Nachtgespräche

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Tiana und Jonny waren am Schlafen, einer von den beiden zaghaft am Schnarchen. Meine Frau und ich lagen wach, ihr Kopf auf meiner Schulter positioniert, ihre Hand fest die meine umklammernd. "Wollen wir spazieren gehen?" Ihre klare Stimme durchbrach abermals meine Gedanken, ich gab ihr einen Kuss auf die Stirn und bejahte. Während sie sich aus unserem Schlafsack-Decken-Gewirr erhob beobachtete ich sie, ihren braun gebrannten Körper, ihre langen, gewellten braunen Haare, die bei jeder Bewegung erzitterten und bebten. Sie zog sich ein schwarzes T-Shirt über, hielt mir die Hand hin und zog mich hoch. Sie, nur mit einer Shorts und einem T-Shirt bekleidet, zog mich, der nur eine Shorts an hatte, raus in die kühle Nachtluft. Ich bemerkte, dass sie wie immer die Temperatur überschätzt hatte und ging wieder rein ins Zelt, um mit einer Decke wieder heraus zu kommen. Diese legte ich ihr um die Schulter und sie zog mich Sanft den Strand entlang. Der Wind schnitt hart in meine Haut und der Geruch des Salzes trieb mir Tränen in die Augen. Als wir eine Bank gefunden hatten, setzte sie sich hin und erklärte sich sogar bereit ihre Decke mit mir zu teilen. Ihre Wärme strahlte zu mir herüber und ich fuhr ihr sanft durchs Haar, ihr Blick hing in der Ferne des Meeres. Ich folgte ihrem Blick, sah die Wellen im Mondlicht glitzern, die Sterne den Himmel zum Strahlen bringen. 

Leyla, meine Frau, mein Leben, mein Sinn, saß an mir angelehnt auf der Bank und verlor sich in den Wellen. Ich spürte ihre Gedanken arbeiten und wartete darauf, dass sie anfangen würde etwas zu sagen. Sie ist kein Mensch der viel spricht, kein Mensch der Smalltalk führt, kein Mensch mit dramatischen Geschichten. Man würde sie in einem Lexikon am ehesten unter dem Begriff "stilles Wasser" finden, wobei es unter ihrer so stillen Oberfläche brodelte. Ihre Gedanken kamen und gingen im Sekundentakt und mit Bewunderung beobachtete ich sie, wie sie ihre Augen leicht zusammen kniff, sie wieder locker lies, leicht die Stirn runzelte, sich auf die Lippe biss und zum Schluss mich missmutig anschaute. 

"Was sollen wir tun, abgesehen davon uns treiben zu lassen? Warten und auf Gott vertrauen? Hoffen das ein anderer uns hilft? Brauchen wir überhaupt Hilfe? Uns geht es doch gut? Oder etwa nicht?" Tränen traten in ihre Augen und das was sie sagte war so untypisch für sie, so unbedacht, so egozentrisch.

Ich lächelte sie sanft an, kraulte ihren linken Oberarm und hielt sie mit meinem anderen Arm fest an mich gepresst. "Wovor hast du Angst? Solange es den Gedanken, die Idee gibt, dass es möglich ist ein Leben zu führen, welches für alle lebenswert wäre, lohnt es sich doch an diesem Gedanken festzuhalten, daran zu arbeiten. Es gibt unmengen von Menschen, die die feste Überzeugung haben, dass es gehen würde, wenn wir alle an uns arbeiten. Zu diesen Menschen gehören wir auch, vergiss das nicht. Vielleicht können wir das, was Tiana uns zeigt, weitergeben. Vielleicht können wir das auch nicht, vielleicht werden wir mit diesem Wissen zu Grunde gehen. Wir könnten Tiana auch aus unserem Leben verbannen, aber sag, was würde uns das bringen? Wegschauen war nie deins, weshalb möchtest du jetzt damit anfangen?"

Sie biss sich wieder auf die Unterlippe. "Es tut so weh, ich kann nichts daran ändern, ich kann niemanden helfen. Selbst wenn eine Person weniger wegen mir stirbt, sterben trotzdem 100.000 weitere. Ob an Hunger oder durch Krieg ist der Grausamkeit überlassen. Aber nicht mir."

Sie holte Luft und sprudelte weiter: "Wir sitzen nicht oben in dieser Gesellschaft, wir sind nicht einmal mehr ein Teil von ihr. Es werden ständig neue Menschen in sie hineingeboren, ständig neue Kämpfer rekrutiert. Wir sind nichts auf dieser Welt, guck dir das Meer an, guck dir uns an. Wie klein wir wirken, wenn wir daneben stehen. Und dieses Meer, sind all die gehässigen, kapitalistischen Gedanken, jeder egozentrische Ansatz einer Ideologie, alles. Dieses Meer ist einfach alles, alles was wir nicht sind. Es ist groß, es ist voll. Wir sind klein und wir sind leer. So grausam leer, so grausam betäubt. Du hast Recht, weggucken hilft nicht, aber treiben lassen auch nicht. Bitte, änder dieses Meer. Mach Wasser zu Wein, mach Hass zu Liebe."

Tränen liefen ihr über die Wangen und ich küsste sie weg. Es wurde immer kälter um uns und sie presste ihren Körper enger an mich. Nun von leichten Krämpfen geschüttelt. 

"Morgen werden wir uns etwas überlegen. Es ist kalt, mein Kopf ist wirr."

"Bitte sag nicht morgen, sag heute. Sag gleich, sag jetzt. Aber verschieb es bitte nicht auf morgen." Ihre nassen rehaugen suchten meine und ich lies sie sie finden.

Ein Blick auf die Uhr sagte mir, dass es schon nach 0 war und ich lächelte sie sanft an, küsste ihre Stirn und flüsterte:

 "Heute."

Das MädchenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt