Regel Nummer 4: Rede nie schlecht über die Herrscher.
Die Hitze war unerträglich. Manchmal wünschte ich mir, ich könnte im zweiten Sektor leben und Stundenlang in einem kühlen Raum an einer Nähmaschine sitzen um Kleidung für sie zu nähen, oder wenigstens im Dritten, wo all ihr Schmuck hergestellt wurde.
Der Siebte, war die pure Folter.
,,Zwei neue Regeln." Hörte ich Kessys Stimme hinter mir. Sie hatte ihre Feuerroten Haare unter einem grauen Tuch versteckt, sodass keiner sie sehen konnte, was ich Schade fand. Ich beneidete sie immer um ihre Haare aber es war nicht erlaubt in der Öffentlichkeit mit einem Warnsignal auf dem Kopf rumzulaufen, dass würden sie jedenfalls sagen.
,,Noch mehr Regeln?", fragte ich und bückte mich, um den Maiskolben, der mir aus der Hand gefallen war wieder aufzuheben. ,,Man sollte doch meinen, dass ihnen bald nichts mehr einfällt..."
,,Psst", zichte Kessy, den Blick erschrocken auf eine Kamera am Rand des Feldes gerichtet aber ich verdrehte nur die Augen und machte mich daran, noch mehr Mais in meinen, beinahe schon vollen Korb zu legen.
,,Das ist nur eine Kamera, Kessy", murmelte ich, damit beschäftigt einen weiteren Maiskolben zu pflücken. ,,Sie hören ja nicht, was wir sagen."
,,Wir sollten trotzdem vorsichtig sein", flüsterte sie mir zu und half mir meinen Korb voll zu bekommen. ,,Du weißt, dass gegen manche Ratten auch kein Gift hilft."
Ratten. So nannten wir die Menschen, die ihre Spezies verrieten und ihnen alles erzählten was wir uns verbotenerweise erlaubten. Nicht, dass Kessy und ich jemals irgendetwas verbotenes getan hätten aber meine ehemalige Nachbarin, Jenna Stone, war eines Morgens plötzlich verschwunden, nachdem eine dieser Ratten behauptet hatte, sie habe Lippenstift getragen. Ich wollte garnicht wissen, was mit der armen Jenna passiert war.
,,Also", fing ich an, stellte den nun vollen Korb auf den Boden und nahm einen neuen von dem Stapel, den ich mir aufgestellt hatte. Hundert Körbe pro Tag mussten von einer einzigen Person gefüllt werden. Schließlich mussten wir nicht nur uns, sondern auch noch sie ernähren und wer wusste schon, wie viele es von ihnen gab. ,,Wie lauten die neuen Regeln?"
,,Die erste ist, sei nach zehn nicht mehr draußen", antwortete Kessy mit monotoner Stimme, woraufhin ich einen langen, tiefen Seufzer Ausstieß.
,,Sie wollen uns scheinbar noch mehr einsperren, als sie es ohnehin schon tun", meinte ich, stellte mich aufrecht hin und ließ meinen Korb zu Boden gleiten. ,,Um zehn sind wir doch gerade erst mit der Arbeit fertig. Sie hassen es wohl ziemlich, dass wir Freizeit haben..."
,,Meddy, sei still", zichelte Kessy und sah sich besorgt um, doch ich verdrehte abermals die Augen und achtete nicht auf ihre kleine Panikattacke.
,,Und die zweite?", fragte ich und fing wieder an meinen Korb zu füllen. Mit Mais war es viel einfacher als mit Erdbeeren, da er größer war und ich war froh, dass die Erdbeerseason vorbei war. Die Monate waren eine echte Qual gewesen.
,,Verliebe dich nicht und gehe keine Bindung ein", antwortete Kessy und der Korb fiel augenblicklich aus meiner Hand und landete mit einem dumpfen Aufprall auf dem Boden.
Nicht, dass ich daran dachte mich zu verlieben. In unserem Sektor gab es kaum Jungs in meinem Alter und mit denen, die es gab, hatte ich nicht wirklich etwas zu tun aber wenn es uns verboten war, Bindungen einzugehen, konnten auch keine Kinder entstehen. Sie wollten uns ausrotten. Langsam aber dennoch endgültig. Sie brauchten uns nicht mehr.
,,Ich weiß was du denkst", meinte Kessy leise und sah sich besorgt um, als fürchtete sie jemand könnte uns belauschen. ,,Aber wir haben keine Wahl. Wenn wir uns nicht an die Regeln halten, dann töten sie uns sofort."
,,Wir können doch nicht zulassen, dass sie uns Aussterben lassen wie irgendwelche Tiere", zichte ich und packte sie am Arm. ,,Kessy, wir können doch nicht die letzten Menschen sein."
,,Was willst du denn machen?", flüsterte sie, fast schon verzweifelt. ,,Dich der Rebellion anschließen?"
Das war ganz bestimmt keine Option. Es gab Geschichten, vielmehr Gerüchte, über eine Rebellengruppe weiter nördlich von hier, die sich den Regeln der Herrscher wiedersetzte aber aus seinem Sektor zu fliehen, war ein eindeutiges Selbstmordkommando. Dann könnte ich mir genausogut Lippenstift auftragen, wie Jenna es getan hatte.
Nein, es musste eine andere Lösung geben. Irgendetwas, dass uns nicht unser Leben kosten würde...
,,Vielleicht... Vielleicht können wir ja mit ihnen reden", schlug Kessy vor. Sie wollte mir ganz offensichtlich helfen aber ich starrte sie nur ungläubig an und sie nickte wissend. ,,Hast Recht. Dumme Idee."
Ich dachte nach, so konzentriert, dass ich sogar meine Arbeit vergaß aber mir wollte einfach nicht einfallen, wie ich sie daran hindern konnte unsere gesamte Spezies auszulöchen. Vielleicht gab es ja wirklich keine Lösung. Vielleicht waren wir alle dem Untergang geweiht. Jedenfalls sah ich keinen Lichtblick und als ich merkte, dass die Sonne schon beinahe unter gegangen war, gab ich das Nachdenken auf und machte mich wieder an die Arbeit.
,,Wir können uns noch morgen etwas überlegen", meinte Kessy schulterzuckend, als würden wir darüber nachdenken, was wir morgen anziehen sollten obwohl wir nur graue Kleider hatten, und half mir mit dem restlichen Mais. ,,Ich meine, so schnell sterben wir auch nicht aus."
Ich konnte nichts anderes tun, als ihr Recht zu geben, denn schließlich fiel mir auch nichts besseres ein. Aber während der ganzen Stunden, die ich noch auf dem Maisfeld verbrachte, zerbrach ich mir den Kopf darüber, was ich tun könnte um diese Katastrophe zu verhindern. Leider ohne Erfolg.
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Graue Welt - Falle niemals auf
Science FictionVor fünfzig Jahren eroberten Außerirdische unseren Planeten. Sie kamen mit riesigen Raumschiffen, ganzen Flotten, aus dem Weltraum und unterwarfen die Menschheit, die wegen den Kriegen und all den Nöten die herannahende Gefahr nicht kommen sah. Die...