Flucht

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Ich kann nicht fassen wer da gerade vor mir steht.

Es ist John!

Was will er hier? Dann fällt es mir ein. Er geht oft spazieren, um ein wenig alleine zu sein.

Sein Gesichtsausdruck ist komisch. Noch nie habe ich einen solchen bei ihm gesehen. Er sieht bedrückt aus und ich denke ich weiss auch warum. Ich will gerade loslaufen, um ihm zu sagen, dass ich hier bin. Doch bevor ich auch nur einen Schritt machen kann, wirft mich jemand zu Boden. Ich wusste auf der Stelle, wer es war. „Jake! Geh runter von mir! Ich muss zu ihm. Ich muss ihm sagen, dass es mir gut geht!", sage ich. Ich nehme all meine Kraft zusammen und werfe ihn weg. Er prallt an einem Baum ab, was mir total egal ist. Ich stehe auf und will wieder losrennen, doch ich werde wieder zu Boden gezerrt. Dieses Mal sind es Riley und Sven. „Leute, lasst mich zu ihm gehen!", beginne ich zu schreien. Ich spüre einen Schmerz in meinem Nacken und falle in Ohnmacht. Im nächsten Moment wache ich in dem Zimmer auf, in dem ich verwandelt worden bin.

Gott sind die schnell!

Ich stehe auf, doch ich habe starke Kopfschmerzen, sodass ich etwas taumle und wieder auf die Knie falle. An die Wand lehnend, schaue ich mich im Raum um. Sie haben nichts aufgeräumt. Der Tisch, den ich kaputt gemacht habe, ist immer noch da. Die Delle an der Wand, an die ich Kyle geworfen habe, ist auch nicht saniert worden.

Ich bleibe dort sitzen, verschränke die Arme vor der Brust und schliesse die Augen. einige Minuten sitze ich so da und denke nach. Daran, wie ich hier reingekommen bin, daran, was alles passiert ist, daran, wie dumm ich gewesen bin nicht aus dem Wagen zu steigen und den Typen eins auf die Fresse zu hauen, auch wenn ich jetzt weiss, dass das unmöglich gewesen wäre. An Jennifer, ja sogar an Lucie. Wie es ihr wohl geht? Sie ist bestimmt am Boden zerstört, da ihr geliebter Svenilein mit ihr Schluss gemacht hat. Bei diesem Gedanken muss ich grinsen. Sie hat es verdient, einmal nicht das zu bekommen was sie will.

Auf einmal höre ich Schritte. Sofort öffne ich die Augen und schaue zur Tür. Die Schritte verstummen und ich kann hören wie eine Tür aufgeschlossen wird, jedoch ist es nicht meine. Ein paar Sekunden später fängt wieder jemand an zu laufen und die Schritte werden rasant leiser. Ich nehme an, dass diese Person gerade in Vampirgeschwindigkeit gerannt ist. Einen Moment lang schaue ich noch auf die Tür, bis ich mich hinlege und die Augen schliesse.

Durch einen lauten Krach, werde unsanft aus meinem traumlosen Schlaf geweckt. Sofort öffne ich die Augen, doch ich schliesse sie sofort wieder, da mich das Licht blendet. Ich versuche sie noch einmal zu öffnen und ich sehe wie jemand langsam auf mich zukommt.

Es ist Kyle. Ich versuche mich auf zu rappeln. Mit Mühe schaffe ich das auch. Er schaut auf den Boden. Mit einem erwartungsvollen Blick schaue ich ihn an, damit er endlich etwas sagt. „Hey Melissa. Wie geht es dir?", fragt er. Ich überlege und antworte: „Ich hab ziemlich starke Kopfschmerzen. Keine Ahnung wie ich das hinbekommen habe." Er steht nur noch wenige Zentimeter von mir entfernt und sieht mich lächelnd an. Er ist wirklich gutaussehend. Am besten sind seine wunderschönen grünen Augen. „Komm. Ich möchte dir etwas zeigen.", sagt er dann und nimmt mich am Arm. „Warte. Wo ist Jennifer?", frage ich. „Keine Sorge. Ihr geht es gut. Sie ist bei Riley.", antwortet er. Ich nicke, er nimmt meine Hand und dann rennen wir los. Es ist so toll einfach losrennen zu können und keine Erschöpfung zu spüren.

Einige Zeit rennen wir nebeneinander, doch dann übernimmt mich das wundervolle Gefühl und ich beschleunige. Ich überhole Kyle und grinse ihn kurz an. Er jedoch sieht mich fragend an und zeigt nach rechts. Ich schaue dorthin und biege ab. Was mich dort erwartet, verschlägt mir fast die Sprache.

