Kapitel 1

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Seine Stimme, die Wärme, die von dem anderen Körper ausging, dass alles hatte sich in das Gehirn von Max gebrannt. Nachdem die Bahn hielt, sprintete er fast aus dem Wagon in Richtung Ausgang. Dieses Lächeln, diese braunen Knopfaugen, es war, als hätte sein Gehirn eine Leinwand mit seinem gesamten Profil bemalt und diese war nun der Mittelpunkt seines eigenen Ateliérs war.

In der Universität angekommen, ignorierte er die auf ihm liegenden Blicke, hing seinen Gedanken an den Typen aus der Bahn nach. Florian. Dieser Name war Musik in seinem Kopf. Irgendwie hoffte Max, ihn tatsächlich wieder zu sehen. Doch diese Wahrscheinlichkeit war so gering, dafür war Berlin zu groß. Doch das Schicksal sollte Max zu einem späteren Zeitpunkt an diesem Tag eines besseren belehren.

Während seiner Vorlesung über das Finanz- und Rechnungswesen in Amrika schweiften seine Gedanken immer wieder ab. Max hatte das große Bedürfnis, diesen fremden Florian mit diesen vertrauenswürdigen braunen Augen wieder zu sehen und ihn besser kennen zu lernen. Er wusste nicht, woher dieses Bedürfnis kam, allerdings war es stärker, als er eigentlich wollte. Florian, er musste ihn wieder sehen, so unhöflich wie er gewesen war.

Nach der nicht enden wollenden Vorlesung begab sich Max in die Mensa, auch, wenn er keinen Hunger hatte, so musste er doch etwas essen, nur, um nicht aufzufallen. Er würde eh nach spätestens zehn Minuten wieder auf die Toilette rennen, um die Nahrung aus seinem Körper zu erbrechen.

Es war, als würde Max zwischen zwei Welten leben. Die Welt zu Hause, wo er vollkommen abgeschottet war und einfach seine Maske fallen lassen konnte, wo die harte Realität zu sehen war. Die, die Max täglich verbergen musste, sobald sich die Wohnungstür hinter ihm schloss. Man sah dann, wie kaputt Max war, wie schrecklich schlimm es um seine Psyche stand.
Die andere Welt war die Öffentlichkeit, wo es sich für ihn anfühlte, als wäre er in einem nicht enden wollenden Alptraum gefangen, wo er sich verstecken musste, um dazu zu gehören.

Max hielt die Balance zwischen den Grenzen, er wusste, wann er welche Welt betrat und wann er sie wieder verlassen konnte, beziehungsweise musste.

Dieses Leben war eine Strafe, eine Strafe für seine Schwäche, weil er sich nicht wehren konnte, und es nie können wird.

Das einzige, was zu hören war, war die Spülung der Toilette, die davon zeugte, dass das Schinkensandwich, was bis vor ein paar Minuten noch in seinem Magen war, nun auf seinem Weg in die Kanalisation der Hauptstadt war. Als er die Tür der Kabine öffnete, hielt er den Blick gesenkt und den linken Arm auf seinem Bauch. Einzig und allein ein Räuspern ließ ihn hochschrecken. Braune Augen fingen seinen erschrockenen Blick auf, Mitgefühl, aber auch Wärme waren in ihnen zu erkennen. "Stressigen Tag gehabt, hm?"

Max konnte nicht anders, als perplex den Kopf zu schütteln. Er räusperte sich kurz, ehe er zu sprechen begann. "Ne, ick hab nur einen kleinen Mageninfekt, mehr nicht. Wird morgen sicher besser sein." Mit kaltem Wasser wusch sich Max das Gesicht und die Hände, spülte seinen Mund so gut es eben ging aus. "Sorry, dass ich einfach so weg gerannt bin. Ich musste noch was vor Unibeginn erledigen.", log Max ihn an. Durch den Spiegel hindurch trafen sich ihre Blicke erneut, ein kleines Schmunzeln war wie bereits heute morgen schon auf den zarten Lippen von Florian. "Na dann wünsche ich dir mal gute Besserung. Und hey, kein Ding, das versteh ich. Hab ja selber immer wieder das Problem."

Ein Hyänenartiges Lachen erfüllte den Raum. Florians Lachen schien ansteckend zu sein, denn selbst Max lächelte nach Monaten mal wieder schwach. Es war zwar nicht deutlich, aber ehrlich.

"Also, ich würde dich ja gerne fragen, ob du Lust hast, mal mit mir zusammen was zu machen, aber das kommt etwas unhöflich, wenn ich dich das auf einer Männertoilette n der Uni mache. Aber das ist mir egal, also, hast du mal Lust, etwas mit mir zu machen, ehm..", "Max. Mein Name ist Max Krüger."

"Max Krüger, der Name gefällt mir. Ich bin Florian Mundt, gerne auch Flo. Und ja, mein Nachname ist Mundt, allerdings mit dt geschrieben, wehe du machst dich darüber lustig, danke. Also, hättest du nun Interesse, etwas mit einem fremden Typen aus der Uni zu machen?" Sanft lächelte Florian Max an, versuchte, den kleinen zerbrechlichen Mann nicht zu sehr zu verschrecken. "Wieso auch nicht? Und keine Angst, die Witze kommen, sobald wir uns besser kennen.", doch im Kopf fügte er lautlos hinzu, dass dies niemals passieren dürfte.

"Ich nehm dich beim Wort, Max. Hier hast du meine Nummer, melde dich einfach, wenn es dir besser geht und du Zeit und Lust hast." Florian drückte Max einen kleinen, zusammen gefalteten Zettel in die Hand, ehe er den Toilettenraum verließ und Max vollkommen verduzt zurück ließ.

'Besser gehen wird es mir niemals, aber danke.', dachte sich Max, als er das kleine Stück Papier betrachtete, ehe er es sich in seine Manteltasche steckte, seine dunkelblaue Umhängetasche schulterte und den Raum verließ und in den Hörsaal lief.

Nach einer halben Ewwigkeit mit Wirtschaftspsychologie, wieso auch immer er das nochmal als Nebenfach für sein Studium gewählt hatte, stand er wieder an der Haltestelle seiner Uni und wartete auf die Bahn, die ihn nach Hause bringen sollte. Wieder ließ er seinen Blick über die Menschen schweifen, Geschäftsmänner in billigen Anzügen, gestresste Mütter mit ihren schreinenden oder herumtollenden Kindern, Obdachlose, Punker. In Berlin fand man die verschiedensten Menschen, egal, wo man auch hinsah.

Sein Weg nach Hause verlief ohne Zwischenfälle, einzig und alleine seine Gedanken konnten sich nicht von Florian los reißen. So einen Menschen hatte Max noch niemals zuvor getroffen, und irgendwie ahnte er, dass sein Leben eine Wendung nehmen würde.

Zu Hause angekommen, schloss er die Tür hinter sich, schleppte seine Tasche zu seinem mit Papieren und Büchern überfüllten Schreibtisch, wo er sie fallen ließ. Seinen Mantel hing er an die kleine Garderobe im Flur. Den kleinen Zettel holte er aus der Manteltasche, legte diesen auf sein Bett und entledigte sich seiner Kleidung, die er durch eine Jogginghose und einem weitem T-Shirt ersetzte. Vorsichtig und unter Schmerzen, ausgehend von seinem Magen stöhnend legte er sich auf sein Bett, nahm den Zettel fest in die Hand und versuchte, mit den Situationen des heutigen Tages, der definitiv zu viel für Max war, zurecht zu kommen.

Doch letzten Endes endete der Tag darin, dass Max, wie auch jeden Tag, auf seinem Bett zusammen brach und den Willen, weiter zu kämpfen, aufgeben wollte.

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