Kapitel 7

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 "Max, sag mir die Wahrheit. Was ist mit dir los?".

 Diese Frage hallte immer wieder durch Max' rasende Gedanken. Was er antworten sollte, wusste er nicht, einen klaren Gedanken zu fassen, versuchte er erst gar nicht. Seine Muskeln waren bis zum zerreißen angespannt und es war, als fehle ihm die Luft zum Atmen. "Ich...Ich muss aufs Klo.".

 So schnell er konnte stand er auf und rannte ins Badezimmer, die Tür fiel ins Schloss und Max krallte sich in das Waschbecken. Ihm war speiübel und er hatte das Gefühl, sich jeden Augenblick übergeben zu müssen. Geräusche nahm er nur bedingt wahr, in seinen Ohren war ein schrilles Rauschen, die Rufe und das Klopfen von Florian hörte er nicht. Vor seinem inneren Auge spielte sich alles wieder ab, alles, was in seiner Kindheit passiert war. Es war, als wäre er wieder der kleine Junge von damals, der kleine Junge, der sich einfach nicht wehren konnte.

 Papa ist schon wieder betrunken. Mama ist noch auf Arbeit, sie kann mir nicht helfen. Aber unter meinem Bett wird er mich nicht finden, er wird nur wieder in den Schrank gucken und dann gehen. Oh bitte, lass ihn mich nicht finden, ich war doch diesmal ein braver Junge Ich will nicht schon wieder diese großen Schmerzen haben. Teddy wird mich beschützen, er muss mich beschützen.

 Die Tür, Papa hat die Tür eingetreten. "Wo bist du, Mäxchen. Papa braucht dich mal.". Immer wiede ruft  er nach mir, schaut in den Schrank, ob ich mich wie früher dort versteckt habe. Doch ich bin unter meinem Bett, da wird er mich doch nicht finden. "Komm raus Max, ich werde dir nicht weh tun!". Das sagt er immer wieder, aber Papa lügt. Papa tut mir immer weh wenn er viel getrunken hat.

 Ich rutsche langsam immer weiter hinter, Papa darf mich nicht finden. Doch Papa geht nicht, er hockt sich vor mein Bett und lächelt mich böse an. Papa ist kein guter Mensch. Er packt mich an meinen Arm, zieht mich unter dem Bett hervor. Teddy jedoch halte ich ganz fest, er muss mich doch beschützen.

 Als er mich auf mein Bett wirft fange ich an zu weinen, ich schlinge meine Arme noch fester um Teddy. Wie früher auch beugt er sich über mich, schlägt mir ins Gesicht. Wieder ein blaues Auge, ob Mama die Ausreden von Papa eigentlich noch glaubt, ob sie etwas von dem Geschehen hier ahnt? Ich glaube nicht. Papa sagt, ich bin ein böser Junge, ich dürfe mich nicht vor meinem Papa verstecken. Er wird mich wieder bestrafen, er mag es, wenn er mich bestrafen kann.

 Wieder zieht er mir meine Hose aus, meine Unterhose mit dazu. Teddy ist immer noch fest in meinem Griff. Er versucht mir Teddy zu entreißen, doch dabei reißt er Teddys Kopf ab. Ich beginne noch lauter zu weinen, wieder schlägt Papa mich. Mit einer schnellen Bewegung dreht er mich auf den Bauch, er schlägt mich immer wieder auf meinen Po. Ich höre, wie Papa seinen Reißverschluss öffnet, ich mag das Geräusch nicht.

 Ein lauter Schrei dringt mir aus der Kehle, Papa ist wieder in mir. Immer mehr Tränen strömen mir über das Gesicht und werden von dem Kissen aufgesaugt. "Bitte Papa, hör auf, es tut so weh.". Doch Papa ignoriert mich, stöhnt ungehalten in mein Zimmer. 'Bitte, bitte lass mich verschwinden. Ich will nicht mehr in dieser Welt sein, bitte lass mich verschwinden.'.

 Aber ich verschwinde nicht. Der Schmerz ist so unerträglich. Teddy, du musst ich beschützen. Bitte Teddy, du musst mich beschützen. Aber Teddy ist tot, Papa hat Teddy getötet. Mama, wo ist Mama nur? Mama soll nach Hause kommen, Mama soll Papa von mir weg bringen. Aber auch Mama beschützt mich nicht. Mama hat mich nicht lieb, sie beschützt mich nicht. Papa sagt immer, dass sei die Strafe, weil ich immer so ungezogen bin. Papa sagt, dass tue er nur, weil er mich so lieb habe. Aber Papa hat mich nicht lieb. Ein Papa würde so etwas doch nicht tun, oder?

 Irgendwann ist Papa endlich fertig und lässt mich in Ruhe. Als er aus meinem Zimmer ist, liege ich einfach nur da und weine. 'Bitte, bitte lass mich verschwinden.'. Aber ich verschwinde nicht. Morgen sagt Papa wieder, es würde ihm leid tun, er würde nicht mehr trinken. Aber Papa lügt, er trinkt immer, wenn Mama wieder auf Arbeit geht.

 Max merkte nicht, dass er begannen hatte zu weinen, er merkte nicht, wie er an der Wand kauerte, die Hände auf den Ohren. "Hör auf Papa, bitte hör endlich auf.". Er merkte nicht, dass Florian in das Badezimmer kam, er merkte nicht, wie Florian langsam auf ihn zuging, sich vor ihn hockte und ihn versuchte zu beruhigen. Sein Blick war von den Unmengen an Tränen verschleiert, es war, als spürte er die Schläge seines Vaters.

 Florian legte behutsam seine Arme um Max, zog ihn hoch auf dessen Beine. Er spürte, wie stark Max zitterte, spürte, wie schwer es Max fiel, diese Berührungen zu zulassen. Stolpernd brachte Florian Max ins Wohnzimmer, sorgte dafür, das Max sich hinsetzte und legte ihm eine Decke um. Immer wieder sprach er beruhigend auf Max ein, welcher sich langsam immer mehr beruhigte. Irgendwann versiegten die Tränen, das Zittern wurde schwächer und Max' Atem ging wieder normal. Selbst die Berührungen von Florian waren mittlerweile mehr als erträglich.

 Langsam stand Florian auf um einen Tee für beide zu Kochen. Es war Max mehr als unangenehm, dass er einen Flashback hatte, und noch unangenehmer war es für ihn, dass Florian ihn entdeckt hatte. Jetzt konnte er nicht mehr lügen, es gab kein Zurück mehr für ihn.

Nach kurzer Zeit kam Florian mit zwei Tassen Tee zurück, setzte sich neben Max. "Max, bitte sag mir die Wahrheit. Ich habe dich früher schon immer in der Uni und in der Bahn gesehen, immer hattest du den selben Gesichtsausdruck, du warst immer alleine. Und was war das eben? Was ist mit dir los, Max? Hat es was mit deinem Vater zu tun?".

 Max wusste, das er jetzt alles erzählen musste, zumindest das war er Florian schuldig. Er versuchte sich kurz zu sammeln, als er begann zu sprechen.

 Er erzählte Florian alles, was sein Vater ihm angetan hatte, wieso er so war wie er war und keinen Kontakt zu anderen Menschen aufnahm, wenn es nicht nötig war. Da es kein Zurück mehr für Max gab, konnte er Florian alles erzählen, jetzt, wo er entdeckt wurde. Er würde umziehen müssen, das mit dem Auslandssemester würde nichts werden, außerdem musste Max wahrscheinlich einen neuen Namen annehmen. So zumindest plante er es, Suizid war nämlich nicht einmal für jemanden wie Max eine Lösung.

 Als Max geendet hatte, die Tränen flossen wieder über dessen Gesicht, sah Florian ihn entgeistert an, versuchte das eben gehörte zu verarbeiten. "Ich hatte ja keine Ahnung, Max. Es tut mir unfassbar leid für dich aber bitte, lass mich versuchen dir zu helfen. Niemand wird dich deswegen verurteilen, Max. Du bist nicht daran Schuld, daran ist wenn dann nur dein Vater schuld. Aber bitte Max, lass mich dir helfen. Ich sehe seit Monaten immer wieder den Mann in der Bahn, in der Uni, der sich von jedem abschottet, der nicht wirklich lebt. Es zeugt von deiner Stärke, dass du mir das erzählt hast, obwohl du mich seit ein par Tagen kennst. Du bist stark Max, du kannst schaffen, die Vergangenheit hinter dir zu lassen. Lass mich dir bitte dabei helfen."

 Ungläubig starrte Max Florian an, wieso sollte man ausgerechnet ihm helfen wollen? Am liebsten hätte Max es verneint, doch irgendwie begann er, Florian zu vertrauen, wenn auch noch recht zurückhaltend. Also nickte Max langsam, brachte nicht mehr als ein einfaches, aber ehrliches Danke heraus.

 Leicht lächelte Florian ihn an, übergab Max ein Taschentuch, mit welchem er sich die Tränen abtrocknen konnte. Die Gedanken von letzter Nacht kamen zurück und Max glaubte langsam wirklich, dass es für ihn in seinem Leben doch noch ein Lichtblick gab. Max begann, zu vertrauen und hoffte, dass er vielleicht ja doch irgendwann ein normales Leben führen konnte.

 Schweigend tranken beide Männer ihren Tee, hingen ihren Gedanken nach. Es war ruhig in der Wohnung, doch es war eine angenehme und beruhigende Stille. Irgendwann, als es bereits gegen neun Uhr abends war, sagte Florian, dass Max bei ihm übernachten solle, so konnte und wollte er Max nämlich nicht alleine lassen. Da Max so oder so keinen Widerspruch einlegen konnte, ergab er sich und die beiden machten es sich zum Abschluss des abends, um Max abzulenken, mit einem Film auf dem Sofa bequem, Max noch immer in der Decke eingehüllt und Florian daneben, der ihm immer wieder über Rücken und Arm strich, bis Max irgendwann an Florian angelehnt in einen ruhigen Schlaf fiel.

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