und bestellte noch einen für mich und einen für den Braunhaarigen.

Es folgten kurze Wortwechsel, solidarisches Anstoßen, eine Runde Darts, noch mehr Schnaps, zwei Runden am Flipper, Küsse.

x x x

Von einem lauten Quietschen begleitet, fiel die große alte Türe des Jugendclubs zurück in ihre Angeln. Ein letzter kalter Luftzug durchströmte den Raum, bevor die Heizung diesen zunichte machte und wieder für angenehme Temperaturen sorgte. Ich öffnete den immer wieder klemmenden Reißverschluss meiner dicken Jacke und befreite mich mit einer schnellen Bewegung von meinem Schal, unter dem mein Hals langsam zu jucken begann, jedoch von der eisigen Kälte, die seit Tagen draußen herrschte, geschützt war. Ich hasste den Hamburger Winter.

Meine Umgebung vollkommen ausblendend schlürfte ich geradewegs auf die Kellertür im hinteren Bereich des Jugendclubs zu, öffnete diese und zog sie hinter mir leise zu, als ich aus dem Kellerraum, der von allen Jugendlichen, die Spaß an der Musik hatten, als Proberaum genutzt werden konnte, Lachen schallen hörte. Verwirrt und zu gleichen Teilen genervt runzelte ich die Stirn, da bis auf mir und meinen Freunden niemand das Angebot des Jugendclubs nutzt und ich nicht wüsste, dass unsere Band heute verabredet wäre.

Dennoch erkannte ich das vertraute Lachen von Schlagzeuger Jakob, der nicht alleine zu sein schien. Das zweite Gelächter konnte ich allerdings niemandem zuordnen.

„Bitte nicht heute", seufzte ich, wollte ich doch einfach nur meine Ruhe haben und im Proberaum ein bisschen auf einer Gitarre herumklimpern.

Der letzte Streit von Steffi und mir hallte immer noch in meinen Ohren nach und mit ihm auch die endgültigen Worte unserer feststehenden Trennung;
Du bist fremdgegangen?! Hat es sich wenigstens gelohnt? Sah sie gut aus??" Steffi hatte mit ihren dünnen Händen auf meine Brust eingeschlagen, geweint, geschrien.

Auch mir sind die Tränen über die Wangen geflossen, die Reue hatte mich in den letzten Wochen innerlich ausgefressen und nun brach sie aus mir hinaus.
„Es tut mir so leid", hatte ich geflennt, wobei ich mir gar nicht mal so sicher war, wofür ich mich eigentlich entschuldigt habe, „Du verstehst das nicht."

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