Ich hatte sie in einer Seitenstraße gefunden, verdreckt und mit verfilzten Haaren. Aber ihre Augen strahlten unter dem Dreck hervor und zogen mich in ihren Bann. Mein Sohn, selber 5, zog mich zu ihr und quakte mit seiner kindlichen Stimme ein "Papa Hilfe" hervor. Er konnte nicht reden, nicht vernünftig, nicht wie man es erwartet. Aber er konnte mit mir kommunizieren und manchmal, an besonderen Tagen wie heute, benutzte er dafür auch Wörter. Wir gingen zu ihr und ich kniete mich zu ihr, fragte sie wo ihre Mutter sei, aber sie antwortete nicht. Sie guckte mich nur mit ihren azurblauen Augen an, als sei ich der erste Mensch, den sie je gesehen hatte. Also setzten wir uns zu ihr, warteten Stunden auf eine Person, die sich für sie zuständig fühlte, aber niemand kam. Zwischendurch haben wir uns und ihr Essen geholt, welches sie hungrig verschlungen hatte. Wir sahen Leute an uns vorbeigehen, manche fragten uns, ob wir Geld wollten, aber ich verneinte es jedes Mal. Als es zu dämmern begann, sprach mein Sohn noch einmal: "Papa, Waise." Sie haben sich zwischendurch lange angeguckt, er hat sein Essen mit ihr geteilt, weil ihr Hunger immer noch nicht gestillt war und gemeinsam im Dreck der Straße Bilder gemalt. Ich saß daneben und dachte nach. Minuten vergingen, Stunden vergingen, bis mein Sohn das Gesagte sagte.
Also nahm ich sie an die eine Hand, meinen Sohn an die andere und ging mit ihnen nachhause. Dort ließ ich ihr ein Bad ein, erklärte meiner wunderschönen Frau weswegen sie hier war und beratschlagte mit ihr was wir als nächstes tun sollten. Sie, die wir still und heimlich Tiana getauft hatten, stand auf einmal im Raum und schaute uns an. Uns beide, gleichzeitig. Mit ihrem Blick der Trauer, wie wir ihn mittlerweile nannten und wir spürten ihren Schmerz, jedes Haar an unserem Körper sträubte sich und jeder hielt die Luft an. Tiana kippte plötzlich um und meine Frau und ich begannen weinend zu ihr zu laufen. Wir legten sie auf unsere Couch, deckten sie zu und schauten ihr beim Schlafen zu. Unser Sohn kam dazu und tat es uns nach. Flüsternd redeten wir über das Gesehene. Über die grausamen Bilder die sie uns in den Kopf gesetzt hatte, über die grausamen Gedanken und Gefühle.
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Das Mädchen
ParanormalVon der heutigen Gesellschaft abgekapselt lebt eine Familie, möglichst frei von allen Regeln dieser Gesellschaft. Das Apkapseln wurde zu einem Weglaufen und das wovor sie weggelaufen sind, holt sie ein.