Blumen

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Die erste Woche verlief ohne Probleme, wir passierten viele uns bekannte Städte und landeten auf einmal im Ungewissen. Und genau dort lernten wir Pat kennen. Wir saßen zu viert auf einem Bordstein, beratschlagten unser geplantes vorgehen (wobei Tiana und John damit beschäftigt waren gespannt Straßenkünstlern zu zu sehen), als Pat auf einmal vor uns erschien. In einem himmelblauen Wagen fuhr er an uns vorbei, der Wagen war ein Ausstellerfahrzeug, welches ich so bis her nur für Eis gesehen hatte. Er fuhr vorsichtig, wohl darauf bedacht das der Inhalt seines Wagens nicht zu starken Bewegungen ausgesetzt sein würde und hielt gegenüber von uns an, um seinen Wagen aufzubauen. Als er ausstieg, fuhr er die Jalousie seines Ladens heraus, stellte ein paar Deko Schnittblumen auf die Anrichte und ging in das Innere des Wagens. Wir beobachteten wie vereinzelt Pärchen ein paar Schnittblumen kauften, begeistert von den prachtvollen Farben und der monströsen Auswahl die er in seinem Wagen zu bieten hatte. 

Pat wirkte freundlich, mit einem schwarzen Vollbart, schwarzen Locken, einem vom Lachen geprägten Gesicht und einer sanften Stimme. In seinem himmelblauen Kittel und einer viel zu klein wirkenden Brille wirkte er wie der freundlichste den Mensch den wir je gesehen hatten. Tiana war die erste von uns die zu ihm ging und er schenkte ihr eine Blume. Ein violettes Veilchen, welches sie uns strahlend zeigte. 

Sie strahlte, bis sie schrie.

Bis sie die Augen verdrehte und schrie.

Sie lies die Blume fallen und schaute und mit schreckensgeweiteten Augen an. Sie rannte zu uns und legte meiner Frau und mir je eine Hand auf den Arm. Was sie uns zeigte, ließ unsere Haare abstehen. Wir konnten weder Luft holen, noch uns bewegen. Wir waren erstarrt vor Schreck.

Wir sahen eine Frau aus Afrika, halb erblindet ihr totes Kind gebären. Wir hörten ihre Schreie, ihr Schluchzen und wir spürten ihren Schmerz. Wir sahen Kinder, in Tianas Alter, Blumen schneiden. Wir sahen sie in Gewächshäusern rumlaufen, in Wolken von Pestiziden in denen sie sich bewegten, ohne jeglichen Schutz. Wir sahen manche zu Boden gehen, sie wurden kurz raus getragen nur um fünf Minuten später wieder arbeiten zu müssen. Wir sahen die Frau, wie sie hoch schwanger dort arbeitete. Die Erblindung noch längst nicht so ausgeprägt wie am Zeitpunkt der Geburt. Wir sahen auch sie zusammenbrechen.

Und dann waren wieder in unserer Realität, auf einem Bordstein am Rande einer Pflasterstraße sitzend. Leichte Sonne erwärmte unseren Körper, der Himmel strahlte im schönsten Blau und uns gegenüber ein Blumenladen. Pat war zu uns gelaufen gekommen und fragte uns besorgt, ob alles okay sei. Seine dunkelbraunen Augen suchten panisch die meinen und ich bejahte. Die Nachwirkungen des Gesehenen legten mein komplettes Denken lahm. Ich wollte mich übergeben, wollte nie wieder Blumen sehen, wollte nicht in so einer Welt leben..."Würden sie uns ihr Haus zeigen?" Durchbrach die klare Stimme meiner Frau den Schleier in meinem Kopf. Verdutzt schaute Pat sie an. "Wir sind auf der Durchreise, haben kein Geld aber viel zu erzählen." ergänzte sie ihre Anfrage. Und so lernten wir Pat kennen, der uns bereitwilligt in sein Haus einlud.

Das MädchenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt