VIII Ich bin immer noch da

344 20 4
                                    

Genau zwei Wochen waren vergangen, als ich es wagte Mycroft im Krankenhaus zu besuchen. Ich hatte nächtelang wach gelegen und mich geschämt. Kurz hatte ich mit dem Gedanken gespielt einfach wieder zu verschwinden, nach Amerika, oder wieder nach Italien, aber ich blieb. Ich hatte hier zu viel zu erledigen, als das ich einfach verschwinden konnte.

Ich war aufs Land gefahren, an genau den Ort an dem ich mit meinen Eltern immer Urlaub gemacht hatte. Ich war durch die Wälder gelaufen bis zu dem kleinen Waldhäuschen, in dem ich mich immer versteckt hatte, wenn mich meine Eltern nicht bei sich haben wollten. Dort hatte ich einen Strauß Wildblumen gepflückt und sie mitgenommen. Im Barth's fragte ich höflich nach seinem Befinden und seinem Aufenthalt. Sie ließen mich ohne weiteres durch, schließlich war ich immer noch eine Angestellte des Barth's und alle Anklagepunkte waren fallen gelassen worden, weil ich meine Unschuld bewiesen hatte.

Langsam ging auf sein Bett zu und stellte die Blumen in eine Vase, dann setzte ich mich auf einen der Besucherstühle. Er sah erbärmlich aus, seine Wangen waren eingefallen, seine Haut war blass und seine Augen müde und leer.

„Wie fühlen Sie sich?", fragte ich mit einem bedachten Lächeln.

Er nickte erst und dann schüttelte er den Kopf, sein Gesicht verzog sich zu einer schmerzhaften Grimasse.

„Es tut mir so leid.", murmelte ich und Tränen stiegen mir in die Augen. Es tat weh, den mächtigsten Mann des Landes so schwach und verletzlich zu sehen. Noch bevor er etwas sagen konnte, sprang ich auf und lief davon. Ich war seither nicht mehr im Krankenhaus bei ihm. Ich ging ohnehin nur mehr selten aus, ich hatte mich verändert. Die ganze Kraft, die Anspannung war aus meinem Körper gewichen. An manchen Tagen war es fast unmöglich für mich, überhaupt aufzustehen.

„Miss Grace. Das ist heute für sie gekommen.", meinte einer meiner Assistenten.

Ich zog die Augenbrauen zusammen und sah ihn an: „Was ist es?"

„Sehen Sie es sich bitte selbst an.", meinte er und wies auf meine Bürotür. Langsam ging ich hinein. Ich hatte keine Angst vor Voltar, aber wer wusste schon, was da hinter dieser Tür auf mich wartete.

Ich blieb in Schockstarre stehen und sah auf den großen Strauß Blumen. Es waren die schönsten Wildblumen, die ich je gesehen hatte. Dabei steckte eine Karte, auf der in eleganter Schrift stand:

„Danke"

Ich lächelte, dann ging ich wieder an die Arbeit. Ich wusste nicht warum, aber diese Nachricht hatte mir wieder Kraft gegeben, und schon drei Tage später schien ich wieder die Alte zu sein. Unnachgiebig, stur und voller Geheimnisse.

Der Sommer kam schnell und mit den ersten heißen Sonnenstrahlen kam wieder Leben in die Mörder und Verbrecher Englands, und bald wusste ich nicht mehr, wann ich zur Ruhe kommen sollte. Ich fragte mich, warum es mir immer noch nicht möglich war, richtig zu schlafen. Ich konnte in eine tiefe Dunkelheit fallen, die mich voller Schwärze empfing, aber ich konnte nicht träumen, auch jetzt nicht.

Jemand betrat den Raum und ich drehte mich nicht um, es war vermutlich nur einer meiner Helfer, oder eine Schwester, die sich an der Türe geirrt hatte und eigentlich irgendwelche Abstriche zu Molly bringen sollte.

„Grace, schön dich zu sehen.", Greg; ich lächelte und drehte mich dann schwungvoll um.

„Greg, was verschafft mir die Ehre?", fragte ich und konnte meine Lächeln fast nicht bremsen. Ich gestehe es tat gut, so etwas wie einen Freund zu haben. Er nahm einfach hin, dass ich nicht mehr über meine Vergangenheit sprechen wollte. Er hatte es nur noch einmal nach dieser Sache versucht. Ich war kurz vor einem Zusammenbruch gewesen und er hatte mich gefragt ob ich reden wolle. Ich war gegangen, hatte einen langen Spaziergang gemacht, an der verbrannten Ruine vorbei, und hatte etwas in den Trümmern gefunden, von dem ich, dachte es nie mehr wieder zu sehen. Aber da lag es einfach so. Ich hob es auf und steckte es ein, dann lief ich nach Hause. Es war schon dunkel gewesen, und nach einer halben Stunde des Weinens und mehreren Zigaretten und Brandys hatte ich mich angezogen und war zu Greg gegangen. Ich hatte an seiner Brust geweint, bis ich vor Erschöpfung weggedriftet war. In stiller Übereinkunft hatten wir nie über diesen Vorfall gesprochen.

The IcequeenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt