Danach

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DANACH

Marti trat bei Tempo 110 in die Eisen. Die grobstolligen, breiten Reifen quietschten, der Jeep schlingerte hin und her. Dabei hinterließ er Rauchwölkchen und zwei pechschwarze Gummispuren auf dem Asphalt. Etwa zehn Meter vor dem Hindernis kam er mit abgewürgtem Motor zum Stehen. Es war augenblicklich still. Der Geruch von verbranntem Gummi und schlecht verbranntem Benzin hing in der Luft.

Marti blieb hinter dem Steuer sitzen und nahm die Sonnenbrille ab, die ihm halb von der Nase gerutscht war. Vor ihm standen, Schnauze an Schnauze, zwei Spürpanzer vom Typ Fuchs, abgesichert mit einer Doppel-Rolle Natozaun. Im Jeep wurde es sofort wieder unerträglich heiß, die Sonne brannte von oben und der knisternde Motorblock von vorn. Eine gefühlte Ewigkeit lang passierte nichts. Die Panzerfahrzeuge standen unbewegt, niemand ließ sich blicken. Niemand rief ihm irgendetwas zu und Marti wagte nicht, sich zu rühren. Er war immer noch völlig perplex.

Irgendwann drehte er sich doch um. Die B16 hinter ihm war vollkommen frei, kein Fahrzeug kam nach. Trotz der Hitze lief es ihm kalt über den Rücken.

»Hallo?«, rief er.

Seine Stimme verhallte ohne jede Reaktion. Stattdessen hob sich ein großer Greifvogel – Marti hielt ihn für einen Bussard – mit zwei, drei trägen Flügelschlägen von einem der Begrenzungspfosten in die Luft, landete kurz darauf auf einem der beiden unbesetzten MG-Stände und spreizte die Flügel.

Marti schwitzte so stark, dass ihm der Schweiß von der Stirn in die Augen rann. Er zog das Jackett aus und tupfte sich mit den Hemdsärmeln das Gesicht ab. Dann stieg er aus dem Jeep und ging langsam auf die Sperre zu. Dabei sah er sich um, doch alles blieb, wie es war.

»Hallo? Ist da wer?«, rief er, diesmal etwas lauter.

Er stand jetzt direkt vor dem Draht, der über und über mit halbmondförmigen Messerchen bestückt war, scharf wie Rasierklingen.

»Hallo?«

Marti kam sich bescheuert vor. Einen Moment lang überlegte er, ob er in Aufnahmen für Versteckte Kamera geraten sein könnte. Aber der Witz war schon zu alt. Niemand rührte sich. Auch der aus der Nähe sehr ungepflegt und zerzaust aussehende Vogel blieb einfach sitzen. Nur ab und zu bewegte der Bussard seinen Kopf, wie ein argwöhnisches, furchtloses Huhn.

Marti tastete nach seinem Handy. Aber das lag irgendwo abgeschaltet zu Hause herum. Er sondierte die Lage hinter den Leitplanken und entdeckte eine Stelle, an der er zu Fuß den Zaun umgehen konnte. Mit großen Schritten stieg er durch das hohe, trockene Gras, auf die andere Seite der Absperrung. Dabei befiel ihn wieder die alte Angst vor Zecken. Trotz Impfung konnte ein Zeckenbiss in diese Gegend übel ausgehen, Borreliose und Blutvergiftung auslösen. Erst ein paar Wochen hatte er einen langen und vor allem im Netz viel diskutierten Artikel geschrieben. Kaum war er wieder über die Leitplanke zurück auf die Straße geklettert, inspizierte Marti seine teure Anzugshose. Er sah nichts krabbeln aber es juckte ihn unwillkürlich. Gleich nach der Rückkehr würde er alle Klamotten in die Wäsche werfen, seinen Körper zentimetergenau absuchen und anschließend ausgiebig duschen.

»Hallo!? Ist da jemand?«

Marti klopfte gegen das heiße Metall des einen Panzers. Es klang dumpf, wie ein leerer Baucontainer. Er holte seinen Schlüsselbund aus der Hosentasche und schlug damit mehrmals gegen den eisernen Rumpf. Das klang schon lauter, aber es brachte nichts. Kein Mucks drang aus dem stählernen Koloss. Keine Klimaanlage, denn die Motoren liefen nicht. Das konnte da drinnen niemand lange aushalten, das wusste er aus seiner eigenen Militärzeit. Trotzdem ging er um die drei großen Reifen herum zum Führerstand und hangelte sich an dem riesigen Rückspiegel zum panzerverglasten Cockpit hinauf. Er legte die Hand ans Seitenfenster und schaute hinein. Es gab keinen Zweifel: Die Fahrzeuge waren verlassen.

Was zum Teufel, dachte er. 

Zombifiziert - Tag NullWo Geschichten leben. Entdecke jetzt