Aussicht

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Nachdem er unsere Eltern gesichtet hatte, ließ er meine Hand los und ging schneller.

Das Kribbeln auf der Haut hörte auf.

Schade! Ich mag seine wohlige Wärme.
Sie gab mir so etwas wie Geborgenheit.
Ich seufzte unwillkürlich.

Unsere Eltern standen schon sehr weit vorne in der Schlange.

Irgendwie war das Leben echt gemein...

Aber das sollte ich nicht behaupten können.

Ich hatte eine coole Familie, war gesund und hatte einen festen Standpunkt. Ich musste mich noch nicht sehr mit meiner Zukunft beschäftigen und hatte großartige Freunde. Viele meiner Wünsche gingen in Erfüllung und wir hatten auch keinen Geldmangel. Unter diesen Umständen sollte man doch sagen

'Ich bin glücklich'

Ich weiß und ich schätze diese Werte, aber irgendwo fehlt dann doch die Action, egal auf welche Art, ein bisschen Aufregung würde nicht schaden. Es ist in den letzten Monaten so langweilig geworden.

No risk, no fun.

Aber wie könnte man das ändern?

Wäre es nicht auch ein Risiko, ihm zu sagen, dass er mir nicht ganz unwichtig ist?

Die meisten, die anstanden waren genauso alt, wie unsere Eltern oder älter oder hatten kleine Kinder dabei.

Die Tore öffnete sich und die Menschen strömten rauf. Es kam mir so vor, als wären sie im Seestern-tempo unterwegs. Ich drehte mich um und fragte:

"Kann ich schon mal vorgehen?"

Ich sah Niall an und in mir kribbelte es kurz, doch ich verdrang kurzerhand das aufkommende Gefühl und fragte ihn:

"Kommst du mit?"

Richard und Sophie, so hieß meine Ma, warfen sich ein paar Blicke zu und entschlossen einstimmig:

"Ja, wir treffen uns dann oben."

Ich grinste, gab meiner Mutter noch einen Kuss und drängte mich dann, gefolgt von Niall am den älteren Menschen oder Kleinkindern vorbei.

Aus der Hälfte der Strecke sah ich kurz über die Rehling und lachte kurz atemlos.

Bald kam auch Niall neben mir zum stehen.

Er fing wieder an zu rennen und rief über die Schulter:

"Ha, ich bin schneller."

Ich schluckte, raffte meine Kräfte nochmal zusammen und rannte ihm hinterher.

Was für eine Ironie! Ich renne ihm wohl immer hinterher, obwohl ich es nicht will!

Schließlich holte ich ihn kurz vor dem 'Ziel' ein und erwiderte:

"Doch nicht! Gewonnen!"

Ich warf die Arme in die Luft ums mein T-Shirt flatterte in der sanften Brise.

Ich schloss die Augen, atmete ein oder zweimal tief durch und hörte ihn dann die letzten Stufen gespielt wütend nach oben stampfen.

Ich lehnte meinen Kopf an den Stahlträger. Wir hatten und hin gesetzt. Der Stahl kühlte meine Beine und Arme.

Hier in Paris war es warm und die Sonne brannte schon seit der Früh. Kaum ein Wölkchen war zu sehen. Wir saßen hier seit... höchstens 3 Minuten, aber dieser Moment kam mir vor, als wäre die Zeit stehen geblieben.

Ich genoss die Aussicht.

Es lag ein leichter Nebelschleier,, der silbern glänzte, über der Stadt. Ich seufzte und ließ meinen Kopf auf seine breite Schulter sinken. Ich wunderte mich gerade, warum ich noch keine Tomate war und ein fast schon hörbaren Herzschlag hatte.

"Sind wir eigentlich noch Freunde?"

,fragte ich ihn ernst und doch verträumt.

Zuerst antwortete er mir nicht, dann sah er mich an und antwortete:

"Keine Ahnung. Waren wir früher eigentlich Freunde?"

Stimmt. Früher war es weniger wie Freundschaft gewesen, eher als wäre er mein zweiter Bruder oder Cousin oder sowas. Und nun fühlte es sich genauso an... Oder?

"Hmm... weiß nicht."

Nach einen kurzen Moment fragte ich dann doch:

"Können wir jetzt dem Freunde sein? Los werde ich dich sowieso nicht!"

Zum Glück wusste er nicht, dass das nicht nur auf das sehen, sondern auch auf das Vergessen bezogen war.

Er antwortete lächelnd:

"Stimmt. Dafür werden wir uns noch zu oft sehen. Also ja, warum nicht?! Dann kannst mir endlich erklären, was die Frauenlogik ist.

Ich lächelte zurück und erwiderte:

"Das kann ich auch nicht sagen. Ich nutze lieber die normale Logik.."

Ich kicherte ein wenig verlegen.

Wir waren Freunde!

Dachte ich benommen und glücklich.

Ich musste ihn nicht vergessen. Jetzt kann ich mich und ohne mich irgendwie zu schämen um ihn sorgen.

In meinen Augen leuchtete die Stadt mit den Silberschleier noch in viel prächtigeren Farben als vorher.

Zufall oder Schicksal?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt