Ich sitze an meinem Schreibtisch und seufze. Genervt blättere ich die Seite um und lese mir total uninteressante Informationen über kreative Schnittmuster durch. Ich habe mich endlich dazu aufgerafft, an meiner Hausarbeit zu arbeiten.
Eine Woche ist es jetzt bereits her, dass Lucie weinend bei mir eingefallen ist. In dieser einen Woche hat sie sich zwei Tage bei mir ausgeweint, sich mit Damian wieder versöhnt und mir weitere zwei Tage davon erzählt, wie wahnsinnig blöd er sich manchmal ihr gegenüber verhält. Damian ist einfach kein Mann, der nach einem Streit leicht einlenkt. Er ist grundsätzlich erst einmal der Überzeugung, im Recht zu sein. Dass Lucie das mit sich machen lässt, obwohl sie in dieser Situation wirklich wütend sein dürfte, und es Damian gelungen ist, ihr einzureden, dass sie überreagiert hat und ihn dieses Verhalten einengt, zeigt, dass sie für einen Mann wie Damian nicht gemacht ist. Damian hat Widerstand verdient – und genau das ist es, was in reizt.
Scheinbar plagt mich das schlechte Gewissen ihr gegenüber mehr als ihn. Zumindest wirkt es so! Jedenfalls macht er ihr keine übertriebenen Geschenke, bringt ihr keine Blumen mit und auch sonst keinen Kram, auf den wir Frauen so stehen und die ein Mann uns in der Regel nur so häufig zukommen lässt, wenn er ein schlechtes Gewissen hat.
Ich knurre mürrisch. Wieder denke ich an Damian. Wie so oft in der letzten Woche. Ich bin trotzdem wahnsinnig stolz auf mich, denn ich habe nicht einmal mit dem Gedanken gespielt, ihn anzurufen. Kein einziges Mal. Ich bin der festen Überzeugung, dieses Thema totzuschweigen ist in diesem Fall die beste Lösung. Damian und ich werden uns einfach nicht mehr sehen, jedenfalls nicht allein und ungestört. Und inzwischen bin ich auch der Meinung, dass Lucie nichts erfahren sollte. Es ist einfach besser für sie.
Ich bin noch immer hin- und hergerissen. Sie ist so glücklich mit Damian. Eigentlich muss sie erfahren, dass er nicht der ist, für den sie ihn hält. Aber ich kann ihr nicht die Beziehung zu dem Mann schlechtreden, den sie liebt und der sie scheinbar auch sehr glücklich machen kann – abgesehen von der kleinen Streiterei der vergangenen Woche. So etwas kommt in den besten Ehen vor!
Eine innere Stimme in mir sagt mir immer wieder, dass ich so nur vor dem Problem davonlaufe, aber ich glaube, so können wir drei jeder für sich glücklich werden.
„Alle Modelle werden auf Tuch perfektioniert, bis eine vollständige Harmonie von Formen und Modellierungen erreicht wird.", lese ich in diesem Buch und seufze. Vor lauter Gedanken an Damian und Lucie und diese ganze Situation habe ich total den Zusammenhang verloren. Ich klappe das Buch zu und stehe auf. Ein wenig Ablenkung wird mir sicherlich gut tun und meinen Kopf für eine weitere Runde Schnittmuster freipusten!
Die kleine Fahrradtour zum nächsten Supermarkt tut mir gut. Ich denke nur noch daran, was ich einkaufen muss und beschäftige mich mit der Frage, wie ich die Einkäufe auf meinem Fahrrad im Anschluss nach Hause transportieren kann. Logistik war noch nie so meine Stärke, deswegen habe ich mein Studium „Logistikmanagement" auch ganz schnell wieder beendet und mich für Textil- und Bekleidungstechnik entschieden.
Ich kaufe also die benötigten Dinge wie Shampoo, Milch, Eier, Joghurt, Brot, Wasser und eine neue Nagelschere und begebe mich wieder zum Ausgang. Ich befestige die Wasserflaschen auf dem Gepäckträger. Das Blöde ist, dass ich die Tüte mit den Lebensmitteln nicht mehr dort verstauen kann und sie in einer Hand festhalten muss. Aber das kriege ich hin – irgendwie. Jetzt wäre doch ein Mann ganz hilfreich, der mir die Sachen bis nach Hause trägt. Stattdessen sattele ich auf und radele los - fast in einen Mann hinein, der daraufhin eine Prellung an seinem Oberarm als Kampfverletzung davonträgt. Er reibt sich mit schmerzverzerrtem Gesicht den Arm und ich sehe ihn beschämt an. „Tut mir leid.", sage ich schnell und versuche, das Gleichgewicht auf dem Fahrrad zu halten.
Ich bin heilfroh, dass Daniel nicht noch mehr passiert ist. So heißt mein unbekannter Fahrradunfall. Daniel. Und obwohl Daniel gar nicht mein Typ ist, lasse ich mir von ihm – dem schwerverletzten Opfer – meine Einkäufe nach Hause bringen. Er schiebt sein Fahrrad neben meinem her und hat neben dem Sixpack Bier auf seinem Gepäckträger nun meine Lebensmitteltüte verstaut.
Wir unterhalten uns eine ganze Weile. Ich finde es nett, dass er mir behilflich ist. Er ist im Allgemeinen sehr nett. Ich erfahre, dass er viel Sport macht. Ich erzähle ihm von meinem missglückten Versuch, eine Ausbildung zu beginnen. Und auch von meinem abgebrochenen Logistikmanagementstudium. Daraufhin erzählt er mir, dass sein Vater regelmäßig mit Logistik zu tun hat und dass auch er sich mit Logistik auskennt. Ich erzähle ihm, dass mein Vater Englischlehrer ist. Er sagt, dass er schon immer ein Englischinvalide war. Ich sage, dass ich öfter bereits invalide war und im Moment Tabletten nehme, die meine Abwehrkräfte steigern sollen. Er erklärt mir, dass er wegen zu viel Alkoholkonsum bestimmt gar keine Abwehrkräfte mehr hat und will meine Tabletten auch mal ausprobieren. Wir erreichen mein Wohnhaus.
Ich schmiere mit einem abgebrochenen Kugelschreiber aus meiner Handtasche meine Handynummer auf einen Zettel. Dann bedanke ich mich und jeder geht wieder seiner Wege. Es ist sicherlich eine total bescheuerte Idee, aber vielleicht lenkt eine Bekanntschaft mit einem anderen Mann mich von meiner unerfüllten Liebe zu Damian ab – und von der Situation, dass ich ihn nie werde haben können!
Daniel scheint mich nicht so nett gefunden zu haben, denn er meldet sich nicht bei mir. Vielleicht erwarte ich auch zu viel. Ich sollte nicht den ganzen Tag auf mein Handy starren und auf ein Lebenszeichen von ihm warten. Stattdessen klemme ich mich wieder hinter meine Bücher zum Thema Schnittmuster. Zu meiner eigenen Überraschung schaffe ich Einiges. Bereits drei Seiten kann ich am folgenden Abend als persönliche Tagesleistung verbuchen. Zufrieden schalte ich meinen Laptop aus und kümmere mich um mein Abendessen. Ich schnibbele mir einen Salat zusammen und brate etwas Hähnchenfleisch in der Pfanne an.
Das Klingeln meines Handys reißt mich aus meiner Beschäftigung. Ich lächle zufrieden als ich das Handy aus meiner Hosentasche fingere. Daniel hat sich also doch noch dazu durchgerungen, die nette junge Frau mit dem roten Fahrrad anzurufen. Freudig ziehe ich mein Handy aus der Hosentasche. Mein Gesichtsausdruck versteinert jedoch automatisch, als mir Damians Name entgegen blinkt. Mein Herz beginnt zu rasen und schlägt mir mit einem Mal bis zum Hals, meine Finger werden schwitzig. Ich will nicht, dass er mich anruft. Ich will nicht damit konfrontiert werden, Lucie zu hintergehen. Ich will doch einfach nur alles vergessen. Wieso lässt er das nicht zu? Wieso meldet er sich jetzt bei mir?
Ich lege das Handy zur Seite und ignoriere seinen Anruf. Ich rede nicht mit ihm. Das ist nicht gut. Wir müssen damit aufhören hinter Lucies Rücken unsere Spielchen zu treiben.
Ich wische den Herd trocken, habe gerade meine Küche geputzt. Der Salat mit den Putenbruststreifen zum Abendessen hat mir nach Damians Anruf nicht mehr geschmeckt. Ich sehe in die Dunkelheit hinaus und falte nebensächlich das kleine Geschirrtuch zusammen. Dann lege ich es auf die Heizung, lösche das Licht und verlasse die Küche. Ich sitze gerade auf meiner Couch im Wohnzimmer als es an meiner Tür klingelt. Ich sehe auf die Uhr. Es ist kurz nach halb Zehn. Ich erwarte niemanden mehr.
Nur langsam stehe ich auf und tapere zur Tür. Kurz sehe ich an mir herab. Ich trage einen abgetragenen graumelierten Joggingsweater zu der dazugehörigen Jogginghose. Seufzend streiche ich meine Haare mit beiden Händen nach hinten. Es klingelt erneut – und ich erstarre als ich ihn vor meiner Tür stehen sehe. Ich sehe nur die Silhouette seines Körpers durch das milchige Glas in der beinah-Dunkelheit, lediglich ein kleines Außenlicht beleuchtet ihn. Und doch erkenne ich ihn. Es ist Damian. Was will er hier? Wieso kommt er unangekündigt bei mir vorbei? Und vor allem: Was mache ich jetzt?!
Was sollte sie eurer Meinung mach tun?
Wollt ihr eigentlich mehr von Damian? In meiner Geschichte "Wolke 7" kommt er jedenfalls auch regelmässig vor.
Vielen Dank für eure Votes und Kommentare. Falls ich noch nicht geantwortet habe, mache ich das noch. Wattpad spinnt immer noch und ich bekomme kaum Benachrichtigungen.
DU LIEST GERADE
The Affair | #aestheticawards2020
Short Story#47/Chicklit <3 „Seit wann machst du hier irgendwelche Regeln?", erwidert er provokant und durchbohrt mich mit seinem Blick. Alle Härchen meines Körpers stellen sich bei seiner dunklen Stimme automatisch auf. Mit einem lauten Knall wirft er achtl...