Davor

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DAVOR

Der Weg zur Zucker-Villa war nicht geteert. Er zog sich schlängelnd ein Stück zwischen den Hügeln und Wiesen dahin, verschwand manchmal in einem Wäldchen und tauchte dann unerwartet hinter einer engen Biegung wieder auf. Felix konnte nur langsam fahren. Größere Steine flogen mit einem Sirren davon, die kleineren knirschten unter den Reifen. Sein Wagen hinterließ eine Staubwolke, die aufstieg und sich über die Ränder der Felder legte.

Bald konnte er das Dach eines Hauses zwischen den Baumwipfeln erkennen. Es lag halb versteckt hinter ein paar heruntergekommenen Schuppen und Ställen, umgeben von einer Zaunruine, deren Löcher mit Bretterverschlägen und Autoreifen gestopft war. Auf einem Wendeplatz vor einer kleinen Holzbrücke hielt Felix an. Er holte das Jackett vom Rücksitz, sah prüfend in den Rückspiegel. Sein Gesicht war gerötet und verschwitzt, die Haare vom Fahrtwind zerzaust. Er fuhr sich über den Kopf und zog die Krawatte fest.

Hundegebell. Es klang böse, dumpf, ein wütendes Kläffen, das immer lauter wurde. Die Brücke führte über einen Bach. Er lehnte sich über das Geländer und sah hinunter ins Wasser. Flache Steine lagen auf dem klaren Grund. Sandbänke wechselten mit Ufergrün. Weiter entfernt standen Bäume mit hellgrauen Stämmen und Brennnesseln. Er hörte das Gluckern und spürte die Frische, die vom Wasser her aufstieg.

Vorne am Tor sprang die Hundemeute gegen das Gatter. Felix war schon einmal hier gewesen, an einem Neujahrsmorgen nach einer ausgelassenen Sylvesterparty. Tim hatte nicht mehr fahren können, er eigentlich auch nicht. Auf Schleichwegen hatten sie sich aus der Stadt gestohlen. Frischer Schnee lag auf den Straßen und es dauerte, bis sie das Haus erreicht hatten. Er war nicht mit hineingekommen, sondern hatte gewartet, bis Tim ein letztes Mal die Hand hob und mit schwerem Schritt die verschneite Auffahrt zum Haus hinaufgestapft war.

Er beschloss, sich ein paar Meter um das Grundstück zu kämpfen, damit er näher an das Haus herankam. Der Weg am Zaun entlang war mühsam. Das Gras war hoch, Dornen stachen durch seine Hose, Ginsterbüsche und Brombeersträucher stellten sich ihm entgegen, immer wieder musste er ausweichen. Die Sonne brannte mit aller Kraft auf ihn herunter und trieb ihm den Schweiß auf die Stirn. Schon nach ein paar Minuten fühlte er sich schrecklich müde. Die Hunde hinter dem Zaun rannten erst ein Stück mit ihm, dann kamen sie nicht mehr weiter und drehten um. Als er den letzten Schuppen vor dem Haus erreichte, hörte er sie durch den Garten laufen.

»Runter von meinem Grundstück!«

Felix schreckte hoch. Auf der anderen Seite des Zaunes stand eine Frau, die grauen Haare zum Dutt hochgesteckt. Ihre Augen funkelten. In der Hand hielt sie eine Mistgabel.

»Guten Tag. Ich komme ...«

»Interessiert mich nicht.«

Die Alte stampfte mit dem Gummistiefel auf den Boden. Die Hunde knurrten, hatten aber mit dem Kläffen aufgehört.

»Ich schreibe über die Sache mit Ihrem Sohn.«

»Interessiert mich nicht. Verschwinden Sie!«

»Ich war mit Tim auf der Schule«, sagte er.

Zu seinem Erstaunen senkte Frau Zucker – zumindest nahm Felix an, dass es Frau Zucker war – die Mistgabel. Sie streifte einen alten Arbeitshandschuh ab und kramte ein Etui aus ihrer Hose. Daraus entnahm sie eine Brille mit kleinen runden Gläsern, setzte sie auf und musterte ihn durch den Zaun.

Felix nannte seinen Namen.

Ihr Gesicht hellte sich auf. »Ja, er hat von Ihnen gesprochen«, knurrte sie und musterte ihn weiter. »Was möchten Sie wissen?«

»Wann haben Sie Tim das letzte Mal gesehen?«

»Vor vier Wochen. Habe ich auch schon der Polizei erzählt. Mein Sohn besucht mich regelmäßig, seitdem er in der Stadt wohnt. Jedes Wochenende.« Sie stützte sich mit einer Hand auf die Mistgabel und tätschelte mit der anderen einen Hund. Schwanzwedelnd glotzte der treu, während ihm Schleim in langen Fäden aus dem Maul troff.

»Ist Ihnen irgendwas aufgefallen?«

Sie überlegte. »Tim hat erzählt, dass er in letzter Zeit sehr schlecht schläft. Albträume. Schon als Kind hat er viel geträumt. Dann hat er im Schlaf geredet. Aber das war nichts Besonderes.«

Felix erinnerte sich, dass er irgendwann Tim hatte nachts reden hören. Vielleicht auf einer Klassenfahrt? Sie hatten ein Zimmer geteilt, er war aufgewacht. Tim hatte aufrecht im Bett gesessen, die Augen weit geöffnet und hatte sinnloses Zeug geredet. Am nächsten Morgen wusste er von nichts.

»Was hat er in letzter Zeit gemacht? War er arbeiten?«

»Er hatte Urlaub. Aber da fragen Sie besser meinen Mann. Versuchen Sie es in der Firma.«

»Könnte es auch sein, dass er einfach ein paar Tage weggefahren ist? Irgendwo hingeflogen, um auszuspannen, Lanzarote vielleicht?«

»Nein«, sagte Frau Zucker. Ihre Stimme wurde hart. »Das hätte er mir doch gesagt.«

Felix spürte die Sonne im Nacken. »Das war es auch schon«, sagte er schnell.

Tims Mutter zog ihre Arbeitshandschuhe wieder an.

»Tut mir leid, dass ich Sie so unangemeldet gestört habe.« Er wandte sich ab.

»Einen Moment! Junger Mann …«

»Ja?«

»Rufen Sie mich an, wenn Sie etwas erfahren.«

Es war ein Befehl, keine Bitte.

Er machte sich auf den Weg zurück zur Straße. Die Hunde blieben still, kleine Mücken tanzten um sein Gesicht. Felix fuchtelte mit der Hand in der Luft. Er riss sich die Krawatte herunter und stopfte sie in die Hosentasche. Erst jetzt hörte er die Grillen. Es mussten Hunderte sein, aber er sah nicht eine. Endlich hatte er die Auffahrt erreicht und lief hinunter zum Wagen. Vor der Brücke machte er halt. Er holte seine kleine Sofortbildkamera aus der Innentasche. Die Sonne stand im Westen und hüllte die Villa in warmes goldenes Licht, das an den Erkern und Mauervorsprüngen in lange Schatten zerfiel. Er musste ein paar Schritte zurücktreten, damit er auch die Schornsteine in den Sucher bekam. Der Fotoapparat surrte, es klackte.

Das letzte Bild. 

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Vielen Dank für’s Lesen!

Liebe Wattpad-Leser, das war der erste Teil der Episode 1 der großen Zombikalypse!

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http://www.carlsen.de/serie/zombifiziert/49597#In-dieser-Serie

Zombifiziert - Tag NullWo Geschichten leben. Entdecke jetzt