Kapitel 13

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Alles um mich herum verstummte, das Fluchen Satans, die Stimmen der Erzengel, die Geräusche der Natur. Das einzige, was ich hörte, waren meine Gedanken, die wild und unordentlich durch meinen Kopf schwirrten. Ich bemerkte nur am Rande, wie die drei Engel abhoben und davonflogen, zurück zum Durchgang. Ich spürte Tränen in einem unablässigen Strom meine Wangen herunterlaufen und konnte meinen Blick nicht von Luzifer lassen. Seine Flügel wurden langsam wieder weiß, sogen sich allerdings an den Spitzen mit Blut voll. Der rechte war zerfetzt- insgesamt wirkte er nicht mehr wie der Teufel. Die Augen fassungslos aufgerissen, den Mund noch halb geöffnet. Um sich herum breitete sich eine Pfütze des eigenen Blutes aus, versickerte im Sand.
Ich war vollkommen nutzlos. Ich hatte die ganze verdammte Zeit über hier gelegen und zugesehen, wie er hinterhältig ermordet wurde. Toll, Lil. Hast du wirklich gut gemacht.
Ich spürte, wie der Zauber, der mich an den Boden gefesselt hat, sich auflöste. Aber die Kraft aufzustehen und zu ihm zu gehen brachte ich nicht auf, im Gegensatz zu Satan. Ich konnte mich gerade so hinknien, ehe mich das Gefühl absoluter Hilflosigkeit befiel und ich das Gesicht in meinen Händen vergrub. Ich war aber auch blöd! Ich hätte handeln sollen, als mich diese, übrigens nicht mehr vorhandene, Vorahnung beschlichen hatte. Zumindest hätte ich mich gegen Raphael zur Wehr setzen müssen. Aber nein...
Schlussendlich schaffte ich es doch mich aufzuraffen und Satan Gesellschaft zu leisten. Er wirkte auch nicht viel besser als ich, er tigerte auf und ab, raufte sich das schwarze Haar und murmelte irgendwas unverständliches.
Ich stand bereits ein paar Minuten dort, noch immer weinend, als er mich endlich bemerkte.
"Lil! Es tut mir leid, ich konnte nichts tun! Diese hinterhältigen Engel, wenn ich die in die Finger kriege!"
Er holte bereits erneut Luft, doch ich wies ihn mit einer Handbewegung an zu verstummen.
"Schon gut", murmelte ich und wischte mir die Tränen von der Wange,"Für dich muss es ja viel schlimmer sein, schließlich hast du gerade deinen Bruder verloren."
Satan biss sich auf die Lippe und nickte langsam.

Ich weiß nicht, wie lange ich einfach nur dagesessen hatte, ehe ich zu dem Schluss kam, dass er mit geschlossenen Augen und ebenfalls geschlossenem Mund friedlicher aussehen würde als in dieser Schockstarre. Ich streckte gerade die Hand nach den braungrünen Augen aus, als mich eine ruhige, aber bestimmte Stimme hochfahren ließ:
"Ich wäre dir wirklich sehr verbunden, wenn du ihn nicht berühren würdest."
Gesprochen hatte ein mir unbekannter Engel, der eine unheimliche Aura ausstrahlte. Er war scheinbar urplötzlich im Felsenkessel aufgetaucht und mir gegenüber getreten. Allerdings in einigen Metern Entfernung.
Zögernd sah ich von ihm zu Satan und dann zu Luzifer.
"Was hast du mit ihm vor?", fragte ich den Engel leise. Dieser erwiderte meinen misstrauischen Blick emotionslos aus reinschwarzen Augen und antwortete:
"Ich bin Sariel, Anführer aller Todesengel. Was soll ich schon groß mit ihm vorhaben?"
Er nickte mit dem Kopf in Luzifers Richtung, "Ich habe lediglich den Auftrag, ihn wie alle anderen Seelen nach dem Tod auch, mitzunehmen. Wenn du mich also meine Arbeit machen lassen würdest..."
Damit kam er näher und ich erhob mich langsam nickend.
"Komm Satan, gehen wir", murmelte ich. Er nickte und ich meinte zu hören wie er ganz leise "Mach's gut, Kleiner" murmelte, ehe er sich zu mir gesellte und wir uns zu Finnian teleportierten. Ich wollte wieder zurück, ich hatte für's erste genug.

Es war schwierig und ungewohnt für sie alle, doch nach einer Woche  zurück in der Hölle hatten sie sich einigermaßen an Luzifers Abwesenheit gewöhnt. Belial machte seine Sache gut, Lilith unterstützte ihn wo sie konnte. Für sie war der Tod des Teufels natürlich ganz besonders schwerwiegend. Hätte sie den Grund gewusst, weshalb er sie zurückließ im Verließ, hätte sie es wohl nicht ganz so schwer genommen. Ja, ja. Hätte, hätte...

Ich hatte wirklich nicht erwartet, dass das so stressig ist! Dabei machte ja Belial den Großteil der Arbeit. Ironischerweise hatte ich vor einer Woche noch zu viel Zeit gehabt. Hoffentlich beruhigte sich das nochmal...
Ich flitzte mal wieder hektisch durch die Eingangshalle und suchte nach Belial, als die Dienerschaft auf einmal unruhig wurde. Verwundert und dankbar für die kleine Verschnaufpause blieb ich stehen und guckte mich um. Sehr viele hatten sich um eine der Wachen gescharrt und tuschelten aufgeregt. Ich verdrehte die Augen und pustete mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Als ob ich nicht schon genug zu tun hätte.
Ich trat zu den Personen, die sofort ängstlich auseinander stoben und sich nach letztem Getuschel wieder hektisch ihren Aufgaben widmeten. 
"Was ist los?", fragte ich den Wächter scharf. Dieser wurde nervös und starrte vor mir auf den Boden.
"Ich hab nicht den ganzen Tag Zeit! Also?"
Er räusperte sich und guckte mir ein paar Sekunden lang in die Augen.
"Also... ich habe ihn gesehen, auch wenn das unmöglich ist, ich weiß. Aber ich bin mi-"
"Sag mir doch von wem du sprichst, verflixt nochmal!"
Ich hatte momentan wirklich genug zu tun, da bräuchte ich mich eigentlich nicht noch mit dem rumschlagen.
Die Stimme des Wächters sank zu einem Flüstern herab:
"Ich rede von Luzifer."
Wütend packte ich ihn am Kragen und schüttelte ihn.
"Das. Ist. Nicht. Witzig.", zischte ich ihm wutentbrannt zu und packte ihn fester.
"Ich mein's ernst! Ich schwöre es bei meinem Leben!", versuchte er sich zu verteidigen, was meine Wut aber nur zusätzlich anfachte. Ich schleifte ihn hinter mir nach draußen und guckte mich selber um. Dann schnauzte ich ihn wieder an:
"Du hast bei deinem Leben geschworen und hier ist er, oh Wunder, nicht!"
Ich hielt ihn mit einer Hand vor mir in die Luft und wollte mit der anderen krallenbewehrten ausholen, als ich ihn einfach fallen ließ. Ich musste halluzinieren.
Luzifer konnte gar nicht auf dem Hügel dort stehen. Er war tot. Wurde vor meinen Augen getötet. Und doch stand er dort und schien nach jemandem zu suchen. Die Engel mussten ihn wiederbelebt haben, Jahwe war doch sehr weichherzig.
Hastig rannte ich zu dem Hügel, ehe mir einfiel, dass ich teleportieren konnte. Einen Wimpernschlag später stand ich auf der Hälfte des Hügels und näherte mich Luzifer. Er stand mit dem Rücken zu mir, die Flügel angelegt und sein Schwert in der Hand. Letzteres verwirrte mich. In der Hölle hatte er keine Feinde. Wozu dann die Waffe?
Diese furchtbare Vorahnung beschlich mich wieder. Sehr viel stärker als bei den beiden letzten Malen. Irritiert blieb ich stehen.
"Luzifer..?", fragte ich ihn vorsichtig. Er drehte sich um und musterte mich aus kalten Augen.
"Lilith. Dich habe ich gesucht", knurrte er und holte mit dem Schwert aus.

LilithWo Geschichten leben. Entdecke jetzt