Kapitel 12

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Das Mondlicht spiegelte sich dunkel in ihren Augen wider, als sie sich über ihn beugte und eine Decke auf ihn legte. Der Wind, der durchs offene Fenster kam, verwehte sanft ihre schwarzen Haare. Tränen fielen leise auf seine Hand die sie in ihren hielt.
„Juzo..."

Juzo Suzuya konnte stolz auf sich sein. Er war wahrhaftig ein Mensch, der Großes und Vieles in seinem Leben erreicht hatte. Aufgezogen von seiner liebevollen Mutter, die ihn schmerzfrei gemacht hatte, lebte er schon damals in einem Kampf um Leben und Tod. Gegen die Ghoule anzutreten war nicht einfach gewesen. Jedenfalls am Anfang nicht.
Doch jetzt, vor allem jetzt, war es ein Kinderspiel: Es machte ihm Spaß und noch dazu hatte er es von klein auf gelernt. Er dachte, er wäre unbesiegbar... Nichts hatte sich an seiner Einstellung geändert es war bloß so... Eine Beleidigung gewesen, als er gegen die neue Eule gekämpft hatte und ihr nichts entgegenbringen konnte. Außer verzweifeltes Geschrei.
Aber alle anderen hatte er erledigt. Er war eben Juzo Suzuya und nicht irgendwer. Und er würde sich an dieser Eule rächen, die ihm seinen Vater genommen hatte.

„... Danke. Für alles."

Darum war es für den ersten Ermittler des 20. Bezirks auch langweilig, als er den Studenten lauschte, die sich lautstark über ihre Liebesbeziehungen ausließen. Sie bemerkten ihn nicht, über ihnen auf dem Baum sitzend. Eigentlich hatte er auf eine stille und freie Zeit gehofft, deshalb hat er sich auf diesen Baum zurückgezogen. Aber nicht nur, dass seine Hoffnungen zerstört wurden, sie unterhielten sich auch noch über seine entführte Partnerin. Und machten ihm dadurch schlechte Laune. Extrem schlechte Laune.
„Hast du das in den Nachrichten gehört? Ermittlerin Krystal wird schon langsam gebrochen... Dass man nicht den Mund halten kann."
„Ach, komm schon! Sie zeigen nie, was sie mit ihr anstellen und jedes Mal sieht sie schlimmer und dürrer aus, wenn sie sie aufnehmen. Außerdem verrät sie nichts über die Akten des CCG und auch nichts über ihren Partner. Und..."
„Na, wenn du das glaubst... Mich verwirrt eher, dass sie es trotzdem übertragen, auch wenn sie nichts gesagt hat. Ich glaube, die arbeiten zusammen."
„Genau! Und ich bin der Sohn des amerikanischen Präsidenten. Überleg doch mal..."
Ja, er hasste die Studenten.
Krystal arbeitete nicht mit diesen Perversen zusammen... Und es war auch nicht sie, die man im Fernsehen zeigte.

„Weißt du, was ich denke? Dass du ein sehr lieber Mensch bist. Du würdest mich immer beschützen und verstehen..."

„Wir haben keine andere Wahl!"
„Verstehen Sie es denn nicht?! Wenn sie jetzt stirbt..."
„Dann haben wir einen Märtyrer. Genau das, was wir brauchen, um jeden Bürger aufzuwiegeln. Egal ob Ermittler oder nicht. Und diese vereinte Kraft brauchen wir, wenn wir die Eule ein für alle Mal vernichten wollen."
„Aber wenn wir ihr Double „sterben" lassen, müssen wir die Suche nach ihr einstellen und..."
„Dann suchen wir nach ihr! Oben und unten, hier und da... Wir sagen, dass ich die Leiche haben will. Ich wollte ihre Haut schon immer mal mit meinen Fäden besticken. Sie würde so schön aussehen..." mischte sich Juzo ins Gespräch ein. Matsuda und seine Kollegin drehten sich zu dem Jungen um.
„Herr Suzuya, wir wissen, dass Sie ihre Partnerin möglichst lebend zurückhaben wollen. Und genau deshalb müssen wir bluffen. Wenn sie die Welt der Lebenden verlässt, denkt die Eule, dass wir aufgegeben haben. Das gibt ihr ein Gefühl der Macht. Und wir können dies als Ausrede benutzen, um sie gnadenlos zu jagen. Mit Ausgangssperre und vielem anderen."
„Jaja. Oder Krystal stirbt, weil die Eule sie nicht mehr braucht." Juzo war in wenigen Schritten bei den beiden Fahndern, „Wenn ihr es zulasst, werde ich euch in Stücke schneiden und auf der Straße liegen lassen. Die Ghoule freuen sich bestimmt."
Mit diesen Worten und ohne auf die geschockten Gesichter achtend, verließ Juzo mit einer Rückwärtsrolle das Zimmer.
Aber er wusste, dass er, im Grunde genommen, keine Chance hatte, irgendetwas vorwärts zu bringen. Oder im Alleingang Krystal aus ihrem Foltergefängnis zu befreien. Er war machtlos.

„Du wärst nie machtlos. Du würdest mich retten, mir helfen. Egal wie, egal wo. Weil wir Partner sind."

Schweigend stand er an Herr Shinoharas Grab. Amons war direkt daneben. Sein Nachbar war Mado. Alle, die er gekannt und respektiert hatte, auf einem Fleck. Er kaute solange an seinem Daumen rum, bis dieser anfing zu bluten. Immer fester biss er zu, bis das Blut ungehindert rausfloss.
Leise tröpfelte es auf das Grab seines Mentors. Seines Vaters. Mit einer harschen Handbewegung flog die rote Flüssigkeit auf die der anderen Beiden.
„Ich werde sie retten, alter Mann." Herr Shinoharas Grabstein hörte aufmerksam zu. Auch Amons und Mados Gräber spitzten neugierig die Ohren.
„Weil wir Partner sind. Nein, weil..." Etwas Nasses lief seine Wangen runter. Überrascht fing er den Tropfen auf, spürte wie weitere folgten und runterfielen. Glitzernd hing das runde Etwas an seiner Fingerspitze. Kurz darauf versickerte es in der Erde. Das waren also Tränen. Er bekam Kopfschmerzen vom Heulen. Seine laufende Nase wischte er sich am Hemdsärmel ab.
„Weil... Wir sind keine Partner..."

„Das stimmt nicht. Wir sind eine Familie. Du bist mein Bruder. Und deshalb..." Er sah sie lächeln. Es war ehrlich und von so großem Schmerz, dass Juzo irgendetwas wehtat. Das Etwas befand sich in seinem Brustkorb, „Deshalb..."

„Er hat den Köder geschluckt. Alle Mann auf Gefechtsstation, wir greifen an!"
Hektik in der CCG-Zentrale. Endlich ging der lang, und bis aufs kleinste Detail, geplante Angriff los. Nach beinahe einem Vierteljahr war die Mission „Befreiung von Frau Kylie" endlich an ihrem Höhepunkt angelangt. Ungeduldig wippte Juzo auf seinen Fersen auf und ab. Seine Quinke hatte er sich über die Schulter geworfen. Unbeteiligt beobachtete er das Treiben um sich herum. Ermittler und Studenten der Akademie des CCG rannten hin und her, bereiteten noch die allerletzten Sachen vor, fuhren gepanzerte Fahrzeuge vor das Gebäude, die in zwei Minuten Abständen gefüllt wurden. Fahnder überwachten das Gewusel und behielten den Überblick. Trotz dem, dass das Ganze nach einem chaotischen Etwas aussah, wo keiner wusste, was er tat, war alles geordnet. Man hörte nichts außer dem Trappeln der Füße auf den Boden. In weniger als fünfzehn Minuten war alles fertig, jeder saß in einem Wagen.
Aber Juzo hoffte nicht auf ein Happy End. Er wusste, wie seine Partnerin gehandelt hatte. Sie hatte es ihm vor einem halben Jahr gesagt, als sie im Antik übernachtet hatten. Sie war ehrlich. Sie war seine Schwester.

„Deshalb werde ich auch für dich sterben, wenn die Zeit kommt. Egal, ob ich meinen Bruder bis dahin gefunden habe oder nicht. Juzo..." Sie machte den Mund auf, als ob sie was sagen wollen würde, tat es aber doch nicht. Mit einer schnellen Handbewegung wischte sie sich die Tränen aus dem Gesicht und stand auf, wandte sich zum Gehen.
Als sie durch einen Streifen Mondlicht hindurchging fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Er wusste es...

Lautlos fuhren die knapp zweihundert Ermittler durch die Stadt. Durch die Videoausschnitte, die die Eule geschickt hatte, wussten sie nach einer Menge schlaflosen Nächte, wo er die Ermittlerin gefangen hielt. Sie selbst hatten Folterszenen gefakt, damit man in der Bevölkerung Unruhe stiften konnte. Es war ziemlich riskant gewesen: Ein Schritt in die falsche Richtung und es wäre zu Aufständen gekommen.
Juzo hatte Angst. Nicht vor den Kämpfen, die ihnen bevorstanden, sondern vor der Begegnung mit seiner Partnerin. Es war an der Zeit, die Wahrheit zu sagen. Auch wenn er es nicht wollte. Aber... Wenn er es wusste.

Wenn er doch wusste, wer ihr Bruder war...

Fight for blood! I'm an investigatorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt