Davor

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DAVOR

Vor Tims Haus fand Felix keinen Parkplatz. Alles Anwohner. Das hatte sich also nicht verändert. Felix stellte den Wagen auf dem Gehsteig ab. Er setzte seine Sonnenbrille auf, öffnete das Gartentor und lief auf die Terrasse zu. Gartenstühle lagen herum und rosteten, die Blumenbeete und der Rasen waren vertrocknet. Das Gras knisterte unter seinen Sohlen. Hecken wucherten um die Nachbarvillen, große Bäume warfen Schatten.

Die Fenster im Erdgeschoss waren dunkel. Er stieg die Steintreppe zu den großen Terrassentüren hinauf und legte eine Hand an die Scheibe: nichts. Er klopfte an, erst leise, dann lauter. Niemand kam. Die Eingangstüre war verschlossen. Hinter dem Haus, im Kelleraufgang unter dem kleinen Blumentopf, lag der Schlüssel an seinem alten Platz.

Im Keller war es muffig, das Licht ging nicht. Vor Felix stand ein Regal mit Weinflaschen. Er nahm eine Flasche und versuchte das Etikett zu entziffern, aber es war zu finster. Vorsichtig tastete er sich die Treppe hinauf, die Flasche nahm er mit. Im Flur lief er Richtung Salon. Als er die Tür öffnete, blendete ihn das Licht: Staubflusen wirbelten auf und tanzten über den sonnengefleckten Boden. Zeitschriften und Kleidungsstücke lagen verstreut zwischen Pizzakartons und leeren Dosen. In einer Ecke stand der Fernseher, davor eine umgedrehte Holzkiste. Irgendwo draußen bellte ein Hund.

Felix ging weiter zum Wohnzimmer, der durch eine Schiebewand vom Salon getrennt war. Die Wand klemmte und ließ sich nicht bewegen. Mit einem Ruck gelang es ihm, sie wenigstens einen Spalt zu öffnen. Er hielt die Luft an und zwängte sich durch die Lücke. Auf der Küchenzeile stapelte sich schmutziges Geschirr, die Töpfe im Spülbecken verbreiteten einen fauligen Geruch. Er stellte die Weinflasche auf den Boden ab und horchte. Irgendetwas stimmte hier nicht.

Er kannte dieses Gefühl. Vor Jahren, nach einem Kinobesuch, hatte Felix mit Freunden auf der Straße gestanden. Es war dunkel gewesen und ziemlich kalt. Sie hatten überlegt, ob sie noch in einen Club gehen sollten, als sich jemand an ihnen vorbeidrückte. Es war Tim gewesen, doch Felix hatte ihn zuerst nicht erkannt. Erst als die Gestalt weiterlief, rief Felix ihm nach und Tim blieb stehen. Sie tauschten ein paar Sätze aus, vertraut und zugleich fremd, wie alte Freunde, die sich aus den Augen verloren hatten. Tim hatte es eilig, Felix' Freunde wollten los. Zum Abschied gaben sie sich die Hand. Als hätten sie eine Abmachung getroffen.

Ein knarrendes Geräusch schreckte Felix aus seinen Gedanken. Das Gartentor. Mit der Flasche in der Hand schlüpfte er durch den Spalt in der Trennwand zurück in den Salon. Durch die Terrassentüren konnte er den ganzen Garten übersehen. Das Tor stand weit offen. Von der Seite kam jemand die Terrasse herauf und blickte durch die Scheibe ins Zimmer. Felix drückte sich eng an die Wand. Ein Schatten fiel auf den Tisch. Er kann mich nicht sehen. Der Schatten bewegte sich nicht. Felix schloss die Augen. Etwas stimmte nicht. Er war sonst nie so ängstlich.

Da hörte er wieder etwas und öffnete die Augen. Ein Mann trat durchs Gartentor und lief auf dem Gehsteig Richtung Innenstadt, mit wehendem schwarzen Mantel, trotz der Hitze.

Felix stieg die Treppe zum ersten Stock hinauf. Im ganzen Haus gab es keine Möbel, alles stand oder lag auf dem Boden. Es gab auch keine Bilder oder Fotografien an den Wänden. Er kehrte um und kletterte die Kellertreppe hinab. Er überlegte, ob er den Wein zurückstellen sollte, nahm ihn dann aber mit.

Draußen sperrte er ab, legte den Schlüssel zurück unter den Topf. Ohne sich noch einmal umzudrehen, durchquerte er den Garten.

An seinem Scheibenwischer klemmte ein Strafzettel, zwanzig Euro. Felix stopfte ihn ins Handschuhfach zu den anderen, zog das Jackett aus und warf es nach hinten auf die Rückbank. Die Flasche zwängte er unter den Fahrersitz. Es war ein kalifornischer Wein. Ein 2011er Zinfandel. Untypisch, dachte er. Völlig untypisch. Tim schwor auf französische Anbaugebiete.

Zombifiziert - Tag NullWo Geschichten leben. Entdecke jetzt