Kapitel 6

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Ich versuchte ruhig zu bleiben, wirklich. Es war aber verdammt schwer, vor allem, weil Michael mich mit diesem durchdringenden Blick musterte, der direkt in meine Seele zu blicken schien.
Ich schluckte schwer und wollte etwas sagen, als er mich einfach am Handgelenk packte, Gabriel mit einem Kopfnicken dazu auffordert mein anderes zu packen und mich einfach stumm hinter sich herzog. Uriel und Raphael machten dasselbe mit Finnian.
Ich war so perplex, dass ich mich widerstandslos einige Meter mitziehen ließ ehe ich meine Arme befreite, abhob und davonflog. Ich hörte Michael lediglich vollkommen ruhig nach Gabriel rufen (Und Finnian, dieser allerdings rief weniger ruhig nach mir).

Gabriel war überraschend schnell bei mir und das obwohl er flog.
"Hiergeblieben!", knurrte er mich an. Ich wandte den Kopf und warf ihm einen finsteren Blick zu.
"Vergiss es!"
Er beschleunigte enorm, was mir einen leisen, überraschten Aufschrei entlockte. Aber ich war ja nicht total blöd. Mit eingeklappten Flügeln ließ ich mich fallen und konnte mir einen letzten spöttischen Blick nicht verkneifen. Sein überraschter Blick war den nur knapp verhinderten Zusammenstoß mit einem Baum (der tauchte urplötzlich aus dem Nichts auf, echt) wirklich wert. Auch wenn er sofort die Verfolgung aufnahm und sich in einem eleganten Sturzflug gen Boden stürzte (also Gabriel, nicht der Baum).
Verärgert schnaubte ich wegen seiner Hartnäckigkeit und wandte meinen Blick nach vorne. Geblendet von der Sonne wäre ich beinahe in Raphael und Uriel geflogen, die den zappelnden und fluchenden Finnian zwischen sich hielten. Ich musste auf der Stelle bleiben und hörte meinen Verfolger näher kommen. Und natürlich tauchte auch noch Michael auf, mit einem triumphierenden Glitzern in den kalten Augen.
Mein Kopf schwang panisch hin und her und ich versuchte etwas Platz und Zeit zu gewinnen. Und denken musste ich auch noch. Was wirklich schwer war, da Finnian mich total ablenkte. Wenn er so weitermachte, würde es klatschen. Und es würde kein Applaus sein.
"Was willst du jetzt machen, Dämon?", fragte Raphael mich hämisch grinsend und drückte seinen Gefangenen dem überraschten Uriel in den Arm.
"Wenn du dich verdünnisierst, muss dein kleiner Kumpel wohl mit uns kommen."
Ich gab es nur ungern zu, aber ich wusste wirklich nicht wie ich hier wieder rauskam. Die vier würden mich nicht nochmal davonfliegen lassen, Finnian war mir eigentlich ziemlich egal. Die Erzengel kamen näher um mich zu schnappen und mitzunehmen. Und dann hatte ich einen genialen Geistesblitz.

Blitzschnell riss die Dämonin ihren Beschwörer aus Uriels Armen und drückte ihn an sich. Ein Ring aus Höllenfeuer hielt die Erzengel kurzzeitig in Schach, lange genug, damit sie sich sammeln konnte und bereit war zu teleportieren. Als sie den Vorgang aktivierte, spürte sie eine Hand, die sich ihr in die Schulter krallte und hörte Finnian einen überraschten Laut von sich geben. Dann war sie auch schon weg.
Im nächsten Moment waren sie auch schon wieder im Keller mit dem blutigen Pentagon, den Kerzen und allem drum und dran. Lilith ließ Finnian einfach fallen und drehte sich um. Sie sah nun direkt in Uriels verwirrtes Gesicht und musste grinsen.
Sie holte mit einem großen Flammenball in der Hand aus um ihm diesen ins Gesicht zu pfeffern, als der Engel ihr auch schon einen Tritt in die Magengrube versetzte,  der sie keuchend auf den Boden sinken ließ. Einem Schlag mit magieumhüllter Faust konnte sie nur knapp entgehen und revanchierte sich mit einer Flammensäule aus ihren Händen, die Uriel einhüllte, alles andere aber in Ruhe ließ. Der Erzengel zischte mit schmerzverrtem Gesicht und feuerte auf gut Glück eine Salve seiner himmlischen Magie ab, streifte aber nur Finnians Haar.
"Das wird jetzt lustig", kicherte Lilith und ließ ihre Fingernägel zu langen, scharfen Krallen werden. Der Erzengel hatte es geschafft, das Feuer zu löschen, konnte dem Schlag allerdings nicht ausweichen. Federn flogen, rot vom aufgespritzen Blut und er sank mit einem Schmerzensschrei auf die Knie. Sein linker Flügel war aufgeschlitzt worden und ein Teil davon hing nutztlos herunter. Blut verteilte sich auf dem grauen Boden und floss zum Pentagon.
"Reicht das?", fragte Lilith an ihren Beschwörer gewandt.
"Wofür?", fragte dieser verwirrt.
"Um Luzifer herzuholen. Ich vermisse ihn und außerdem will er bestimmt alte Bekannte wiedersehen."
"Tu das nicht!", zischte der verwundete Erzengel den Jungen an, "Er wird dich umbringen!"
Lilith bedachte ihn mit einem kalten Blick und riss seinen Kopf an den blonden Haaren hoch, sodass er sie angucken musste. "Du, mein Bester, hält dich schön da raus, ist das klar?"
"Du machst mir keine Angst, Dämon!", fauchte Uriel und spuckte ihr vor die Füße. Sie verengte die schwarzen Augen zu Schlitzen und knurrte bedrohlich leise:
" Erstens: Ich habe einen Namen, Erzengel. Und zwar Lilith. Und zweitens spuckt man eine Dame nicht an."
Sie grinste wieder.
"Oder soll ich dir noch den anderen Flügel rot färben?"
Uriel wurde blass, erwiderte aber nichts darauf und guckte sie mit einem trotzigen Blick an.
"Feiner Engel."
Sie tätschelte ihm den Kopf wie einem braven Hund und lachte wieder. Besagter Engel warf ihr einen vernichtenden Blick zu und knurrte wütend, war aber machtlos, da Lilith ihm magiebindende Handschellen aus Höllenfeuer anlegte.
"Also?", fragte sie Finnian,"Kannst du ihn holen oder nicht? Wenn nicht, bist du nutzlos für mich."
Der Gefragte nickte hektisch und kniete sich vor die unterste Spitze des Pentagons. Er begann unverständliche Sätze aus einem Buch vorzulesen, während Uriel das ganze mit finsterem Blick verfolgte. Er konnte nichts dagegen tun, er war nun mal der schwächste der vier Erzengel.
"Michael wird mich finden und dich zu unserem Herrn bringen. Und dann bist du geliefert."
Er lachte bitter auf und wandte sich dann an Finnian. Lilith verfolgte das Ganze mit amüsierten Blick.
"Wenn du das lässt, hättest du noch Chancen in den Himmel zu kommen, ehrlich."
Der Junge blickte auf und schenkte ihm ein schiefes Lächeln:
"Ich hab Lilith nur geholt, weil ich nichts mehr zu verlieren hatte. Ich wäre so oder so in die Hölle gekommen, spar dir also deinen Atem. Du wirst ihn brauchen."
Über den geschockten Blick des Engels musste Lilith wieder lachen. Ihr Lachen erstarb allerdings, als die ihr altbekannte Lichtsäule aus dem Boden schoss und den Raum in rötliches und gelbes Licht tauchte. Gebannt wartete sie darauf, dass der Gerufene erschien. Nach wenigen Sekunden konnte sie einen flimmernden Umrisse ausmachen, der immer deutlicher wurde, bis das Licht abrupt erlosch.
"Lang ist's her...", murmelte Luzifer und sah sich um. An Uriel blieb sein Blick hängen.
"Das ich dich noch mal wiedersehe... Wo ist denn dein Herrchen? Und die anderen blinden Hunde?"
Er lachte gehäßig und fragte Lilith:
"Ist der ärmste etwa alleine? So ganz schutzlos und einsam?"
Sie nickte lächelnd.
"Armes Hundchen."
Würden Blicke auch nur einen fast unspürbaren Stromstoß aussenden, wäre Luzifer jetzt tot. Stattdessen belächelte er den hasserfüllten Blick seines ehemaligen Freundes nur und musterte ihn eingehend, überlegend wie und womit er anfangen sollte.
"Du verdienst diese Flügel nicht", stellte er schließlich fest und ließ ein flammendes Schwert erscheinen mit welchem er sich langsam und vorfreudig näherte.

LilithWo Geschichten leben. Entdecke jetzt