Es ist dieselbe Lichtung die ich in meinem Traum sah. Ein riesiges Haus steht am Rand dieser Lichtung. In der Mitte bleibe ich stehen und warte auf Kyle. Das Haus steht jetzt auf meiner rechten Seite. Auf einmal fühle ich Hände auf meinen Schultern. Diese bewegen sich langsam nach unten zu meinen Händen. Er dreht mich um und ist nur noch etwa 10 Zentimeter von meinem Gesicht entfernt. Mit seinen grünen Augen schaut er mich an. Seine Hände wandern wieder nach oben und legen sich auf mein Gesicht. Er schaut mir auf meine Lippen und kommt mir immer näher. Leichte Panik breitet sich in mir aus. Soll ich es wirklich zulassen? Er hat mich immerhin in das verwandelt, was ich jetzt bin. Er schliesst die Augen und ich kann seinen Atem in meinem Gesicht spüren.

Nein, was soll ich machen? Doch bevor ich diesen Gedanken zu Ende bringen kann, liegen seine Lippen auf meinen. Meine Augen habe ich nicht geschlossen, ich bin immer noch zu überrumpelt. Langsam bewegt er seine Lippen und es fühlt sich so wundervoll an, dass ich ihn endlich erwidere. Meine Augen schliessen sich jetzt auch, um dieses Gefühl in vollen Zügen zu geniessen. Sein Kuss wird fordernder und seine rechte Hand wandert in meine Haare. Er zieht mich an sich, obwohl wir so eng aneinander stehen, dass das kaum noch möglich ist. Auf einmal fällt er auf den Boden. Ich beginne zu leicht zu quieken. Doch ich lande nicht auf den Boden, sondern auf ihn. Ich stütze mich mit beiden Händen neben seinem Kopf ab und schaue ihn an. Er sieht mich mit seinem traumhaften Lächeln an. Mir wird sehr warm um mein Herz. Das erste Mal seit der Trennung und dem Tod meiner Mutter, fühle ich mich wieder so richtig wohl bei einem Mann. Ich habe jedes Vertrauen in Männer verloren. John ist wohl der einzige gewesen, dem ich noch Vertraut habe. Doch kann ich ihn überhaupt noch einmal wiedersehen?

Ich komme wieder aus meinen Gedanken zurück in die reale Welt, als Kyle mich fragt, „An was denkst du?" Ich lege mich neben ihn auf den Rücken und schaue in den Himmel. „Ist nicht so wichtig.", antworte ich gedankenverloren. „Für mich ist es aber wichtig. Bitte, an was denkst du?", er schaut mich erwartungsvoll an. Ich verliere mich wieder in seinen Augen. Dann schliesse ich die Augen und atme einmal tief ein und aus und schaue dann wieder in den Himmel. „Also gut. Wo soll ich anfangen?", beginne ich, „Hm. Ich habe an meine Mutter gedacht. An John und ob ich ihn wiedersehen kann. Aber da ich ja jetzt ein Vampir bin, nehme ich an, dass das nicht mehr geht. Ich habe auch an dich gedacht." Ich schaue ihn an, um sein Gesichtsausduck zu deuten. Als er nichts sagt und mich weiter fordernd ansieht, fahre ich fort: „Seit meine Mutter... seitdem sie...", ich bringe das Wort fast nicht über meine Lippen. Tränen sammeln sich in meinen Augen. Es ist zwar schon lange her, jedoch habe ich diesen Gedanken immer aus meinem Kopf verbannt. Ich atme wieder einmal tief durch und starte einen neuen Anlauf: „Als meine Mutter ermordet wurde, hatte ich nie wieder eine Beziehung mit einem Mann. Ich konnte keinem mehr vertrauen. Dieser Mistkerl von Mörder hatte mir jedes Vertrauen genommen.", am Schluss wird meine Stimme immer zittriger, sodass ich eine kleine Pause mache muss, um mich wieder ein wenig zu beruhigen. „Doch du. Wir kennen uns zwar nicht lange und auch wenn du dafür verantwortlich bist, dass ich solche Schmerzen fühlen musste...", diesen Satz beende ich nicht. Mir wird klar was ich da gerade mache. Ich erzähle jemanden der mich zu einem Monster verwandelt hat, meine Geschichte; meine Gefühle.

Nein! So tief sinke ich nicht. Ich setze mich auf und schaue die Umgebung an. Suchend nach einem Weg von hier zu verschwinden. Ich schaue ihn wieder an und flüstere dann ein ‚es tut mir leid' und renne los. Einfach in irgendeine Richtung, nur nicht in diese von der wir gekommen sind. Ich renne einfach ohne zurück zu schauen. In die Freiheit.

RevengeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt