13. Das alte Leben

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Der Stift zog feine Linien auf dem Papier. Nach einer halben Stunde hatte Hicks sein Werk vollbracht. Er legte den Stift weg, hob das Blatt Papier etwas an und begutachtete es. Er hatte Astrid gezeichnet. Es waren jetzt schon wieder drei Tage vergangen. Drei Tage ohne Astrid. Für Hicks waren es nur Schlechte. Astrid konnte ihm nicht aus dem Kopf gehen. Sie war tot und würde nie wieder kommen. Hicks kullerten wie immer Tränen über seine Wangen und sie landeten auf der Zeichnung. Die Nässe breitete sich etwas aus und verdunkelte das Papier an den jeweiligen Stellen. So gerne hätte er sie nun bei sich gehabt. So wie Hicks seine Freundin kannte, hätte sie nun die Zeichnung begutachtet und irgendetwas dazu gesagt mit ihrem wunderschönen Grinsen. Dieses brachte Hicks auch immer zum Lächeln. Wie vor dem schicksalhaften Tag, als Astrid von Drago entführt worden war.
Hicks konnte sich noch genau erinnern: Astrid kam mit Sturmpfeil angeflogen, als Ohnezahn und sein Reiter wiedermal ein neues Land entdeckt hatten. Hicks erzählte ihr, dass sein Vater ihn zu einem Oberhaupt machen wollte. Aber Astrid machte ihn mit ihren süßen Gesten und Gesichtsausdrücken nach. Schon dabei musste Hicks lachen. Bald nahm er ihre Hände in seine und beide schauten sich in die Augen. Als der junge Mann seine Freundin lachen sah, musste er sofort ein Lächeln aufsetzen. Dann aber sprach er fertig und erzählte den Rest. Darauf sprang Astrid geschockt auf und boxte ihn in die Seite. Darauf beschwerte er sich etwas, aber doch mochte Hicks es, wenn sie das tat. Denn immer wenn sie ihn so hart schlug, kam kurz danach ein Kuss. Danach hatten die Drachen sie auf den Boden fallen lassen und Astrid lag kurz auf Hicks drauf. Eigentlich gefiel Hicks ihre Nähe, doch in dieser Situation war es peinlich. Aber die Beiden waren ein Paar und ihnen machte es nichts, sich vor dem jeweils anderen zu blamieren. Jedenfalls diskutierten die Zwei noch etwas, bis Hicks sich schließlich hinsetzte. Astrid setzte sich dazu und kuschelte sich etwas an ihn. Während sie ihrem Freund einen zweiten Zopf flocht, sprach sie mit ihrer sanften Stimme: ,,Was du suchst, Hicks, ist da draußen nicht zu finden, es ist hier drin." Damit legte sie ihre Hand auf Hicks Brust, genau an der Stelle, wo sein Herz schlug. Und da kam der Kuss auf seine Wange, der nach dem Schlag fehlte.
Hicks hatte diesen Moment so genossen. Er liebte solche Momente mit ihr. So gerne hätte er sie nun in den Arm genommen und wieder etwas mit ihr unternommen. Er vermisste ihre Nähe so sehr wie noch nie. Vorallem da er sie jetzt genau brauchte. Sie half ihm immer wieder, wenn Hicks Streit mit seinem Vater hatte.
Aber sie war nicht da. Sie würde nie wieder da sein.

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Astrid starrte angestrengt in die Wolke hinein. Sie saß auf der regenbogenfarbenen Brücke und blickte ins Leere. Sie befand sich hier in Walhalla, das hieß, im Himmel. So schwebte sie praktisch ober den Wolken. Astrid hatte noch immer dieses Gefühl in ihr, dieses Gefühl was sich manche Menschen nur erträumen konnten. Doch sie hatte es, aber dafür wusste sie nicht für wen. Die Liebe.
Sie wusste es einfach nicht. Wer war ihre große Liebe? Wer war ihr Freund? Irgendein Hicks, aber wer genau das war - Keine Ahnung. Die junge Frau sah nun stumm auf zwei Wolken, die in die entgegen gesetzten Richtungen auswichen. Sie lichteten sich und man konnte eine Insel erkennen. Es war ein ziemlich schönes, gut aufgebautes Dorf.
Die Menschen dort schienen echt nett und fröhlich. Kurze Zeit beobachtete Astrid das. Es war schön zu sehen, dass man auch im Leben glücklich sein konnte.
Auf einmal tauchte eine riesige Gestalt auf und flog in den Himmel. Astrid weitete ihre Augen. Er hatte große rote Flügel und Schuppen. Er versteckte zwei weitere Flügel unter seinen anderen. Ein Drache!
Die 20 - Jährige schaute genauer hin und bemerkte einen Reiter. Es war eine hübsche Frau, vielleicht so zwischen 50 und 60 Jahren. Sie rief ihrem Drachen etwas zu und Astrid konnte es genau hören: ,,Komm, Wolkenspringer!" Das kam ihr so bekannt vor. Diese Frau hatte sie nur ein paar Mal in ihrem Leben gesehen, aber sie konnte sich doch erinnern.
Der Drache flog weg und Astrid visierte wieder die Insel. Da flogen lauter Drachen umher. Sie rannten freudig auf ihre Besitzer zu, die sie dann kraulten und lobten oder sie flogen gemeinsam mit ihnen eine Runde.
Drachen! Das war es! Astrid war sich sicher, dass ihr Leben etwas mit Drachen zu tun hatte. Und diese Insel, ganz bestimmt, das war ihre Heimat. Berk! Astrid war gerade echt aufgeregt. Sie wurde sofort glücklich, als sie sich endlich erinnern konnte.
Auf einmal sah Astrid drei Drachen, bei denen sie etwas zurückschrecken musste. Es waren ein Riesenhafter Alptraum, ein Gronkel und ein Zipper. Ja, Astrid konnte sich an die Drachenarten erinnern. Dann kamen die Besitzer und stiegen auf. Da kam Astrid der Blitzgedanke.
Der eine, das war...Fischbein. Der etwas Mollige auf dem Gronkel, Fleischklops. Der Zipper, nämlich Kotz und Würg, gehörte den Zwillingen, Raffnuss und Taffnuss. Und dann gab es Rotzbakke. Derjenige auf dem Riesenhaften Alptraum.
Astrid konnte sich so gut erinnern! Die drei waren gute Freunde von ihr. Bald kam Eret dazu, den Raffnuss gleich einmal umschwärmte. Dabei musste Astrid grinsen. Sie konnte sich endlich wieder etwas erinnern. Dann glitt ihr Blick zur Schmiede, wo Haudrauf, das Stammesoberhaupt und sein Freund Grobian arbeiteten.
So vieles hatte Astrid endlich herausgefunden, doch so vieles musste sie noch erfahren. Astrid schaute alle Drachenreiter nocheinmal genau an.
Einen nach dem anderen. Nein. Niemand von ihnen war ihr fester Freund. Aber wo war dieser nur? Und außerdem wusste Astrid noch immer nicht, was passiert war. Warum war sie tot?
Langsam begab sich Astrids Blick zu einem bestimmten Haus. Sofort wusste sie, dass es ihres war. Die junge Frau musste schmunzeln. Auf einmal führte ihre Sicht direkt in das Haus hinein. Dann sah Astrid alles von innen.
Hinter Astrid in Wallhalla gingen ein paar andere Leute auf der Brücke vorbei und schauten sie komisch an. Sie hatten keine Ahnung, wo die junge Frau hinschaute. Ja, nur Astrid konnte das alles sehen. Es schien wie ein Schicksal. Das Schicksal hatte gewollt, dass Astrid ihre Heimat sah.
Das Haus kam ihr einfach so bekannt vor. Sie fühlte sich irgendwie geborgen und sicher. Hier fühlte sie sich wohl, auch wenn sie nicht wirklich dort war.
Auf einem Tisch mit vier Stühlen aus Holz saß ein Ehepaar. Klar, das waren wohl Astrids Eltern. Bei diesem Anblick wurde Astrid auf einen Hieb wieder traurig. Ihre Mutter weinte und ihr Vater versuchte sie zu besänftigen, auch wenn er selbst weinte. Das war zu viel für Astrid. Könnte sie nur wieder auf die Erde, ins Leben, nach Berk!
Die Sicht wurde immer kleiner, bis sie schließlich aus Astrids Haus trat. Nun sah man wieder das Haus von außen. Wie konnte Astrid nur denken, Walhalla wäre wundervoll und perfekt? Vorher hatte sie nicht mehr von Walhalla weggewollt und nun wollte sie unbedingt zurück ins Leben.
Astrids Blickfeld führte zu einem anderen Haus. Die Frau wusste nun schon alles über Berk, all ihre Gedanken und Erlebnisse hier mit den jeweiligen Personen kamen wieder zurück. Außer die mit ihrem Freund...
Die Sicht stand nun vor einem Haus, dem des Stammesoberhaupts und wurde auf einmal immer größer. Bald sah Astrid alles von innen. Sie befand sich praktisch im Haus vom Stammesoberhaupt. Haudrauf war irgendwo im Dorf unterwegs, weil er mal wieder Oberhauptssachen erledigen musste.
Man sah die Lagerfeuerstelle und die Küche. Dann auf einmal zoomte es die Treppe hinauf in ein Zimmer. Dort angekommen betrachtete Astrid es. Sie wusste nicht, wem dieses Zimmer gehörte, aber es kam ihr sehr bekannt vor.
Die junge Wikingerin schaute etwas nach rechts. In einer Ecke saß jemand, die Beine zu sich gezogen und weinend. Astrid sah genauer hin. Der junge Mann hatte kastanienbraune Haare, die etwas zerzaust abstanden. Das Gesicht konnte die Reiterin nicht sehen, es lag auf seinen Armen, die wiederum seine Beine umschlangen. Er flüsterte etwas und Astrid hörte genauer hin: ,,Astrid..." Er schluchzte viel, doch trotzdem erkannte Astrid die Stimme.
Da schoss es durch ihren Kopf. Alles, ALLES, wirklich ALLES kam in ihrem Gedächtnis zum Vorschein! Die Erlebnisse, die Ereignisse, egal ob schlechte oder gute, an all das konnte sie sich wieder erinnern.
Vor Schock sprang Astrid auf und stand wackelig auf der Brücke. Die Wolken versperrten wieder ihre Sicht. Nicht einmal eine Sekunde konnte sie stehen, da kippte Astrid wieder um. Sie fiel auf die harte Brücke und versuchte, wieder richtig zu atmen. Man könnte sagen, ihr Atem war vor lauter Schock und Hektik außer Kontrolle geraten.
ALLES. An Alles konnte sie sich erinnern!

Hiccstrid ~ Leben oder Tod ✅Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt