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Es ist erschreckend wie eine neue Sache, ein neuer Denkanstoß unser gesamtes vorheriges Denken ändern kann. Wie ein neues Wissen unser Weltbild zerstört. Wie zum Beispiel das Wissen, dass nur, weil man etwas nicht sieht es nicht existiert, falsch ist. 

Und diese Erkenntnis stand Maria am nächsten Morgen ins Gesicht geschrieben, die dunklen Ringe unter ihren Augen ließen sie um zehn Jahre altern. Sie hatte sich nicht die Mühe gemacht ihre Haare zu machen oder die Schminkreste von ihren Augen zu entfernen. "Cariño, wir müssen etwas ändern." war alles was sie sagte und sie schaute dabei Pat tief in die Augen. 

Er saß schon seit einer Stunde mit uns am Frühstückstisch, im Inneren der Villa. Draußen sahen wir die Blumen wachsen und gedeihen, unter uns lag ein prachtvoller grüner Teppich. Die Wände waren von Gemälden verdeckt, die Akt Portraits, Blumen und wunderschöne Orte zeigten. Der Tisch war aus dunkelbraunem Holz, mit Oliven und allerart von Speisen bedeckt. Nirgends stand Fleisch, dass einzige tierische was unseren Tisch zierte, war Ziegenkäse. Von Ziegen die Pat kannte und als "glücklich und zufrieden" einstufte, teilte er uns mit einem Zwinkern mit. Wir hatten noch nicht zu essen begonnen, denn wir hatten beschlossen auf Maria zu warten, die Pats Angaben zu Folge eine "unruhige Nacht" hatte. Wenn man sie so betrachtete, sah sie aus als hätte sie kein Auge zu getan. Nur mit einem weinroten Bademantel bekleidet, setzte sie sich zu uns und schaute Pat fordernd an.

Wir spürten das den Beiden anstrengende Gespräche vorstanden und wir fühlten auch, dass wir dabei sein würden. Pat räusperte sich und wich ihren galant ihrem Blick aus. "Was sollen wir ändern? Du weißt wir haben kein Geld." Das Fass war geplatzt, der Reichtum war nur Schein. Maria biss sich auf die Unterlippe, konterte sein Argument dann aber mit "Wir könnten aber mehr haben."Die Luft vibrierte und uns wurde klar, dass diese Diskussion nicht zum ersten Mal geführt wurde. Seufzend schaute Pat erst uns und dann Maria an. "Ich male nicht mehr." war alles was er sagte, bevor er sich seinen Teller mit Essen belud.

Schnippisch schaute Maria erst ihn, dann uns an und begann zu erzählen:

"Patricio stammt aus einer Reichenfamilie, einer reichen Blumenhändlerfamilie. Er genoß die beste Bildung, die beste Ernährung und die Geborgenheit einer Familie. Durch seine Familie genoß er hier überall ansehen, denn jeder wusste das sie die besten Blumen hatten. Allerdings zerstritt er sich mit seiner Familie, weil er nicht gewillt war das Blumengeschäft weiterzuführen, da er die Meinung vertrat das es ethnisch nicht vertretbar sei. Also wurde er aus der Familie verband, lebte seinen eigentlichen Traum - Maler zu sein. Er hatte sein eigenes Attellier, hatte reiche Kunden, hatte seine eigene Existenz aufgebaut. Ich war eines seiner Aktmodels - typische Geschichte oder?" Sie unterbrach sich kurz und lachte wehmütig.

"Doch dann starb seine Mutter und sein Vater wurde alt. Sie hatten niemanden der ihr Unternehmen weiterführen würde und sein Vater heiratete neu. Eine gehässige, alte Schabracke, die Patricio auf der Straße vorwarf, seine Mutter in den Tod getrieben zu haben. Das sie an einem gebrochenen Herzen gestorben sei, weil ihr einziger Sohn sich von ihr abgewand hatte. Diese Worte begannen ihn zu zerfressen, er hörte mit dem Malen auf und kaufte sich von unserem ersparten Geld den Blumenwagen. Fuhr für seinen Vater seine letzten Blumen aus. Das Geschäft war damals schon fast pleite, denn wer kann schon mit den Supermarktketten mithalten? Es war ein reinfall. Nichts als ein einziger Reinfall. Seit 15 Jahren fährt er nun, tagtäglich mit seinem Blumenwagen die Straßen entlang, nur um uns unser Überleben zu sichern. Sein Vater ist vor 10 Jahren in ein Heim gebracht worden und wir haben das Haus übernommen." Ihr standen Tränen in den Augen als sie Pat ansah.

"Und jetzt bitte sag mir, war es das wert? Hast du durch deine Taten, deine fünfzehn Jahre Blumen verkaufen deine Mutter wieder lebendig gemacht?"

Pat sah aus wie geschlagen. Er schluckte und gespannt beobachteten wir den Schlagabtausch.

Er räusperte sich, doch Maria fiel ihm ins Wort.

"Denk an all die Menschen die wegen dieser Blumen gestorben sind, denk daran wie deine Familie daran zerbrochen ist. Das Blumen auf dem Grab deiner Mutter wachsen, die Blumen in unserem Garten. Die vermutlich, vor hunderten von Jahren hier her verschifft wurden, auch von Zwangsarbeitern produziert. Denk an das ganze Leid was das jetzt verursacht hat, denk an mich, denk an unsere Kinder und sag mir, war es das wert?"


Das MädchenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt