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Mary?  Was hatte das zu bedeuten? Wieso galt sein letzter Gedanke meiner Freundin? Mary & er kannten sich schließlich kaum. Klar, sie sahen sich ab & zu, wenn Mary bei uns zu Besuch war, aber ansonsten hatten die beiden nichts miteinander zu tun. Wieso also sollte ihr Name das Letzte sein, was Sherlock zu mir sagte? Es ergab keinen Sinn. Vielleicht wollte er sich bedanken, weil sie diejenige war, die ihn gefunden hatte. Oder vielleicht wollte er mir sagen, dass ich bei ihr bleiben sollte. Aber nein... Sherlock war nicht der sentimentale Typ. Es musste einen anderen Grund geben.

Ich konnte mich nicht wirklich auf weitere Möglichkeiten konzentrieren. Alles, was ich denken konnte, war, dass das alles meine Schuld war. Diese ganze Situation. Hätte ich mich nicht so in unseren dämlichen Streit reingesteigert, dann wäre das alles nicht passiert. Ich hätte Sherlock nicht so stehen lassen dürfen. Ich konnte nicht wissen, warum er das Haus verlassen hatte & was genau passiert war, aber eines wusste ich, es schoss mir immer wieder durch den Kopf & verhinderte jeden anderen klaren Gedanken: Wäre ich bei ihm geblieben, wäre er nicht alleine gewesen. Wäre ich bei ihm geblieben, hätte ich ihm helfen können. Er wäre nicht angeschossen worden & ich würde jetzt nicht in einem Rettungswagen für das Überleben meines besten Freundes beten. Mir stiegen schon wieder Tränen in die Augen. Ich schüttelte meinen Kopf & wollte mich zwingen, an etwas anderes zu denken. Mich selbst fertig zu machen würde rein gar nichts an der Situation ändern & ich wollte möglichst vermeiden, vor den Sanitätern in Tränen auszubrechen. Aber egal, wie sehr ich es versuchte, das leise „Es ist deine Schuld" in meinem Hinterkopf wollte einfach nicht verstummen. Also gab ich auf & richtete meinen Blick wieder auf den reglosen Sherlock.

Nach ein paar Minuten merkte ich, wie der Wagen langsamer wurde. Ein Blick aus dem kleinen Fenster verriet mir, dass wir das Krankhaus erreicht hatten. Nachdem das Auto zum Stehen kam, machten sich die Sanitäter daran, Sherlock so schnell & vorsichtig in das große, graue Gebäude zu befördern, während ich zügig nebenher lief. Wir betraten das Krankenhaus & kamen direkt an einen großen Fahrstuhl. Als ich mit einsteigen wollte, sah mich einer der Männer einen Moment lang nachdenklich an, bevor er sagte: „Es tut mir sehr leid, aber Sie können ab hier nicht mehr mitkommen. Bitte gehen sie zur Rezeption & fragen dort nach dem Weg zum Wartezimmer."

„Aber...", setzte ich an, doch der Sanitäter ließ mich gar nicht erst aussprechen.

„Sir, ihr Freund* muss schnellstmöglich operiert werden. Ihnen wird Bescheid gegeben, sobald es Neuigkeiten gibt."

& damit schloss sich die Tür des Fahrstuhls.

„Er ist nicht mein Freund..." murmelte ich in mich hinein, bevor ich mich schnellen Schrittes auf den Weg zur Rezeption machte.

Leider wusste ich nicht, wo diese war, weswegen ich mich erstmal verlief. Normalerweise fand ich mich recht gut in Krankenhäusern zurecht, aber dieses hier war irgendwie komplett anders aufgebaut, als das St.Barts & ich war auch immer noch ziemlich durcheinander. Also irrte ich durch die Gänge & suchte nach einer Krankenschwester oder irgendwem, der mir Auskunft geben könnte. Auf dem Weg hatte ich leider wieder genug Zeit, um nachzudenken. Auch, wenn ich darauf fokussiert war, den Weg zu finden, sausten mir immer noch ununterbrochen diese Gedanken durch den Kopf.

„Es ist deine Schuld."

Was, wenn Sherlock sterben würde? Diesmal wirklich? Er war erst vor knapp 4 Monaten nach London zurück gekommen, ich war nicht bereit, ihn jetzt schon wieder zu verlieren. Ich würde nie dazu bereit sein.

Nach 3 Minuten fand ich endlich eine Krankenschwester, die ich nach dem Weg zur Rezeption fragen konnte.

„Oh, da haben Sie sich aber ganz schön verirrt.", sagte sie mit einem Lächeln, das mich ungeduldig machte.

Sie beschrieb mir den richtigen Weg (diesen Gang bis zum Ende runterlaufen, rechts abbiegen & dann zwei mal links) & wünschte mir einen schönen Tag. Ich zog nur die Stirn in Falten. Wusste diese Frau, WO sie arbeitete?

„Danke", erwiderte ich knapp & ließ sie stehen.

An der Rezeption angekommen war ich zum Glück sofort dran.

„Guten Tag, wie kann ich Ihnen helfen?"

'Was haben die denn alle mit ihrem guten Tag?!'

„Hallo. Mein Name ist John Watson. Mein Freund wurde gerade mit einer Schusswunde eingeliefert & wird jetzt operiert. Mir wurde gesagt, ich soll herkommen & fragen, wo ich warten kann."

„Wie heißt denn ihr Freund?"

„Sherlock. Sherlock Holmes."

„Okay, John," (sie sprach in einem nervigen Tonfall, der wohl beruhigend wirken sollte. Ich musste ziemlich fertig aussehen.) „direkt um die Ecke ist ein Wartebereich. Da können sie sich hinsetzen, sobald ich etwas von ihrem Freund höre, sage ich Bescheid. Aber sie sagten, er ist im OP. Dann wird es sicher eine Weile dauern, falls sie lieber rausgehen würden, zwei Straßen weiter gibt es ein -"

„Ich bleib hier, danke."

Ich drehte mich um & lief um die Ecke zu dem kleinen Wartebereich, der aus ein paar einfachen Sitzreihen, einem kleinen Tisch mit Zeitschriften & Zeitungen & einem Snack-, sowie zwei Getränkeautomaten bestand. Einer mit warmen & einer mit kalten Getränken. Mir war schon übel genug & ich würde sicher keinen Bissen runterkriegen. Allerdings war ich doch recht durstig. Ich beschloss also, mir ein Wasser zu holen. Ich ging die drei Schritte zu dem Automaten mit den kalten Getränken, holte mein Portemonnaie aus der Hosentasche, tippte #57 für Wasser ein & warf einen Pfund in den kleinen Schlitz, der für Münzen vorgesehen war. Nichts passierte. „Das ist jetzt nicht wahr.", sagte ich leise, halb zu der Maschine & halb zu mir selbst. Ich rüttelte vorsichtig an dem Automaten, doch die kleine Flasche bewegte sich keinen Millimeter von der Stelle. Ein paar Sekunden lang stand ich einfach nur da & starrte den Automaten an. "Großartig..." & dann, plötzlich, überkamen mich alle Gefühle, all die Wut auf mich selbst, & ich trat mit voller Wucht gegen diesen dämlichen Getränkeautomaten, der es wagte, meinen sowieso schon grauenhaften Tag noch schlimmer zu machen.

Außer mir befanden sich noch 3 andere Leute in dem kleinen Wartebereich. Ein Mädchen, das Musik hörte & gelangweilt an die Wand gestarrt hatte, & ein etwas älteres Paar. Die Frau war in eine Zeitschrift vertieft gewesen während ihr Mann etwas auf seinem Handy tippte. Doch jetzt schauten mich alle drei erschrocken an. Ich starrte kurz zurück, entschloss mich, dass ich wohl doch kein Wasser brauchte & setzte mich auf einen freien Platz, möglichst weit weg von den Anderen. Da ich mein Handy nicht dabei hatte & mich Klatschzeitschriften nicht interessierten, saß ich einfach nur da & starrte vor mich hin.

Nach einer Weile, als ich mich etwas beruhigt hatte, warf ich einen genaueren Blick auf den mit Zeitschriften überladenen Tisch. Vielleicht war ja doch etwas dabei, was mich annähernd interessierte. Es waren tatsächlich größtenteils Klatschzeitschriften mit den typischen Themen: „Kochen leicht gemacht, 5 gesunde Gerichte für den Sommer.", „Wie finde ich meinen Traummann?" oder „Interview mit Emma Watson. Die wahre Geschichte über ihre Kindheit".

Doch ich fand tatsächlich eine Tageszeitung. Sie war zusammengefaltet. Ich stand auf, nahm sie mir, faltete sie auseinander & sah... Sherlocks Gesicht auf der Titelseite.

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Kinnas... es waren vier lange Monate & es tut mir fast leid. Aber jetzt geht es endlich weiter. Drückt mir die Daumen, dass ich schaffe, jetzt regelmäßig weiterzuschreiben. Ich weiß,das Kapitel ist nicht das Spannendste,aber keine Sorge,kommt noch.

*Freund ist in dem Sinne als Überstzung von "boyfriend" gedacht. Partner oder Lebensabschnittsgefährte fand ich dann doch etwas unpassend.



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