Kapitel 7

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So verlor Uriel seine Flügel, bei einem qualvollen und langwierigen Prozess. Lilith hatte Luzifer und Finnian allein gelassen, sie bewunderte lieber den Sonnenaufgang.
Es war sehr lange her, seit sie das letzte mal einen sehen konnte. Auf dem Dach hatte man aber auch einen wunderbaren Rundumblick über die stille, verlassene Stadt. Hier und da standen Autos, einige zerstört, genauso wie so manche Tür eines Hauses. Viele Häuser standen gar nicht mehr, sie waren zu einem undefinierbaren Haufen aus Schutt geworden, zwischendrin meist die sterblichen Überreste eines oder mehrerer Menschen.
"Wie traurig eine Stadt ohne lebende Menschen wirkt", murmelte die Dämonin und blickte der Sonne entgegen, die zu drei Vierteln bereits zu sehen war. Da war es wieder; dieses furchtbare, menschliche Mitleid. Und Reue. Energisch schüttelte sie den Kopf, um diese undämonischen Empfindungen zu vertreiben. Sie suchte nach Luzifers dunkler Feder, fand sie aber nicht. Das erklärte dann wohl diese Gefühle. Ob Finnian seine noch hatte? Apropos, wessen Sohn war er denn jetzt?

Ganz ehrlich, das ganze war verwirrend. Es kamen fast 200 gefallene Engel dafür in Frage und unzählige Dämonen. Ich saß da also und anstatt die aufgehende Sonne zu bewundern, zerbrach ich mir meinen hübschen Kopf über sowas! Ich wurde allerdings schon nach kurzer Zeit von einem Schmerzensschrei aus meinen Gedanken gerissen und teleportierte zurück zu den werten Herren.
Uriel kniete mit geschlossenen Augen und zusammengebissenen Zähnen vor Luzifer, welcher mit blutigen Händen und einem kalten, verächtlichen Blick vor ihm stand und ihn musterte. Neben dem Erzengel lagen seine ehemals weißen Flügel in einer hellroten Blutlache die stetig größer wurde, da aus seinem Rücken noch immer Blut floss. Finnian starrte meinen Freund an, mit einem teils bewundernden, teils verschreckten Blick.
"Fertig mit spielen?", fragte ich Luzifer. Er drehte sich zu mir um und antwortete lächelnd:
"Fürs erste. Ich habe aber schon neue Ideen."
Uriel hob den Blick und blitzte Luzifer trotz seines Schmerzes hasserfüllt an:
"Du hast endgültig verspielt, Mortifer! Du hast mich verletzt, also hast du die Liebe Gottes verletzt! Du wirst niemals wieder zurückkehren können, nie wieder."
Das Lächeln des Teufels erstarb, als er herumfuhr und den flügellosen Engel kalt anblitzte:
"Nur weil du die ach so große Liebe Gottes verkörperst, heißt das nicht, dass du sie auch bist. Außerdem ist mir das vollkommen egal, dass ich nicht zurückkehren kann, ich mag die Hölle nämlich."
Mit finsterer Genugtuung verschränkte er die Arme ehe er fortfuhr:
"Ihr müsst ja große Angst vor mir haben, wenn ich jetzt schon der Todbringer und nicht länger Lichtbringer bin. Ich weiß nicht, ob ich mich gekränkt oder geehrt fühlen soll."
"Du bist echt das letzte!", knurrte Uriel und krümmte sich vor Schmerz.
Flügel waren empfindlich und heilten langsamer als normale Knochen. Manchmal sogar nie. Ich hätte echt fast Mitleid mit ihm gehabt. Die Betonung liegt auf fast.
"Ach ja?", fragte Luzifer ihn ruhig und packte ihn an den Haaren die sich sofort rot färbten, "Wer war der erste Erzengel? Oder auch nur der erste Engel insgesamt? Hm?"
Der gepeinigte starrte ihn finster an und presste die Lippen auf einander. So verwundet und in einer Lache seines eigenen Blutes kniend wirkte er sehr klein und hilflos. Er war, wie mir aufgefallen war, tatsächlich der kleinste der vier Erzengel. Und trotzdem musste ich ihn für sein Durchhaltevermögen und diese kraftvolle Aura die ihn umgab bewundern.
Luzifer ließ sein Opfer los und kam zu mir, mit einem Lächeln auf den Lippen und Blut an den Händen.
"Mir ist ein genialer Gedanke gekommen, wenn ich das mal so sagen darf", erklärte er mir und ignorierte das verächtliche Schnauben des Erzengels.
"Und der wäre?", fragte ich ihn lächelnd.
"Wir haben doch noch eine Rechnung mit jemandem offen..."
Er brauchte gar nicht weiterzusprechen, ich wusste worauf er hinauswollte.
"Bin dabei. Nur...", ich zeigte auf Finnian, der noch immer vor dem Pentagon kniete und Uriel fassungslos anstarrte,"...was machen wir mit ihm?"
Der Gefragte schien den Halbdämon erst jetzt richtig wahrzunehmen und musterte ihn. Dann breitete sich zusehends Erkennen auf seinem Gesicht aus.
"Finnian..."
Der Angesprochene zuckte zusammen und guckte den Teufel ängstlich an.
"Ja..?"
Luzifer lächelte leicht als er fortfuhr:
"Da wird sich Belial aber freuen."
Ich kannte ihn. Hatte ich das Rätsel also doch noch gelöst. Belial war einer der über 200 gefallenen Engel und Vizekönig der Hölle. Wir waren gute Freunde, aber leider sah ich ihn nicht oft. Wenn er einmal im Palast war, dann meist nur bei Luzifer um etwas zu besprechen.
"Wir sollten ihn noch mehr herholen lassen", schlug ich vor,"Je mehr, desto lustiger!"
Mein Freund überlegte, wurde aber von Uriel unterbrochen:
"Das würde das Gleichgewicht zerstören, ihr gehört in die Hölle, nicht in die Welt der Menschen!"
"Und ihr gehört in den Himmel", konterte Luzifer spitz,"Gleiches Recht für alle."
Ich musste mir das Lachen verkneifen. Seit wann war der Teufel denn an Gleichberechtigung interessiert?
"Also? Würdest du das für uns tun? Und für deinen Vater?" Finnian sah nervös zwischen mir, Luzifer und Uriel hin und her. Dann nickte er langsam.
"Ich... ich machs."
"Wundervoll", sagte mein Freund, lächelte ihn an und wuschelte ihm durch das schneeweiße Haar. 
"Alter Schleimer!", kicherte ich und stupste ihn in die Seite.
"Verräter!", hörte ich Uriel leise knurren.
"Also."
Luzifer klatschte entschlossen in die Hände, bereit zur Tat zu schreiten und ignorierte die Kommentare.
"Freu dich Uriel, wir haben Verwendung für dich. Trotz deiner fehlenden Flügel."
Besagter Erzengel blieb bei seinem verbissenen Schweigen und funkelte Luzifer trotzig an.
"Willst du denn gar nicht wissen wofür?"
Er drehte lediglich den Kopf zur Seite und starrte Löcher in die Betonwand. Antworten würde er nicht.
"Dann sag ich's dir eben du Spielverderber", verkündete Luzifer gespielt beleidigt, "Du wirst die ehrenvolle Aufgabe haben, uns den Weg in den Himmel zu ebnen!"
"Niemals! Du kannst mich wer weiß wie sehr verletzen, ich werde euch nicht dorthin führen."
Der Teufel lachte so überraschend ehrlich, dass ich mir einen verwunderten Blick nicht verkneifen konnte. Was hatte er diesmal vor?
"Weiß ich doch! Ich hab ja auch gar nicht vor dich zu verletzen. Zumindest nicht in diesem Zusammenhang."
Er grinste den Gefangenen böse an.
"Aber was ist, wenn ich dir sage, dass ich von deinen kleinen, heimlichen Ausflügen mit überaus interassentem Ziel weiß?"
Uriels Gesichtszüge entglitten ihm kurzzeitig und er wurde blass. Dann fing er sich wieder und setzte eine teils gelangweilte, teils abweisende Miene auf.
"Ich weiß nicht wovon du sprichst, Mortifer", behauptete er kühl. Der Angesprochene verzog kurz das Gesicht bei diesem Namen.
"Du weißt schon was er meint, leugnen ist zwecklos."
Mein Freund warf mir kurz einen dankbaren Blick zu und verschränkte mit triumphierendem Grinsen die Arme vor der Brust.
Die dunklen Augen des Erzengels blickten verzweifelt zwischen uns hin und her und suchten nach einer Lösung. Doch schließlich gab er den Widerstand auf.
"Schwörst du, mich nicht zu verraten?", fragte er leise. Luzifer lachte leise:
"Selbstverständlich! Wofür hälst du mich?"
Der Gefangene öffnete bereits den Mund um etwas zu erwidern, doch der Teufel war schneller:
"Schon gut, sag nichts. Ich bin vieles, aber bestimmt kein Lügner!"
Na, da hatte ich aber andere Erfahrungen. Zum Beispiel, als ich hergeholt wurde, wusste er, was der Stern war und hat mich darüber angelogen. Ich hielt aber den Mund und lächelte nur säuerlich, ich konnte meinem Verbündeten ja schlecht in den Rücken fallen.
Zähneknirschend erhob er sich und warf einen kurzen, traurigen Blick auf seine Flügel.
"Na schön", murrte er mit hängendem Kopf, "Folgt mir."
Er warf Finnian, der uns stumm gelauscht hatte, einen letzten bedauernden Blick zu und wandte sich zum Gehen, wir ihm dicht auf den Fersen.

LilithWo Geschichten leben. Entdecke jetzt