VI Im Auge des Sturms

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Wieder passierte lange Zeit gar nichts, keine einzige Leiche. Es war absolut still, fast wie die Ruhe vor dem Sturm. Im Nachhinein wäre es besser gewesen, einfach still zu sein und sich nicht bei Greg zu beschweren, dass mir langweilig sei und ich mich nach Arbeit sehnte.

Es war einer dieser Morgen, an denen ich noch vor der Sonne aufstehen musste und in den nebligen Park fuhr: eine männliche Leiche, erstochen. Gregs Stimme war eine Oktave in die Höhe gesprungen, als ich nach etwas Besonderem gefragt hatte, er hatte einfach nur gemeint, ich sollte kommen.

Der Fundort war mitten im Park. Man hatte die Leiche hierher geschleift. Getötet war er an einem anderen Ort worden. Er hatte mehrere Stiche in der Brust, getötet hatte ihn aber der letzte zwischen die Rippen, auch wenn er ohnehin durch die Schnitte an Armen und Beinen verblutet wäre. Mir war bis dahin noch nichts aufgefallen. Philipp hatte Fotos gemacht. Sherlock hatte Schleifspuren und einen Manschettenknopf gefunden. Ich hatte nur geschwiegen, als ich ihn sah, und John schien in meinem Blick zu erkennen, dass es etwas mit Voltar zu tun hatte.

Ja, ich kannte den Knopf. Ich hatte die Art selbst gestaltet und sie für Emil anfertigen lassen. Ein Geschenk zum Geburtstag. Ich hatte das Blau und den goldenen, mit Ornamenten verzierten Reif sofort erkannt, genauso wie das G, das in Gold eingraviert war. Mein Name, Gracia.

„Was bedeutet es?", fragte John seinen Mitbewohner.

„Es könnte ein Wappen einer Vereinigung sein, ist es aber nicht, es war ein Geschenk.", sagte Sherlock, so leicht als ginge es um einen Blumenstrauß. Ich schwieg weiter.

„Doktor Foster, was ist das?", Sally rief mich und ich konnte den Rücken und den Bauch des Opfers sehen. GRACE

Immer wieder hatte man auf den Rücken und den Bauch meinen Namen geschrieben. Emil, er wollte mir imponieren. Vielleicht wollte er mir auch eine Warnung zukommen lassen. Ich konnte es nicht einschätzen. Wer weiß schon, was im Kopf eines besessenen Irren vorgeht. Einen kurzen Augenblick flackerte Angst durch mein Gesicht, doch schon eine Sekunde später war sie wieder weg und meine Mauern waren wieder stabil und undurchlässig.

„Sieht aus wie ein Name.", meinte ich und zuckte mit den Schultern. Ich spielte die Unwissende. „Vielleicht ein betrogener Liebhaber.", meinte ich leichthin.

Meinen neuen Patienten brachte man in die Pathologie. Die Leiche wurde vor mir auf dem Tisch abgelegt und ich machte mich an die Untersuchung. John hatte heute Dienst, also würde Sherlock zur Berichterstellung kommen. Ich gebe zu, es machte mich nervös, zum einen weil ich es nicht mochte, beobachtet zu werden, und zum anderen, weil ich Angst vor gefährlichen Hinweisen hatte, die das Licht vielleicht in meine Richtung lenkten. Ich konnte nicht zulassen, dass alles, was ich mir aufgebaut hatte, zerstört wurde.

Sherlock schnipselte an der Leiche herum und ich fühlte mich wie eine Assistentin in meinem eigenen Reich. Es war mir unangenehm von Sherlock immer wieder angestarrt zu werden. Einmal sah er fast 10 Minuten, ohne auch nur einmal zu zwinkern, in meine Richtung. Er versuchte mich zu deduzieren, ganz tief in mein Verhalten einzudringen, ich ließ ihm keine Chance, jeder Fehler hätte ihn vielleicht mehr in die richtige Richtung geschoben.

„Sind Sie es nicht leid, mich immer erfolglos zu deduzieren?", fragte ich schließlich grimmig.

„Ich werde schon noch hinter ihr Geheimnis kommen.", meinte er arrogant.

„Wenn sie mit Rückschlägen leben können.", sagte ich und zuckte gleichgültig mit den Schultern. Ich konnte sehen, dass es ihn ärgerte, nichts zu finden, nichts zu erkennen.

„Nun, vielleicht wird mein Bruder etwas finden.", meinte er.

Ich hatte mich beherrschen müssen, um nicht zusammenzuzucken, noch zu frisch war der Gedanke an die Hand vor meiner Türe. Doch Sherlock schien nichts zu bemerken. Schweigend arbeiteten wir noch einige Zeit zusammen.

The IcequeenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt